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Eismeister Zaugg

Analyse zu den Schweizer Eishockey Goalies

Calgary Flames goalie Jonas Hiller (1) watches the replay of a goal scored by the New York Rangers in the second period of an NHL hockey game at Madison Square Garden in New York, Sunday, Oct. 25, 201 ...
Jonas Hiller spielte bis zu dieser Saison in der NHL.Bild: AP/FRE171336 AP
Eismeister Zaugg

Warum Schweizer NHL-Goalies vom «Aussterben» bedroht sind

Zum ersten Mal seit 1999 spielt kein Schweizer Torhüter in der NHL und wir werden in absehbarer Zeit bei der WM ohne Weltklassegoalie auskommen müssen.
23.11.2016, 17:46
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Warum hat die Schweiz nach der Relegation von Reto Berra in Floridas Farmteam keinen NHL-Goalie? Eine Antwort auf diese Frage hat Nationaltrainer Patrick Fischer ungewollt am letzten Dienstag im Rahmen seines offiziellen Medienauftrittes vor dem Deutschland Cup gegeben. Sie dauerte weniger lang, als ein Puck von der blauen Linie ins Tor braucht. Auf die Frage, ob ein Goalietrainer mit zum Deutschland Cup komme, war seine Antwort «Nein».

Der Schweizer Eishockey Nationaltrainer Patrick Fischer verfolgt eine Trainingseinheit, am Donnerstag, 3. November 2016, im Curt-Frenzel-Stadion in Augsburg. Die Nationalmannschaft nimmt vom 4. bis 6. ...
Goalietrainer? Patrick Fischer sagt: «Nein».Bild: KEYSTONE

Bereits zur WM in Moskau waren die Schweizer ohne Goalietrainer gereist. Das ist ungefähr so wie wenn Tom Lüthi bei einem GP-Einsatz auf einen seiner besten Mechaniker verzichten würde.

Eine Eishockey-Nati ohne Goalietrainer ist ...

Was sagt uns das? Wie können wir aus einer so banalen Fragestellung die Antwort auf ein so komplexes Thema finden? Nun, diese Antwort sagt uns, dass in unserem Hockey die internationale Entwicklung unterschätzt oder vielleicht sogar verkannt wird.

Zum «totalen» Sport geworden

Ein Blick zurück hilft beim Verständnis. David Aebischer und Martin Gerber brachten es bis in die NHL und zum Stanley Cup, weil sie in ihrer Generation Rebellen waren. Sie taten viel mehr als ein Trainer von ihnen verlangte, sie trainierten intensiver, besser als ihre Zeitgenossen. Und Jonas Hiller sowie Reto Berra sind in Davos von Marcel Kull ausgebildet worden. Vom wohl besten Goalietrainer im Land. An der Basis von vier NHL-Karrieren stehen also der Wille, viel mehr zu leisten, neue Wege zu gehen und eine sehr gute Grundausbildung.

Der sportliche Pioniergeist, die Neugier auf internationale Entwicklungen, die Leidenschaft für den Sport sind beim Verband nicht mehr stark genug.
Klaus Zaugg

Im internationalen Hockey hat vor gut zehn Jahren eine Entwicklung eingesetzt, die noch lange nicht abgeschlossen und in der Schweiz nach wie vor nicht ganz erkannt worden ist.

Eishockey ist zum «totalen» Sport geworden: Intensität und Tempo sind so hoch wie noch nie. Talent, das einen Torhüter noch vor zehn Jahren bis in die NHL brachte, reicht nicht mehr. Training, das noch vor zehn Jahren die Voraussetzung für die NHL war, genügt nicht mehr.

