Eigentlich ist nur schon diese Vorstellung verrückt: Irgendwo im karibischen Meer schaukelt ein, von den Kanarischen Inseln gestartetes, kleines Boot seit 28 Tagen Richtung Antigua. Drauf sitzen vier Schweizer und sie unterhalten sich via Satellitentelefon mit der watson-Redaktion in einem warmen Büro. Hach, die Technik. Aber darum geht's nicht.
Die «Talisker Whisky Atlantic Challenge» ist der härteste Ruderwettkampf der Welt. In Einer-, Zweier- oder Vierer-Booten rudern die Teilnehmer so schnell wie möglich rund 5000 Kilometer von den Kanarischen Inseln nach Antigua in der Karibik.
Mit dabei sind erstmals auch vier Schweizer. Obwohl zuvor völlig unerfahren betreffend Rudern auf dem Meer wollen sie den Weltrekord von rund 35 Tagen knacken. Warum sie das machen, was sie für Erwartungen hatten, was man da isst, wie man aufs Klo geht und ob sie alle von Haien gefressen oder sonstwie sterben werden, steht hier:
Gestern Abend waren sie genau hier:
Seit dem 14. Dezember sind die Boote unterwegs. 27 Tage sind also vergangen. Gemäss Prognose des Trackings werden die Schweizer das Ziel am frühen Sonntagmorgen (Schweizer Zeit) erreichen. Das wären 31 Tage und damit eigentlich neuer Weltrekord (bisherige Bestmarke: 35 Tage). Den Weltrekord werden sie aber kaum ihr eigen nennen können, noch liegen zwei Boote vor ihnen. Im Normalfall reicht das nicht für den Sieg. Aber was ist hier schon normal?
Einen Grossteil sicher bereits am fünften Tag, als sie in einen Sturm kamen. Luca: «Dabei ging das Steuerruder unten am Boot kaputt. Weil die Wellen zu hoch waren, konnten wir das nicht gleich flicken, danach kam die Nacht und am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass beim Befestigungspunkt des Ruders eine kleine Kante hervorstand, welche eine Reparatur erschwerte.»
Yves versuchte, das Ruder zu flicken, verletzte sich dabei durch die Strömung mit dem Steuergerät aber an den Beinen (die Wunde wird er nach der Ankunft in Antigua sicherlich zeigen). Gut 18 Stunden verloren die vier Schweizer da auf die Spitze. Seither holen sie langsam auf.
Das Steuerruder war also noch immer defekt, wirklich passendes Werkzeuge hatten sie nicht an Bord. Also kam einem die glorreiche Idee: Marlin hatte bekanntlich einen Nagelklipser mitgenommen – obwohl die anderen ihn dafür auslachten. Luca erzählt: «Dieser hat eine kleine Feile. Und mit dieser feilten wir die kleine Kante ab, damit das Steuerruder repariert werden konnte. Der Nagelklipser hat uns gerettet.»
«Marlin hat ihn sicher so zwei- bis dreimal für seinen ursprünglichen Zweck benutzt. Wir anderen hatten die Ehre noch nicht», lacht Luca. Aber auslachen wird Marlin niemand mehr wegen seines Nagelklipsers.
«Wenn wir grad bei negativen Dingen sind: der viele Abfall, der auf dem Meer treibt. Wir ruderten bisher sicher schon an ca. 50 alten Fischernetzen, Bojen oder Plastikresten und -flaschen vorbei. Das ist krass.»
«Einmal sahen wir einen Wal. Das Meer war an jenem Abend ruhig, da schwamm er einige Male nahe ans Boot. Auch Delfine machen immer wieder Freude und einige Vögel kamen schon vorbei. Auf dem Boot gelandet ist aber noch keiner. Vermutlich haben sie Angst, weil sich da immer zwei Menschen so komisch bewegen.» (lacht)
«Uff, das ist sehr schwierig. Ich freue mich schon, wenn ich an Land wieder laufen kann. Zum Beispiel einfach an die Tankstelle und eine Glace kaufen. Hier sieht meine Bewegung – neben dem Rudern – so aus: aus der Kabine krabbeln, zweimal stolpern, hinsetzen und rudern. Jetzt grad telefoniere ich zwischen den beiden Ruderstationen in der Mitte des Bootes. Das ist dann auch schon die Rekordentfernung von meiner Kabine. Auf der anderen Seite des Bootes war ich, glaube ich, noch nie», erzählt Luca.
«Es ist halt alles etwas schwierig. Kürzlich wäre Marlin fast vom Boot gefallen, als er sich die Hose anziehen wollte. Der Wellengang, der knappe Platz, die wenige Bewegung, das macht es schwierig.»
«Nein. Das heisst: Wir haben es alle mal versucht. Aber unser Sitzkissen ist aus einem speziellen Material. Zusammen mit dem Salz des Meeres reibt die Haut da extrem. Es ist darum bequemer in Hosen.»
