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Die Titanen der Liga ähneln im Herbst Schafen mit schnell wachsender Wolle. Die werden nämlich im Herbst geschoren. Dann bleibt noch genug Zeit bis die Winterwolle nachwächst.
Die vermeintlich Kleinen der Liga überstehen den Winter am besten, wenn sie im Herbst die Kunst der Schafschur erlernen. Wenn es ihnen gelingt, im September und Oktober den vermeintlich Grossen überraschend Punkte abzuknöpfen.
Ambri steht dafür mit dem Punkgewinn in Zürich (2:1 n.V.) und gegen Davos (3:2 n.V.) als Beispiel. Aber auch der EHC Kloten (3:2 n.P. in Zürich, 4:0 gegen Bern). Und es ist kein Zufall, dass der SCB und die ZSC Lions «geschoren» worden sind. Beide haben ein extremes nordamerikanisches Experiment beendet und setzen neu auf skandinavische Trainer. Eine grössere Umstellung ist im Eishockey nicht denkbar.
Der SCB und die ZSC Lions haben als erste Klubs ein NHL-Experiment gewagt und nun wieder abgebrochen. Die Zürcher holten mit den NHL-Bandengenerälen Bob Hartley (2012) und Marc Crawford (2014) immerhin zwei Titel. In Bern scheiterte Guy Boucher hingegen kläglich, wurde bereits im Laufe der letzten Saison entlassen und coacht nun die Ottawa Senators – zusammen mit Marc Crawford.
Der Stilwechsel in Zürich und Bern ist radikal. Vom extremen nordamerikanischen zum extremen skandinavischen Hockey. Mit Coaches, die noch nie in der Schweiz gearbeitet haben. Die Schweden Hans Wallson und Lars Johansson stehen in Zürich als theoretisch gleichberechtigtes Duo an der Bande. Sie galten im Sommer als die besten schwedischen Trainer auf dem Markt. Der neue SCB-Trainer Kari Jalonen geniesst in seiner Heimat Finnland Kultstatus. Selbst im Falle einer Krise wird es weder in Zürich noch in Bern zu einer Trainerentlassung kommen – der internationale Ruf dieser Trainer ist ganz einfach zu gross.
Die Umstellung vom einfach gestrickten nordamerikanischen auf das anspruchsvolle skandinavische Hockey ist selbst für Teams mit viel Talent nicht so einfach. Das Hockey, das die Zürcher und Berner unter ihren NHL-Generälen spielten, ähnelte am ehesten dem handgestrickten isländischen Fussball bei den letzten europäischen Titelkämpfen. Das Hockey, das die neuen skandinavischen Trainer nun anstreben, lässt sich am ehesten mit dem Fussball-Stil «Tiki-Taka» vergleichen, den die spanische Nationalmannschaft und Barcelona unter Pep Guardiola zur Perfektion entwickelt hatten. Dabei geht es um hohen Ballbesitzanteil der angreifenden Mannschaft, die den Ball durch ihre Reihen zirkulieren lässt und den Gegner zu viel Laufarbeit und hohem Energieverbrauch zwingt.
Aufs Eishockey übertragen geht es um schnelles, kreatives Spiel bei dem die Scheibe kontrolliert und durch die eigenen Reihen zirkuliert. Der Gegner wird zu viel Laufarbeit und hohem Energieverbrauch gezwungen. Weil Eishockey schneller und auf kleinerem Raum als Fussball gespielt wird, braucht es neben viel Talent auch eine hohe Spieldisziplin.
Die Umstellung ist nicht einfach. Roman Wick etwa sagt, es gehe nicht darum, ob der nordamerikanische oder der skandinavische Stil besser seien. «Die Umstellung braucht einfach Zeit.» In Langnau gelang es den Zürchern, in den letzten 100 Sekunden aus einem 0:1 ein 2:1 zu machen und ein fast verlorenes Spiel doch noch zu gewinnen. «Solche Erfolgserlebnisse helfen uns natürlich bei der Umstellung.»
Das Spiel der ZSC Lions lässt sich in dieser frühherbstlichen Umstellungsphase in einem Satz umschreiben. «Viel Geschrei um wenig Wolle». Der spielerische Aufwand ist enorm, die Zürcher «monopolisieren» den Puck. Aber noch fehlen der direkte Zug aufs gegnerische Tor, die Versuche des schnellen, direkten Durchbruchs. Die offensive Ausbeute ist zu gering und die Zürcher hatten gegen die defensiv gut organisierten Aussenseiter Ambri und Langnau viel Mühe. In dieser Umstellungsphase vom wuchtigen nordamerikanischen aufs spielerische skandinavische Hockey sind die Topteams aber auch gegen schnelle, mutige Lauf- und Tempoteams verletzlich. Der SCB ist gegen Kloten gleich 0:4 untergegangen.
Für die Grossen, die den Titel zum Ziel haben, spielt es keine Rolle, wenn sie nicht ungeschoren durch den Herbst kommen. Inzwischen ist ja durch den SCB der Beweis erbracht worden, dass ein Titelgewinn auch vom 8. Platz aus möglich ist.
Die ersten Partien sind hingegen für die Aussenseiter von entscheidender Bedeutung. Wenn sie bei der «Schafschur» im Herbst leer ausgehen und den Titanen keine Punkte abknöpfen, dann wird der Winter lang und kalt. Die Kunst der Aussenseiter, die Schafe im Herbst zu scheren, macht im Kampf um die letzten Playoffplätze die Differenz. Ambri und Kloten haben den SCB, die ZSC Lions und Davos «geschoren» und goldene Punkte eingefahren. Langnau ist gegen den SCB und die ZSC Lions leer ausgegangen und steht punktelos am Tabellenende. Schon bald wird die Frage gestellt: Braucht Scott Beattie im Tal der heulenden Winde einen Wintermantel?