Nehmen wir einmal an, die ZSC Lions hätten einen Verteidiger, der so vielseitig ist, dass er sogar in einem ultimativen Spitzenspiel als Flügelstürmer Akzente zu setzen vermag.
Nehmen wir weiter an, dass dieser Verteidiger im ultimativen Spitzenspiel auf den Aussenbahnen tanzt, so frisch, beschwingt und konditionsstark, dass er im Schlussdrittel zum reissenden Leitwolf seines Teams wird, zwei Strafen herausholt, weil ihn die Gegenspieler zurückhalten müssen.
Und nehmen wir weiter an, dass seine Mitstreiter die zweite dieser so herausgeholten Strafen zum ersten Treffer nützen, der sie schliesslich in die Verlängerung bringt, die sie dann gewinnen.
Und es wäre dann noch so, dass dieser stürmende Verteidiger, dessen Berufseinstellung sowieso ohne Fehl und Tadel ist, auch noch einen auslaufenden Vertrag hat und sehr gerne auch nächste Saison spielen möchte.
Was würden wir, wenn das alles so wäre, dem Sportchef raten? Sofort den Vertrag verlängern!
Tja, wenn das Leben und insbesondere das Eishockey nur so einfach wären. Seit Wochen überlegt sich ZSC-Sportchef Edgar Salis (46), ob er es verantworten kann, den Vertrag mit Mathias Seger (39) zu verlängern. Und wie er im Falle eines Falles angesichts der grössten Nachwuchsabteilung Europas eine Weiterbeschäftigung mit einem «Saurier» wie Mathias Seger rechtfertigen könnte, der im Dezember 40 wird.
Das Gipfeltreffen zwischen dem SC Bern und den ZSC Lions hat Edgar Salis nicht geholfen. Sondern seine Pein noch verschlimmert. Es war nämlich in Bern alles genauso wie eingangs geschildert. Die Behauptung, ohne Mathias Seger hätten die ZSC Lions den Match wahrscheinlich verloren, ist weder polemisch noch bösartig. Sie ist fachlich durchaus korrekt.
Nun folgt die Nationalmannschafts-Pause und es obliegt Edgar Salis, die «Causa Seger» zu regeln. Das Herz und der Verstand fordern nach dieser Partie: mit Mathias Seger verlängern! Aber darf ein Sportchef einen solchen Entscheid aus den Emotionen eines Spitzenspiels heraus entscheiden? Nun, vielleicht gibt er ihm einen Vertrag als … Stürmer.
Oder doch nicht? Offiziell äussert sich bei den ZSC Lions nach wie vor niemand zum «Fall Seger». Dabei ist der Entscheid intern bereits gefallen.
Nach dem Spiel sitzen nämlich in Bern ein paar Chronisten und alte Hockey-Kenner in der Stadionsbeiz um über Gott und die Welt zu reden. «Refaire le monde» nennen die Welschen eine solche Gesprächsrunde.
Natürlich ist irgendwann auch Mathias Seger ein Thema. Und das Rätselraten über die Zukunft des ZSC-Captains hat kurz nach Mitternacht ein Ende. Einer sagt nämlich: «Ich habe den Theo vor dem Spiel getroffen. Er hat mir gesagt, dass der Mathias keinen Vertrag mehr bekommt. Der Entscheid ist gefallen.» Weiter führt er aus, Theo habe ihm erzählt, der Trainer habe sich gegen die Vertragsverlängerung ausgesprochen.
Aha, so ist das also. Da der betreffende ältere Herr, der diese Neuigkeit zu erzählen weiss, tatsächlich seit Jahren mit Theo Seger, dem Vater von Mathias Seger bekannt ist, gilt diese Neuigkeit in der Runde als Wahrheit. Gospel.
Und sogleich wird spekuliert, wo der Mathias nächste Saison seine Karriere fortsetzen könnte. Bei den Lakers, wo einst seine NLA-Laufbahn begann? Warum nicht? Die Lakers wollen ja spätestens 2018 wieder aufsteigen. Und einst hat ja Andreas «Granit» Beutler, meisterlicher Kult- und Nationalverteidiger beim SCB seine Karriere in Langnau ausklingen lassen und den Emmentalern 1998 zum Wiederaufstieg verholfen. Mathias Seger 20 Jahre später so wie Andreas Beutler 1998?
Mathias Seger hat uns die also die Story für das Gipfeltreffen geliefert. Die ZSC Lions haben in der Verlängerung 2:1 gewonnen. Zum fünften Mal in dieser Saison hat es in der Partie zwischen diesen beiden Teams einen Auswärtssieg gegeben.
In dieser Verlängerung wäre alles möglich gewesen. Am Ende hat das Genie von Robert Nilsson die Differenz gemacht. Seinen Pass schlenzt Patrick Geering (26) mit Direktschuss unhaltbar zum 2:1 ins Netz. Auch das passt irgendwie zu einem Abend, dessen Geschichte Mathias Seger geschrieben hat. Patrick Geering ist wahrscheinlich nächste Saison der neue Captain der ZSC Lions.
Die Berner hätten vorher alles klarmachen können. Der neue Kanadier Aaron Gagnon scheiterte alleine vor Lukas Flüeler. Aber die Würfel der Hockey-Götter sind für die ZSC Lions gefallen.
Immerhin gibt es nach diesem Spektakel doch eine Erkenntnis für ZSC-Sportchef Edgar Salis: lange schien es, als sei Niklas Schlegel, die Nummer 2, der bessere Goalie. Aber gestern hat der wehrhafte Riese Lukas Flüeler seinen Status als Nummer 1 bestätigt. Er wird in den Playoffs im Tor stehen.
Auch SCB-Trainer Kari Jalonen kann aus dieser Partie etwas lernen: Seine Jungs spielen zu weich, zu skandinavisch. Die ZSC Lions können das. Sie haben genug Talent. Der SCB hat dafür zu wenig Talent. Wenn der Meister den Titel verteidigen will, dann muss es ganz anders «räblen» (rumpeln). Dann muss der SCB wieder zu seinem geradlinigen, einfachen, rauen, provokativen, intensiven Spiel des letzten Frühjahres zurückfinden.
Gegen die ZSC Lions haben wir einen weichen und verspielten SCB gesehen. Das Spiel der Berner war mitreissend, zeitweise spektakulär und im hockeytechnischen Sinne «schön».
Aber inzwischen gibt es nicht einmal mehr im Schwingen einen «Schönschwinger-Preis». Und als es diese Auszeichnung noch gab, hat sie nie der König gewonnen. Der König der Schwinger ist immer «böse».