Wird Russland aus Protest das olympische Eishockey-Turnier boykottieren? Das war am Dienstagabend die bange Frage nach den IOC-Sanktionen im Zusammenhang mit dem olympischen Dopingskandal. Russland muss unter neutraler Flagge antreten.
René Fasel stand als IOC-Mitglied und Präsident des Internationalen Eishockeyverbandes vor einer heiklen sportdiplomatischen Mission. Er hatte am Dienstag erstaunlich gelassen reagiert und gesagt, er brauche 48 Stunden, um das Problem zu lösen.
Auf die Frage, ob ihm Wladimir Putin bereits unter Freunden die Teilnahme Russlands am Eishockeyturnier zugesichert habe, ging er nicht ein. Aber auch ohne Worte liess er durchblicken: Kein Problem. Und genau so war es. René Fasel brauchte nicht 48 Stunden. Auch nicht 48 Minuten. Er hatte das Problem in 4,8 Sekunden gelöst. Unter Freunden. Zwar hatte es empörte Erklärungen verschiedener russischer Funktionäre gegeben, man werde nicht unter neutraler Flagge antreten.
Aber in Russland entscheiden nicht Sportfunktionäre in den Emotionen des Tages über eine so wichtige Sache wie die Teilnahme an einem olympischen Turnier. Das letzte Wort hat der Zar. Wladimir Putin. René Fasels langjährige Freundschaft mit dem mächtigsten Mann Russlands hat sich wieder einmal bezahlt gemacht. Der Zar und sein Zahnarzt – René Fasel führte vor seiner Sportfunktionärs-Karriere in Fribourg eine Zahnarztpraxis – haben wieder einmal die Hockey-Welt gerettet.
René Fasel ist froh um die rasche Klärung: «In zwei Monaten beginnt das Turnier und wir haben nicht mehr viel Zeit, um alle technischen Einzelheiten zu regeln.» Dazu gehört unter anderem der Entwurf des Dresses der russischen Mannschaft, die ja nicht in den Landesfarben antreten kann.
Ironie der Geschichte: Die Chancen stehen gut, dass die IOC-Sanktionen Russland nun das erste olympische Eishockey-Gold seit 1992 bescheren. Eishockey ist das Spiel der russischen Sportseele. Nichts zählt mehr als olympisches Gold. Nur der olympische Ruhm ist wahrer Ruhm und überstrahlt jeden WM-Titel.
Russland (bzw. die Sowjetunion) ist 1954 in den internationalen Spielverkehr eingestiegen und hat 1956, 1964, 1968, 1972, 1976, 1984, 1988 und 1992 olympisches Gold gewonnen.
In der modernen olympischen Geschichte, die mit der ersten Teilnahme der NHL-Profi 1998 im japanischen Nagano begonnen hat, gibt es keinen goldenen olympischen Ruhm für Russland. 1998 ging der Final gegen Tschechien verloren (0:1), 2002 reichte es für Bronze, 2006 ging das Bronze-Spiel gegen Tschechien verloren (0:3), 2010 war nach einem 3:7 gegen Kanada im Viertelfinal Endstadion und 2014 erlitten die Russen die bisher bitterste Schmach: Bei den Spielen im eigenen Land (Sotschi) war schon im Viertelfinal gegen Finnland (1:3) Lichterlöschen.
Nicht ein einziges Mal waren die Niederlagen eine Frage des Talentes. Es ist seit der Einführung des Kapitalismus und Individualismus nicht mehr gelungen, ein verschworenes Team zu bilden. Zu viele der Stars sind im Amerika berühmt und reich geworden.
Vieles spricht dafür, dass wir in zwei Monaten nicht die talentierteste, aber die leidenschaftlichste russische Mannschaft der Neuzeit erleben werden. Die NHL-Stars sind nicht dabei und nach den IOC-Sanktionen ist das Gefühl «wir gegen den Rest der Welt» so intensiv wie nie mehr seit den Zeiten des «Kalten Krieges», die zu Beginn der 1990er Jahre zu Ende gegangen sind.
Die Schmach, unter neutraler Flagge anzutreten, auf das russische Dress und die Nationalhymne verzichten zu müssen, wird die Mannschaft zusammenschweissen und das patriotische Feuer und den heiligen Zorn entfachen. Das olympische Eishockey-Turnier ist gerettet.