Finnland als Vorbild

In den grossen Hockeynationen – vor allem in Skandinavien – ist das Training bei den Junioren ab Stufe Novizen enorm intensiviert worden. Luca Cereda, der erst als Nachwuchstrainer auch auf Verbandsstufe (U 18) arbeitete und heute die Ticino Rockets coacht, hat kürzlich in diesem Zusammenhang im Gespräch mit der Fachzeitschrift «Slapshot» eine interessante Aussage gemacht:

«Die Finnen sind heute das Mass aller Dinge. Sie haben die U 18- und die U 20-WM gewonnen. Unser Assistenztrainer bei den Rockets kommt aus Finnland. Er sagt, in Finnland werde bereits auf der Stufe der Novizenjunioren 20 bis 25 Stunden pro Woche trainiert. 
HCB Rocket's Coach Luca Cereda during the Swiss Ice Hockey Cup round of 16 game between HC Biasca Ticino Rockets and SCL Tigers, at the ice stadium in Biasca, Switzerland, Tuesday, October 25, 20 ...
Luca Cereda ist Nachwuchstrainer in der SchweizBild: KEYSTONE/TI-PRESS
Bei uns sind es nur halb so viel. Es ist kein Zufall, dass heute Finnland am meisten Torhüter herausbringt. Die Goalies trainieren dort einfach mehr. Sie gehen so oft wie möglich aufs Eis, auch aus Eigeninitiative. Bei mir hat ein junger Goalie geklagt, bei zweimal täglich Training sei er zu müde um gut zu spielen.»
Luca Ceredaslapshot

Eishockey wird inzwischen so schnell gespielt, dass Training nach dem Verständnis des letzten Jahrhunderts nicht mehr genügt. Ein neues Element ist dazu gekommen: Die Artistik. Will heissen: das gezielte Training der technischen Fähigkeiten. Dafür braucht es hochqualifizierte Spezialisten, die Spezialtrainings durchführen und in der Nachwuchsarbeit neue Dimensionen des Trainingsumfanges. Weil technische Vollkommenheit und Stilsicherheit durch ständige Wiederholung erreicht werden. Drill ist das veraltete Wort. Intensives Spezialtraining die richtige Bezeichnung.

Es braucht vollamtliche Goalietrainer

In den 1990er Jahren sind die entscheidenden Impulse für die Entwicklung unseres Hockeys vom Verband (Swiss Ice Hockey) ausgegangen. Der damalige Sportdirektor Peter Zahner (heute Geschäftsführer der ZSC Lions) hat die Nachwuchsausbildung, die Programme der Junioren-Nationalteams ausgebaut. Es war die Zeit, als beim Verband der Sport, die sportliche Entwicklung, das Primat über das Geld hatte. Die Wechselwirkung der Impulse aus dem Verband und der Arbeit bei den Klubs bescherte unserem Hockey einen Entwicklungsschub.

Torhueter Thomas Baeumle vom ZSC, beim Meisterschaftsspiel der National League A zwischen dem HC Davos und den ZSC Lions, am Freitag, 26. Februar 2016, in der Vaillant Arena in Davos. (KEYSTONE/Gian E ...
Thomas Bäumle war selber Torwart in der Schweiz zum Beispiel bei den ZSC Lions.Bild: KEYSTONE

Inzwischen mahnt der Verband an eine kommerziell höchst erfolgreiche Eishockey-Firma, die ihre Forschungsabteilung vernachlässigt. Die Nationalmannschaft verzichtet auf einen Torhütertrainer und auf Verbandsebene teilen sich Thomas Bäumle und der ZSC-Goalie-Coach Stephan Siegfried gerade mal ein 80-Prozent-Pensum. Die Junioren-Nationalteams bieten bei ihren Zusammenzügen jeweils einen Goalietrainer aus den Klubs auf.

Wenn die Schweiz wieder Weltklassetorhüter herausbringen möchte, dann braucht es für alle Stufen der Junioren Verbandsauswahlteams – U16, U17, U18 und U20 – mindestens zwei vollamtliche Torhütertrainer mit einer hundertprozentigen Festanstellung, die zusätzlich während des ganzen Jahres Spezialcamps anbieten und die Zeit und Gelegenheit bekommen, sich laufend international weiterzubilden.

Wer war der beste Goalie den die Schweiz bisher hatte?

