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Die «SonntagsZeitung» hat in ihrer neusten Ausgabe anhand der Spieltelegramme die Zahl der Verletzungen pro Club und Spiel ermittelt. Bei gleich viel absolvierten Partien wie letzte Saison haben die Verletzungen um 36 Prozent zugenommen. Sozusagen als Illustration dazu: Am letzten Freitag sind in der Zürcher Schulthess-Klinik gleich drei Nationalspieler operiert worden. Eric Blum (SCB), Morris Trachsler (ZSC) und Patrick von Gunten (Kloten).
Gemäss der «SonntagsZeitung» ist das Verletzungsrisiko in der NLA sogar grösser als in der NHL. Was durchaus seine Logik hat. Das Spiel in der NHL ist auf dem kleineren Eisfeld zwar viel intensiver. Aber keineswegs schneller. Die Lauf- und Tempoliga NLA ist wahrscheinlich sogar die schnellste Liga der Welt mit den heftigsten Zusammenstössen auf offenem Eis. Nach wie vor gibt es mehr Gehirnerschütterungen bei Checks auf offenem Eis als an der Bande.
Dieser dramatische Anstieg von Verletzungen hat viele Ursachen. Die wichtigste: die Beschleunigung des Spiels durch die vor zehn Jahren eingeführte Regelauslegung «Null Toleranz». Haken und Halten ist nicht mehr erlaubt. Freie Fahrt für schnelle Spieler. Aber die Aufprallenergien verstärken sich im Quadrat zum Tempo. Die Zusammenstösse werden immer heftiger.
Es gibt eine ganze Reihe weiterer Ursachen. Der immer dichtere Spielplan mit immer mehr Partien, oft mit zwei in 24 Stunden. Die unzeitgemässe Einrichtung der Stadien. Nur Biel, Lugano und Lausanne haben die in der NHL und bei WM- und Olympiaturnieren längst üblichen flexiblen Banden, die beim Aufprall nachgeben.
IIHF-Präsident René Fasel, der höchste Hockey-Funktionär, hat kürzlich über einen unauflösbaren Widerspruch des Eishockeys gesprochen: die Kombination von Gut und Böse, von Kunst und rauem Handwerk. Es ist genau das, was Kanadas Nationaldichter Al Purdy (1918 – 2000) schon im letzten Jahrhundert zur martialischen und doch so treffenden Definition von Eishockey inspiriert hat: Eishockey sei eine Mischung aus Ballett und Mord. Der «Gotthelf des Eishockeys» schrieb in seinem Gedicht «Hockey Players» die Zeilen: «And how do the players feel about it/this combination of ballet and murder?»
Einerseits fasziniert beim Eishockey die Kunst. Die Beweglichkeit und das Tempo der Spieler mahnen durchaus an Ballett. Aber ebenso lebt Eishockey von der Faszination des Bösen. Der Wucht und Härte der Zweikämpfe, den Versuchen, eben diese Kunst zu «zerstören». Im Eishockey ist der direkte Körperangriff zwecks Eroberung des Pucks aber auch Einschüchterung des Gegenspielers ein erlaubtes, ja zentrales Element.
Zu den TV-Highlights gehören krachende Checks genauso wie elegant herausgespielte Tore und grandiose Torhüter-Paraden. Und wenn erst noch die Handschuhe fallen und richtig geboxt wird, braust Begeisterung durch die Arena.
Diese «Macho-Kultur» ist Erfolgsgeheimnis und Fluch des Eishockeys zugleich. Typisch dafür: Die grösste Sorge der NHL-Macher nach Einführung von «Null Toleranz» war die Furcht, Eishockey könnte den Ruf als harte, raue Sportart verlieren. Das wäre für die Gralshüter des Hockeys das Schlimmste. Immer wieder beschwören, ja zelebrieren ehemalige Spieler als «Angry Old Men» mit einfältigen Kommentaren diese Kultur des Bösen. Nur ja niemals den Eindruck erwecken, nicht «taff» zu sein.
Das Böse in Form von ausufernden Schlägereien ist inzwischen in allen wichtigen Ligen der Welt gebannt worden. Prügeleien mit allen Spielern («bench-clearing brawl») gibt es praktisch nicht mehr. Die «Goons», jene Spieler, die sich ihren Platz mit Fäusten und Provokationen erkämpfen, werden auf den Lohnlisten immer seltener.
Das Böse hat heute eine andere, eine scheinbar legale, im Vergleich zur archaischen Härte der alten Schlägertypen beinahe klinische, aber viel gefährlichere Form als einst angenommen. Es ist die Wucht der Zusammenstösse, die dem Eishockey jenes destruktive Element gibt, das Al Purdy als «Mord» bezeichnet hat.
Die Nordamerikaner haben dieses Problem bereits seit längerer Zeit erkannt. Es gibt eine ganze Reihe von klugen Büchern, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Etwa «Fighting the good Fight – why on-ice Violence is killing Hockey» von Adam Proteau. «Saving the game» von Mark Moore. «Grace under Fire» von Lawrence Scanlan, «The Code» von Ross Bernstein oder die Studie aus dem Jahre 2013 über Gehirnerschütterungen in der NHL von David Gowdey («Turning out the Lights»).
Dieses Böse ist ein Fluch, mit dem das Eishockey leben muss. Deswegen muss nicht gleich der Untergang des Hockey-Abendlandes ausgerufen werden. Im Grunde ist es wie beim Rennsport. Eine latente Gefahr bleibt und macht auch einen Teil der Faszination aus. Diese Gefahr kann durch vernünftige Massnahmen nicht vollständig gebannt, sondern nur verringert werden.
Dazu gehören laufende Verbesserung der Ausrüstungen, eine Terminplangestaltung, die mehr Rücksicht auf die Spieler nimmt, eine konsequente Bestrafung der Sünder bei Checks gegen den Kopf und noch besseres Training des Zweikampfverhaltens. Bereits vor mehreren Jahren ist ein Verbot für Checks in der neutralen Zone diskutiert worden. Aber dadurch würde der Charakter des Spiels einschneidend verändert. Eine Revolution, die alles ändert, ist nicht möglich. Nur eine Evolution.
Eine wichtige Massnahme, die von der Liga per Dekret bereits für nächste Saison zwingend eingeführt werden muss: flexible Banden in allen Nationalliga-Stadien. So wird zumindest bei Checks an der Bande das Verletzungsrisiko geringer.
Sie kosten pro Arena etwa 250 000 Franken. So viel kostet ein NLA-Zweitlinienspieler oder ein NLB-Ausländers. Wer dieses Geld für eine Massnahme zum Schutze der Spieler nicht aufbringen kann, hat in der Nationalliga nichts verloren. Und wenn die Klubs nicht handeln, werden die Versicherungsgesellschaften die Rechnung präsentieren. Mit immer höheren Prämien oder gar Haftungs-Ausschluss.