Sport
Eismeister Zaugg

Die Emotionen sind zurück – so wird der SCB wieder ein Titelkandidat

Können die Berner im Frühling gar über den Titel jubeln?
Können die Berner im Frühling gar über den Titel jubeln?
Bild: PHOTOPRESS
Eismeister Zaugg

Die Emotionen sind zurück – so wird der SCB wieder ein Titelkandidat

Der SC Bern ist schon fast geheilt. Die Berner erholen sich zusehends aus der Schockstarre der verlorenen Zeit unter Guy Boucher.
24.12.2015, 07:2824.12.2015, 07:31
Folge mir
Mehr «Sport»

Die ersten klaren Anzeichen einer Besserung waren beim 6:5 am 12. Dezember in Zug zu erkennen. Das 3:1 in Fribourg brachte am 22. Dezember die Bestätigung und das grandiosen Drama gegen die ZSC Lions (6:5 n.P) am 23. Dezember die Gewissheit: der SCB spielt wieder Hockey. Die ruhmreiche SCB-Kultur ist auferstanden. Diese drei letzten Partien haben die Wirkung von reinigenden Gewittern.

Justin Krueger entscheidet das Spiel gegen den ZSC im Penaltyschiessen.
Justin Krueger entscheidet das Spiel gegen den ZSC im Penaltyschiessen.
Bild: freshfocus

Den grössten Schaden richtete Guy Boucher nicht mit seinem absurden Systemhockey an, das die Spieler nie begriffen haben und dem SCB die grösste Lotterdefensive seit dem Wiederaufstieg von 1986 eingebrockt hat. Der grösste Schaden war der Versuch des NHL-Operettentrainers, die Emotionen aus dem Spiel zu verbannen und die Spieler zu emotionslosen Systemrobotern und taktischen Befehlsempfängern zu machen.

Ein Psycho-Experiment, das so noch kein Trainer im Schweizer Eishockey versucht hatte – und das wir wohl so auch nie mehr sehen werden. Die verheerenden Folgen: das sterilste, emotionsloseste und langweiligste SCB-Spiel aller Zeiten, ein frustriertes Publikum und die gefährlichste Krise seit dem Wiederaufstieg von 1986.

Boucher richtete grossen Schaden an.
Boucher richtete grossen Schaden an.
Bild: KEYSTONE

Gewiss, gegen die ZSC Lions war es oft des Guten zu viel. Nicht wegen der Schiedsrichter. Diese Partie war von allem Anfang an so emotional, dass sie fast nicht in den Griff zu bekommen war. Denn die ZSC Lions haben die gesunde Arroganz und die spielerische Klasse eines grossen Teams. Sie können Hiebe mit Hieben vergelten und in der grössten Hektik cool bleiben.

Dazu kommt ein Phänomen, das wir aus dem richtigen Leben kennen, wissenschaftlich noch nie untersucht worden ist, aber psychologische weit über den Sport hinaus sehr interessant ist: der Mensch neigt in Mitteleuropa gerade dann dazu, über die Stränge zu schlagen, wenn es in den letzten Tagen vor Weihnachten zu mild ist und kein Schnee liegt («Heiliger Bimbam!»). Es ist in den letzten beiden Runden nicht nur in Bern zwischendurch hoch zu und hergegangen.

Gerade deshalb ist von unsachgemässer Kritik an den Schiedsrichtern abzuraten. Wenn sich die Sportchefs bei den Vertragsverhandlungen an jeden Fehler ihrer teuersten Spieler so gut erinnern würden wie an die Fehler der Schiedsrichter, dann wären sie dazu in der Lage, die Saläre zu halbieren.

Wenn wir den aktuellen SCB auf einer Skala mit den besten «Big Bad Bears» aller Zeiten (das Meisterteam von 1989, 1991 und 1992) am einen und der schlimmsten Depression unter Guy Boucher auf der anderen Seite einordnen, dass stehen die Berner nach wie vor näher an den Depressionen dieses Herbstes als an den meisterlichen Zeiten unter Bill Gilligan.

