Immer ausverkauft? Kameramann beim Champions-League-Spiel Bayern München – IFK Göteborg 1997.Bild: AP
Nach den nationalen Ligen nimmt heute Abend auch die Champions League ihren Spielbetrieb wieder auf. Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass jede Partie live im Fernsehen gezeigt wird. Wir können deshalb kaum glauben, wie die UEFA-Haltung zu Live-Übertragungen 1991 aussah.
13.02.2018, 15:3814.02.2018, 04:21
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Wenn heute Abend der FC Basel den souveränen englischen Meisterschaftsleader Manchester City zum Achtelfinal-Hinspiel der Champions League erwartet, dann werden weltweit hunderte Millionen zuschauen. Schafft der Schweizer Serienmeister gegen den übermächtigen Favoriten eine Sensation? Klar, dass so ein Spiel überall im Fernsehen kommt.
Klar?! Nur nach heutigen Massstäben. Vor 27 Jahren sah das noch anders aus. Da sagte UEFA-Generalsekretär Gerhard Aigner Sätze wie diesen hier:
«Zu viel Fernsehen macht den Fussball kaputt!»
Gefunden hat die Aussage ein deutscher Fussballfreund, der beim Durchstöbern alter Kicker-Ausgaben darauf gestossen ist. Der hochrangige UEFA-Funktionär Aigner beklagt sich darüber, wie sehr das Fernsehen dem Sport schade:
«Heute erfährt der Zuschauer im Fernsehsessel doch viel mehr als durch einen Stadionbesuch: Zeitlupe, tolle Perspektiven – wenn er Glück hat, sogar eine Antwort auf die Frage, was der Linienrichter zum Mittag gegessen hat. Auch wenn das Gewinnstreben der betroffenen Klubs, die nur den kurzfristigen Erfolg sehen, manchmal unersättlich ist, müssen wir aufpassen, dass das Publikum nicht übersättigt wird.»
Gerhard Aigner (rechts) 1988 mit seinem Vorgänger Hans Bangerter.Bild: KEYSTONE
27 Jahre später haben wir noch viel mehr Perspektiven und noch detailliertere Zeitlupen, wenn wir Fussball im TV anschauen. Und je nach Sender erfahren wir auch, was die Linienrichter vor dem Spiel gegessen haben.
Aigner erklärt weiter, die UEFA habe das Problem erkannt, welches immer akuter werde. Problematisch sei im Besonderen die Tatsache, dass immer mehr TV-Sender über Satelliten und damit grenzüberschreitend ausstrahlen würden.
«Die Folge: Jeder kann bald, egal wo er sich in Europa befindet, beliebig oft Fussball-Übertragungen empfangen. Er braucht nur den Fernseher einzuschalten. Eine schlimme Vision.»
Längst ist die Vision zur Realität geworden. Wir können in der Schweiz live dabei sein, wenn in der portugiesischen, belgischen oder schottischen Liga gespielt wird. Theoretisch zumindest, praktisch machen das nur wenige.
Aigner nennt in seiner Kolumne von 1991 ein Beispiel, vor dem er warnt. Wenn Inter Mailand mit dem deutschen Trio Jürgen Klinsmann, Lothar Matthäus und Andreas Brehme am Sonntagnachmittag live über den Bildschirm flimmere, dann könnte der Amateurfussball in Deutschland auf der Strecke bleiben. «Was also tun?», fragt der UEFA-Generalsekretär, und er schlägt vor:
«Wir müssen ein wöchentliches Zeitraster erstellen, das für ganz Europa gilt. Wir müssen also Phasen einführen, eventuell ganze Wochentage bestimmen, an denen in ganz Europa im Fernsehen kein Fussball übertragen werden darf.»
Mach' diesen Vorschlag mal heute! 😂
Dass die Umsetzung dieses Vorhabens eine schwierige Aufgabe sei, war sich Aigner schon damals bewusst. Aber spätestens in der zweiten Jahreshälfte 1991 werde man konkrete Verhandlungen führen. Denn:
Gerhard Aigner 2002 mit Philippe Senderos und SFV-Präsident Ralph Zloczower bei der Präsentation der Kandidatur Schweiz/Österreich für die Euro 2008.Bild: KEYSTONE
In besagtem September 1991 gibt Gerhard Aigner dem «Tages-Anzeiger» ein längeres Interview, in dem er den UEFA-Standpunkt erneut bekräftigt. Man sei im Dauerclinch mit der EG (Europäische Gemeinschaft, der Vorläufer der Europäischen Union). Aigner erklärt, dass die Bestimmungen des Fussballverbands so seien, dass ein nationaler Fussballverband das Recht haben muss, eine Übertragung aus dem Ausland abzulehnen, wenn beispielsweise Meisterschaftsspiele der eigenen Liga angesetzt sind. Für die EG sei das nicht akzeptabel, jederzeit müssten auf dem nationalen Markt auch die internationalen TV-Bilder konkurrieren dürfen.
«Im Klartext bedeutet das: Es können unaufhörlich Spiele in grosser Zahl ausgestrahlt werden. Dagegen wehrt sich die UEFA: Wir wollen weniger Fussball am Fernsehen.»
Tatsächlich, das hat er gesagt: «Wir wollen weniger Fussball am Fernsehen.» Man kann es kaum glauben. Aigner holt erneut zum Rundumschlag gegen das Satellitenfernsehen aus.
«Das Satelliten-TV ist zweifelsohne das grösste Gift für den Sport. Die bezahlen erstens nichts und streuen ihre Bilder zweitens wahllos überall. So wird der Fussball total degradiert. Die bringen ihn am Morgen, während der Mittagspause, die zeigen das Spiel vom letzten Jahr, das Vorspiel der Junioren. Die zeigen einfach alles, wahllos, ohne Konzept. Da drehen sich die Leute über kurz oder lang einfach weg vom Fussball, weil sie total übersättigt sind.»
Gerhard Aigner 2003 bei der Gruppen-Auslosung für die EM 2004.Bild: EPA LUSA POOL
Zwischen den Zeilen wird klar, was die UEFA wirklich will: Die Hoheit über die Bilder. Sie hat erkannt, dass mit diesen Rechten viel Geld gemacht werden.
«Wir wollen selbständig entscheiden können, was, wann, wo im Fernsehen gezeigt wird.»
Ein Meilenstein ist in diesem Zusammenhang die Gründung der Champions League, die 1992/93 starten wird. Die Fernsehrechte hat sich die UEFA selber zugeschanzt. Sie vermarktet die Champions League, nicht die Klubs, keine Landesverbände, keine Fernsehstationen.
«Die UEFA hat keine andere Wahl. Wenn sie nicht die Kontrolle übernimmt, dann macht dies jemand anderer, und bestimmt nicht zum Wohl des Sports, sondern einzig aus kommerziellen Interessen.»
Das Resultat ist bekannt: Die Champions League wird zur einzigartigen Erfolgsgeschichte. Und zur Gelddruckmaschine, die der UEFA und den beteiligten Klubs Millionen in die Kassen spült. In der laufenden Saison rechnet der europäische Fussballverband mit Europacup-Bruttoeinnahmen von 2.35 Milliarden Euro.
Ein Problem ist aber immer noch das gleiche wie vor 27 Jahren: Nämlich die Gefahr, dass sich Zuschauer übersättigt vom TV-Fussball abwenden. Bloss scheint das heutzutage allen Beteiligten egal sein. Die Zitrone wird weiter ausgepresst, solange sie noch Saft hat.
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