«Nein, leider nicht. Es schmerzt eigentlich immer irgendwo. Mal die Hände, mal der Rücken, der Allerwerteste natürlich. Du versuchst, dich auf einen Schmerz zu konzentrieren und den zu behandeln, aber kaum ist er weg, tut es schon an einem anderen Ort weh. Ich dachte schon, ich sei über den Berg und hätte mich dran gewöhnt, aber dann fängt's wieder an. Und ja, wenn du so direkt fragst: Der Arsch sieht nicht immer schön aus.»
«Wenn das Boot eine Welle gut erwischt, können wir richtig surfen, dann katapultiert es das Gefährt richtig aus der Welle. Das ist schon geil. Einmal war ich in der Kabine, da krachte es laut. Ich dachte schon, jetzt hat uns eine Welle getroffen. Aber dann hab' ich die beiden draussen johlen gehört und wusste: alles gut. Unser Rekord liegt übrigens bei knapp über 30 km/h. Das war fantastisch.»
Marlin erzählte vor dem Start, dass er «dunkles Wasser» nicht mag. Ist das noch so? «Nein!», kommt die Antwort umgehend. Luca ergänzt aber: «Am Anfang war das schon komisch, in der Nacht zu rudern. Bei Leermond sahen wir absolut nichts. Da hab' ich mir fast bei jedem Zischen in die Hosen gemacht. Man wusste nie, was jetzt da war. Aber mittlerweile haben wir uns ziemlich gut daran gewöhnt. Leermond hat allerdings auch einen Vorteil: Der Sternenhimmel ist absolut genial.»
Die vier Schweizer wechseln alle zwei Stunden die Schichten. Also theoretisch zwei Stunden rudern, dann zwei Stunden schlafen. Das sei der ideale Rhythmus für eine erfolgreiche Atlantiküberquerung: «Ehrlich: Es ist ein Scheiss. Am Anfang dachte ich, man kommt etwas rein. Aber es macht dich fertig. Wir sind schon übermüdet. Ich stelle auch keinen Wecker mehr, ein Timer reicht. Und dann, kurz vor der Ruderschicht, wenn du noch so drei Minuten warten musst, ist es brutal schwierig, nicht wieder einzuschlafen.»
«Ich habe grad deren drei:
Andere Teilnehmer berichten, dass sie Halluzinationen haben. Einer sah beispielsweise einen Zombie aus den Wellen steigen. Habt ihr Ähnliches erlebt? «Nein, bisher zum Glück nicht.»
«Das haben wir etwas unterschätzt. Wir dachten, wir machen nicht den grossen kulinarischen Höhenflug und achten nur darauf, dass die Mahlzeiten kalorienreich sind. Aber ein Teil der Nahrung ist katastrophal. Wir bringen die nicht mal mehr runter, wenn wir richtig Hunger haben. Beef Stroganoff kann ich beispielsweise nicht mehr essen. Wir haben praktisch keine Snacks dabei, nur so Riegel, von denen wir an Land aber eigentlich schon die Nase voll hatten. Jetzt freuen wir uns richtig, wenn wir wiedermal so einen essen. Immerhin können wir uns das Essen jetzt ein bisschen aussuchen. Wir nahmen Vorräte für 60 Tage mit, das reicht locker. Aber wir freuen uns unglaublich auf gutes Essen.»
«Wir können es nicht genau beurteilen, weil wir keine Waage haben. Natürlich haben wir etwas abgenommen, aber gefühlt nicht so viel. Wir können jetzt ja eben auch kräftig reinhauen, weil wir so viel Essen mit haben.»
«Gegnerische Boote nicht, einen hatten wir immerhin mal angefunkt, als er in der Nähe war. Dann sahen wir in der Nacht ein Kreuzfahrtschiff und einmal war ein russischer Tanker in der Nähe. Die haben wir jeweils auch angefunkt. Aber nein, sonst keine Menschenseele ausser die anderen drei Schnäuze hier», lacht Luca.
«Nein, so weit nicht. Natürlich hatten wir alle mindestens einmal ein Tief. Glücklicherweise noch nie alle zum gleichen Zeitpunkt. Da hilft dann jeweils viel Reden. Es ist also auch nicht so, dass wir uns nichts mehr zu erzählen hätten. Wir besprechen uns oft. Klar fauchen wir uns auch mal an, aber das ist dann schnell wieder vorbei. Die Stimmung ist gut.»
«Vor dem Start dachten wir, das wären unsere Familien und Freunde. Mittlerweile wurden diese aber von gutem Essen und Schlaf überholt», lacht Luca. «Und wiedermal so richtig Platz haben vermissen wir auch.»
«Das dachten wir auch. Aber dem ist nicht so. Dem Meer ist egal, wie weit du noch musst. Es ist ein super Abenteuer und wir haben grossartige Dinge erlebt. Aber es ist vor allem auch immer knüppelharte Arbeit. Wehmut kam bisher auch nicht auf, vielleicht kommt das noch in der letzten Schicht. Aber jetzt versuchen wir noch, wenn möglich mit dem Team Antigua in der Karibik einzufahren – das wird dann ein riesiges Fest.»