Es ist möglich, diese Spezialisten in unserem Hockey zu rekrutieren. Und bei jedem Zusammenzug von Patrick Fischer müsste mindestens ein Torhütertrainer dabei sein. Ein Quantensprung in der Ausbildungsarbeit im Vergleich zum letzten Jahrhundert ist erforderlich. Und übrigens nicht zur in Bezug auf die Goalies – auch bei den Spezialtrainings für Verteidiger und Stürmer.

«Entwicklung verschlafen»

Natürlich gibt es viele Faktoren, die auch zum «Aussterben» der Schweizer Torhüter in der NHL beitragen haben. Das ist einmal der Trend zu immer grösseren Torhütern und unser Mangel an Goalies mit NHL-Postur. Und es gibt gerade in einer Hockeynation wie der Schweiz mit einem beschränkten Potenzial eine natürliche Wellenbewegung. Nicht jeder Jahrgang bringt Ausnahmespieler hervor.

Aber diese Faktoren alleine erklären das Ausbleiben von internationale tauglichen grossen Torhütertalenten nicht. David Aebischer, weit gereist, der erste Schweizer Dollar-Millionär in der NHL und Stanley Cup-Sieger, heute Goalietrainer bei Gottéron, sagte kürzlich der «NZZ am Sonntag»: «Wir haben in den letzten Jahren die Entwicklung verschlafen.»

Swiss Ice-Hockey goalie David Aebischer lifts the Stanley Cup he won with his team Colorado Avalanche, Friday, August 31, 2001 in a car dealer's garage in Fribourg, Switzerland. Aebischer is the  ...
David Aebischer konnte im Jahr 2001 den Stanley Cup mit Colorado Avalanche gewinnen. Bild: KEYSTONE

In einer idealen Welt kommt dem Verband im Erkennen dieser internationalen Entwicklung, in der Anpassung der Trainingsmethoden in Zusammenarbeit mit den Klubs eine Schlüsselrolle zu. Das hat sich in den 1990er Jahren so eindrücklich gezeigt.

Aber heute gibt es beim Verband eine starke Konzentration auf Marketing und Geldbeschaffung. Der sportliche Pioniergeist, die Neugier auf internationale Entwicklungen, die Leidenschaft für den Sport sind nicht mehr stark genug. Verbandsgeneral Florian Kohler hat bei der Geldbeschaffung seine Hausaufgaben brillant erfüllt und einem TV-Vertrag über 35,50 Millionen pro Jahr für Verband und Liga herausgeholt. Wenn er sich nun mit der gleichen Leidenschaft der sportlichen Entwicklung zuwendet und dafür die entsprechenden Budgets bereitstellt, ist das der erste Schritt zu einer Entwicklung, die uns bis in zehn Jahren vielleicht wieder einen Weltklasse-Goalie beschert.

Bringt die Schweiz in den nächsten zehn Jahren wieder einen Goalie in die NHL?

Vorerst müssen wir uns darauf einstellen, dass die Schweiz bei einer WM in naher Zukunft erstmals in der Geschichte ohne Weltklasse-Goalie auskommen muss. Reto Berra und Leonardo Genoni, die jüngsten, die dieses Prädikat verdienen, sind schon 29. Dahinter gibt es zurzeit nur ein Talent, dem Beobachter NHL-Potenzial attestieren: Joren van Pottelberghe (19). Und Martin Gerber kann an einem guten Abend immer noch einer der besten der Liga sein. Er ist 42 Jahre alt.

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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schreiberling
23.11.2016 18:36registriert Februar 2014
Ehrlich gesagt überzeugt mich Gilles Senn noch etwas mehr als Van Pottelberghe. Beide haben vorhandenes Talent. Noch einige Jahre bei Marcel Kull, dann sind sie vielleicht die nächsten von internationalem Format (Egal ob NHL oder NLA). Und auch Niklas Schlegel darf man nicht vergessen. Der hat sein Potential auch noch nicht ausgeschöpft.
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chrisdea
23.11.2016 19:10registriert November 2014
Merzlikins einbürgern... der ist in 1-2 Jahren in der NHL.
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