Von den glorreichen Zeiten mit Bill Gilligan ist der SCB zur Zeit weit entfernt.
Von den glorreichen Zeiten mit Bill Gilligan ist der SCB zur Zeit weit entfernt.
Bild: KEYSTONE

Aber der Aufwärtstrend ist nicht zu übersehen. In zwei der drei letzten Partien mehr als 50 Strafminuten, eine der besten Prügeleien der letzten Jahre in Zug (Sean Bergenheim vs. Johann Morant, Sieg nach Punkten für den Zuger) und drei Siege in Serie. Endlich direkter Zug aufs Tor, hartnäckige Belagerungen des gegnerischen Goalies. Viele verbale und auch sonstige Provokationen.

Keine Frage: Der SCB ist wieder böse. Der SCB hat wieder eine Identität. Der SCB rockt wieder. Der SCB hat wieder eine Seele. Der SCB lebt wieder. Eishockey ist wieder Spiel und Drama und nicht mehr Pflicht und Arbeit. Der Text des Berner Marsches, der SCB-Hymne, wird endlich wieder beherzigt. Dort heisst es unter anderem:

«Träm, träm, trädiridi,
Üse Mutz isch gärn derby!
Stellet ne a d'Spitzi füre,
Sachermänt, är stieret's düre!
Träm, träm, trädiridi,
Bis zum Tod muess g'stritte sy!
Üser Buebe müesse säge:
‹Si sy gstorbe üsetwäge!›»

Dieser Text ist in der Tat martialisch. Und so hat es im Jahre 2000 im Berner Kantonsparlament tatsächlich einen Änderungsantrag gegeben, der mit 90 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt wurde. Der Antrag hatte einen friedlicheren Text verlangt.

Noch sind die Berner eine Spur zu ungestüm, zu wild und undiszipliniert. Noch ist die defensive Ordnung nicht ganz wiederhergestellt. Noch hat sich das neue Selbstvertrauen nicht zu gesunder Arroganz verfestigt. Aber es wird nun von Spiel zu Spiel, von Tag zu Tag besser.

Und was ist mit dem neuen Torhüter Jakub Stepanek? Held oder Lottergoalie? Er hat den SCB in seinen zwei ersten Partien bereits zu den zwei Siegen gegen Gottéron und den ZSC gehext. Ein Held? Nein, noch nicht. Die Fangquote war gegen die ZSC Lions mit 86,49 Prozent höchst durchschnittlich. Aber er liess sich nur im Powerplay bezwingen. Und er muss sich erst an unsere Lauf- und Tempoliga gewöhnen.

Stepanek könnte für die Berner zum grossen Rückhalt werden.
Stepanek könnte für die Berner zum grossen Rückhalt werden.
Bild: KEYSTONE

Die NLA ist eine der schnellsten und für einen Torhüter schwierigsten Ligen der Welt. Weil das Spiel bei uns viel weniger klar strukturiert und für die Goalies schwieriger zu lesen ist als beispielsweise in Finnland und Schweden. Und der Zug aufs Tor ist trotzdem direkter als etwa in der KHL.

Das wird immer und immer wieder unterschätzt und ist eine Erklärung dafür, warum es ausländische Goalies bei uns oft schwer haben. Wer als Torhüter dazu in der Lage ist, Spiele in der NLA regelmässig zu dominieren ist gut genug für die NHL. Wenn Jakub Stepanek von Verletzungen verschont bleibt, wird er ab Mitte Januar ein grosser Goalie sein.

Die Rückkehr der Emotionen ins SCB-Spiel wird in den nächsten Wochen die Hierarchie der Liga verändern. Die Berner haben bis zu den Playoffs genug Zeit, um ihr Spiel nach und nach zu justieren. Und dann werden sie gefährliche Aussenseiter im Titelkampf.

