Wir erinnern uns: Am 10. September 2008 verliert die Schweiz in der WM- Qualifikation gegen die Fussball-Zwerge aus Luxemburg mit 1:2. Eine der grössten Pleiten unserer Sportgeschichte. «Schlechter als grauenhaft», titelt eine Zeitung. Doch am Ende spielt die Schmach vom Letzigrund gar keine Rolle mehr. Denn Luxemburg ist kein Kandidat für die WM und das Resultat hat nur statistischen Wert. Was zählt, sind die Spiele gegen die wahren WM-Qualifikationskandidaten in dieser Gruppe: Griechenland, Lettland, Israel und Moldawien. Die Schweiz gewinnt das nächste Spiel gegen Lettland 2:1 und qualifiziert sich am Ende direkt für die WM 2010 in Südafrika.
Nach dem 3:1 gegen Frankreich ist die Schweiz bei der Eishockey-WM hier in Prag ebenso wieder auf Viertelfinalkurs. Die Penalty-Pleite gegen Österreich, vergleichbar mit dem 1:2 gegen Luxemburg, hat bereits nur noch statistischen Wert. Denn die Österreicher haben mit der Viertelfinalqualifikation ebenso wenig zu tun wie die Luxemburger damals mit der WM. Vieles deutet jetzt darauf hin, dass auch diese Schmach gegen Österreich bald nur noch als Kuriosum in unsere Hockeygeschichte eingeht. Prag 2015 wie Luxemburg 2008.
Die Spieler haben die Dinge in Prag vorerst wieder geordnet. Alles was gegen Frankreich zählt, ist der Sieg. Deshalb erübrigt es sich, die bescheidene Leistung zu kommentieren. So treffend die Schlagzeile «Ungenügende Sieger» auch sein mag – wer siegt, hat immer recht.
Wir sind vorerst froh, wenn wir ein schwaches Frankreich besiegen und nicht mehr um den Klassenerhalt bangen müssen. Spätestens als gleich drei Franzosen in der Kabine verschwanden, war der Ofen aus und das offensive Feuer erloschen. Stephane da Costa wurde verletzt. Sacha Treille musste für ein Foul gegen Timo Helbling, das keines war, in die Kabine und Antoine Roussel, der einzige NHL-Spieler im Team, regte sich so über die schwachen Schiedsrichter auf, dass auch er für den Rest des Spiels ausgeschlossen wurde.
Die Schweiz steht bereits auf Platz vier, dem letzten Viertelfinalrang – und dort sollten wir eigentlich bleiben. Österreich wird uns nicht mehr einholen. Frankreich auch nicht. Die Deutschen? Wenn wir gegen eine der schwächsten deutschen Nationalmannschaften aller Zeiten am Dienstag (16.15 Uhr, live SF2) verlieren, dann ist das so peinlich wie die Niederlage gegen Österreich. Bleibt noch Lettland. Noch punktelos. Auch mit einer der biedersten WM-Auswahlen der letzten Jahre. Also können wir mit etwas Selbstvertrauen und ein bisschen Arroganz sagen: Die Schweiz wird als viertes Team neben Kanada, Schweden und Tschechien ins Viertelfinale einziehen.
Es gibt allerdings eine Differenz zu Luxemburg 2009. Damals stand mit Ottmar Hitzfeld einer der besten Trainer der Welt an der Seitenlinie. Der garantierte alleine mit seiner Präsenz sozusagen die Wende zum Guten und war wichtiger als jeder einzelne Spieler. Eigentlich war allen klar: Mit Ottmar (den der Boulevard später in «Gottmar» umbenannte) konnte einfach nichts schief gehen. Es kam keinem Chronisten in den Sinn, den Trainer für diese Blamage verantwortlich zu machen. Das wäre «Gotteslästerung» gewesen. Kritisiert wurden die Spieler. Das Kerzenlicht von Ottmar Hitzfelds Charisma flackerte nicht einmal im heftigen Wind der Kritik.
Nationaltrainer Glen Hanlon gilt hier in Prag hingegen nicht als einer der besten Trainer der Welt. Seine Präsenz garantiert die Viertelfinals nicht. Die Chronisten haben ihn nach der Niederlage gegen die Hockey-Stehgeiger von der Donau ordentlich kritisiert. Bei Glen Hanlon ist somit eher ein bösartiges Wortspiel wie «Glon» Hanlon zu befürchten. Oder einfacher gesagt: Hier in Prag sind die Spieler gefordert. Jeder Einzelne scheint wichtiger als der Trainer.
Es passt ins Bild, dass Roman Josi, der alles überragende Einzelspieler, gegen Frankeich die Rolle des Leitwolfes übernommen hat. Er assistierte zum 1:0 und erzielte das 2:1. Mit 25:50 Minuten arbeitete er auch am längsten, sogar noch länger als Mark Streit (20:16 Minuten). Als Verteidiger ist Roman Josi unser wirkungsvollster Offensivspieler. Die Behauptung, die Mannschaft habe sich gegen Frankreich ein wenig auch selber gecoacht, wäre bösartig und gegenüber Glen Hanlon unfair und respektlos. Aber sie käme der Wahrheit recht nahe.
Wir sind übrigens besser gestartet als bei der Silber-WM 2013. Wir sind nämlich in zwei Spielen noch nie in Rückstand geraten. Die Niederlage gegen Österreich folgte ja erst im Penaltyschiessen. 2013 gerieten wir hingegen nach dem Startsieg gegen Schweden (3:2) schon in der zweiten Partie gegen Kanada vorübergehend im Schlussdrittel während 5:39 Minuten mit 1:2 in Rückstand. Damals waren wir in der Lage, gegen Kanada nach einem 1:2 noch 3:2 zu gewinnen. Hier in Prag hätten wir wahrscheinlich ein 1:2 gegen Frankreich nicht mehr aufgeholt. 2015 ist nicht 2013.
Der zweitbeste Feldspieler neben Roman Josi war übrigens Timo Helbling. Der einzige wahre «Krieger» in dieser Mannschaft. Er hat gegen Frankreich auf der Torlinie das 0:1 und einen möglichen Untergang verhindert. Seine letzte WM hatte der Haudegen 2010 bestritten. Für die Nomination von Timo Helbling ist Glen Hanlon kritisiert worden. Nun hat er Recht behalten. Steckt in unserem ach so uncharismatischen Hockey-Nationaltrainer vielleicht doch ein kleines bisschen Ottmar Hitzfeld?
Noch ist alles möglich: Nach beiden Seiten.