Noch heute gibt es im Turnunterricht ein ungeschriebenes Gesetz, wonach der schwächste – meistens auch der dickste – Schüler im Tor stehen muss. So war es schon früher und es so wird wohl auch immer sein. Deshalb haftet der Position des Goalies ein Verlierer-Image an. Bei jeder Glanzparade haben die Mitspieler so immer noch im Hinterkopf, dass der da eigentlich nur zu schlecht als Feldspieler war.
Wie viele Tore hat Lionel Messi geschossen? Wie viele Bälle hat Cristiano Ronaldo per Elfmeter versenkt? All das kann man leicht nachschauen. Der Goalie hat es da wesentlich schwieriger. Die Spiele ohne Gegentor – manchmal auch dem Unvermögen des Gegners geschuldet – lassen sich mit etwas Aufwand auch herausfinden. Wenn man hingegen die durchschnittliche Zahl der Paraden oder die Fangquote wissen will, muss man schon ein Fachblatt konsultieren.
Die Durchschnittsgrösse der Nummer-1-Torhüter in den 32 Kadern bei der WM 2014 betrug 188 Zentimeter. Die Feldspieler sind statistisch wesentlich kleiner. Und wie schon in der Bibel bei David und Goliath gilt die Sympathie den Kleinen, schliesslich sind sie ja schon körperlich unterlegen.
Wenn Messi mit Barça im Hintertreffen liegt, kann der Argentinier aufdrehen und Tore schiessen, um doch noch zum Held zu werden. Wenn Real Madrid in der Nachspielzeit einen Elfmeter kriegt, kann Ronaldo die Verantwortung übernehmen.
Wenn hingegen Neuer ein faules Ei kassiert, ist er auf seine Vorderleute angewiesen, die seinen Fehler ausbügeln müssen. So kann der Torwart nicht aus Eigeninitiative agieren, sondern ist zur Passivität verdammt und muss nehmen, beziehungsweise einfach halten, was auf sein Tor zufliegt.
Versucht man einem Sport-Muffel zu erläutern, was der Unterschied zwischen einem Handball-Goalie und einem Fussball-Torhüter ist, kommt man in Erklärungsnot. Schliesslich ist die Aufgabe bei beiden Berufsgenossen die gleiche: Bälle halten.
Und zu allem Übel nehmen sie beide (meist) die Hände und Füsse zur Abwehr. Fazit: Der Goalie-Job im Fussball ist einfach nicht vergleichbar mit den Aufgaben eines Feldspielers. Wobei Manuel Neuer diesen ziemlich nahe kommt.
Wie viele Bekannte kennen Sie, die ein Trikot eines Goalies besitzen? Eben. Die wenigen Mitmenschen, die tatsächlich ein Jersey besitzen, sind selbst Goalies. Die langärmligen Trikots sehen selten adrett aus und sind mit den Polstern auch weniger alltagstauglich. Deshalb sieht man in der Fan-Meile auch selten ein grelles Trikot herausblitzen.
Wer früher in der Dorfdisco mit Handschuhen ravte, war definitiv nicht das hellste Gestirn am Firmament. Die armen Goalies müssen die Handschuhe dazu noch jeden Tag montieren. Wegen der penetranten Duftnote der verschwitzten Kautschuk-Latex-Flossen rümpfen nicht nur die Teamkollegen die Nase.
Als bisherig einziger Goalie wurde 1963 der Russe Lew Jaschin zu Europas Fussballer des Jahres gekürt. Bei der Wahl zum Weltfussballer war Vizeweltmeister Oliver Kahn 2002 immerhin Zweiter geworden. Mit Manuel Neuer kam ein Kandidat, bei dem man sich die Frage stellen musste: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Alle Titel gewonnen, ausser der Champions League. In insgesamt 60 Spielen 28 Mal ohne Gegentreffer geblieben und durchschnittliche 45 Ballkontakte. Dazu hat der 1,93 Meter grosse Deutsche nebenbei die Rolle des Torhüters offensiv interpretiert wie noch nie und agierte teilweise als Libero fast an der Mittellinie.
Deshalb wird es bei Beibehalten des Wahlprozederes innerhalb der FIFA nie einen Torhüter als Gewinner des Ballon d'Or geben. Immerhin darf sich Manuel Neuer trösten, dass ihm unter anderem die Captains von Liechtenstein (der unverwüstliche Mario Frick), Laos, Oman, Solomon Islands sowie Surinam die volle Punktzahl gegeben haben.
Somit wäre doch eine ellenlange Diskussion zu Ende, dies auch weil man die Goalies eh schon seit Jahren als eine Art Eigene-AG im Fussballteam sieht :-)