Können wieder jubeln: Der SCB hat ein Wörtchen mitzureden im Titelkampf.
Können wieder jubeln: Der SCB hat ein Wörtchen mitzureden im Titelkampf.
Bild: PHOTOPRESS

Zittern um die Playoffs? Nein, jetzt nichtmehr. Die dunklen Monate sind vorbei. Und wenn Marc Lüthi und sein neuer Sportchef Alex Chatelain die richtigen Schlüsse aus der Krise ziehen, die Mängel, die sich während dieser Krise gezeigt haben, nicht verdrängen, sondern beheben, wenn im SCB-Konzern das Primat des Sportes über die Gastronomie, das Primat bernischer Art über blinden «NHL-Götzenanbetung» wiederhergestellt wird, dann steigt aus dieser Krise ein neuer, grosser SCB auf wie einst der Vogel Phoenix aus der Asche.

Vielleicht hat es den «Hockey-Psychopathen» Guy Boucher gebraucht, um SCB-General Marc Lüthi die Augen zu öffnen und diese Erneuerung zu provozieren.

Der Schweizer Eishockey-Meisterpokal im Wandel der Zeit

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
10 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Brian
24.12.2015 09:23registriert April 2014
KZ kann alle kritisieren: Trainer, Sportchefs, Spieler usw. Was er jedoch nie kritisiert sind Schiedsrichter und das kann ich nicht begreifen. Verfolge Eishockey schon seit Jahrzehnten doch eine so miserable Schiedsrichterleistung wie bei diesem habe ich noch nie gesehen. Das war schon fast unglaublich wieviele Fehlentscheidungen und dies sowohl gegen den ZSC wie auch gegen den SCB. Dann behauptet KZ noch unsere Schiris seien besser als jene in der NHL. Und wieso sind keine CH-Schiris bei WM's dabei?? Ich erwarte vom Eismeister auch ein Urteil über die Schiris!!
523
Melden
Zum Kommentar
avatar
Ich hol jetzt das Schwein
24.12.2015 09:32registriert September 2015
Was du vergisst, Klaus, ist, dass das Systembetonhockey bereits unter Larry Huras begann und bis zu Guy Boucher weiter verfeinert und zementiert wurde. Schon unter Larry sahen wir, wenns hoch kommt, fünf interessante Qualispiele. Auch damals schon galt die Devise, lieber den Goalie über den Haufen fahren lassen als eine "böse" Strafe zu nehmen.

Und noch zu den Schiris: Die zwei waren derart unterirdisch, dass es nur der Abgeklärtheit einiger weniger Wortführer in beiden Teams zu verdanken war, dass dieses Spiel nicht komplett in einer Schlacht endete. Ein Benchclearing hätte nicht überrascht.
383
Melden
Zum Kommentar
avatar
revilo
24.12.2015 08:59registriert Juni 2015
Herr Zaugg, entscheiden Sie sich!
Nicht immer hin und her.
324
Melden
Zum Kommentar
10
Wenn es nach dem Präsidenten geht, bleibt Christian Dubé Gottéron-Trainer
Christian Dubé (46) hat zwar als Sportchef und als Trainer seit 2015 nur ein einziges Halbfinalspiel gewonnen. Aber die Zeichen deuten auf eine weitere Saison mit dem Kanadier an der Bande.

Den finalen Entscheid in der Trainerfrage fällt bei Gottéron in den nächsten Tagen – einen fixen Termin gibt es nicht – zwar der Verwaltungsrat. Aber das oberste Organ des Unternehmens wird in dieser Sache dem Antrag des Sportchefs folgen. Ab sofort ist nicht mehr Christian Dubé Sportchef. Er gibt die am 4. Oktober 2019 übernommene Doppelbelastung auf und überlässt das Amt des Sportchefs seinem Zauberlehrling Gerd Zenhäusern (51). Der Walliser dient Gottéron seit Oktober 2014 in verschiedenen Chargen, seit 2021 offiziell als Büro-Assistent und Zögling von Christian Dubé.

Zur Story