In der Amsterdam Arena laufen die letzten Minuten zwischen Holland und Schweden. Arjen Robben verzieht immer wieder sein Gesicht, humpelt. Die Fans, die feiern ihn bei jeder Ballberührung. Es sind die letzten Minuten des holländischen Überfliegers im Dress der Oranje.
Nach dem Spiel verkündet er den Rücktritt aus dem Nationalteam. Er wolle sich in Zukunft ganz auf die Bayern konzentrieren, so der Ausnahmekönner.
In den gut 90 Minuten zuvor liess der 33-Jährige noch einmal seine ganze Klasse aufblitzen. Noch einmal tanzte er seine Gegner auf der rechten Aussenbahn schwindlig. Noch einmal wehte ein Hauch von Weltklasse durch die niederländische Elftal.
Dann war Schluss. Holland gewann gegen Schweden zwar mit 2:0, aber lediglich ein 7:0 hätte zur Barrage gereicht.
Ihm sei bereits vor dem Spiel bewusst gewesen, dass es seine letzte Partie für die Nationalmannschaft sei, gibt Robben nach dem Match zu Protokoll. Dennoch war er es, der die Mannschaft trotz der schier unlösbaren Aufgabe nach vorne trieb und beide Tore erzielte. Das 2:0: Ein Gedicht!
«Bloed, zweet en tranen», heisst ein Lied, das die Fans der Elftal immer wieder singen. Blut, Schweiss und Tränen sollen die Spieler auf dem Feld zeigen. Angelehnt an die Rede von Winston Churchill vor dem Eintritt der Briten in den Zweiten Weltkrieg.
Viel zu selten war diese Einstellung bei den Niederländern in der vergangenen Qualifikation zu sehen. Die Bereitschaft, bis ans Limit zu gehen, füreinander zu kämpfen, für Oranje zu schwitzen. Die bittere und logische Quittung: Holland verpasst nach der EM 2016 auch die WM 2018.
Hochkonjunktur hatte der Song von André Hazes vor allem an der WM 2010, als Holland um ein Haar Weltmeister geworden wäre. Im Final gegen Spanien hatte Robben den Matchball auf dem Fuss, scheiterte im Eins gegen Eins aber an Iker Casillas. Eine Szene, an die sich jeder Holländer und jede Holländerin mit Schaudern zurückerinnert. Drei Mal stand die Elftal im WM-Final, drei Mal zog sie den Kürzeren.
Doch der Glauben bei den Fans der Oranje blieb bestehen. So lange man einen Spieler wie Robben in den eigenen Reihen hat, dachte man sich von Maastricht bis Groningen, würde das mit dem Titel schon noch klappen.
Auch an der WM 2014 spielte Robben wieder überragend, er führte seine Mannschaft bis in den Halbfinal. Erst im Elfmeterschiessen gegen Argentinien mussten die weltmeisterlichen Träume begraben werden.
Polarisiert hat Robben schon immer, viele unterstellten ihm Fallsucht und Überheblichkeit. Jene Kritiker, die ihn gerne als «Schwalbenkönig» bezeichnen, sahen sich an der WM 2014 bestätigt, als Robben in der Nachspielzeit des Achtelfinals gegen Mexiko einen Elfmeter herausholte, der zur Entscheidung führte.
In Holland sieht man die Szene bis heute komplett anders: Es hat eine Berührung stattgefunden, glasklarer Elfmeter.
Auch gestern bot Robben wieder Angriffsfläche für Neider und Hater. Den Elfmeter zum 1:0 versenkte er nicht etwa mit einem strammen Schuss ins Eck, sondern per Panenka. Nonchalant chippte er das Leder in die Mitte des Tores und hatte Glück, dass Schweden-Keeper Robin Olsen mit dem Bein nicht noch ran kam.
Dem niederländischen Ausnahmekönner deswegen Hochnäsigkeit zu unterstellen wäre indes weit verfehlt. Wenn gestern einer «Bloed, zweet en tranen» zeigte, dann er. Während der Nationalhymne liess er seinen Emotionen freien lauf, nach seinem Treffer zum 2:0 jubelte er, als ob er Holland gerade an die WM geschossen hätte.
De tranen van Robben #NedZwe pic.twitter.com/rflVeeMeB4
— Martijn de Groot (@DeGrootMartijn) 10. Oktober 2017
Doch dem ist nicht so. Stattdessen muss der holländische Fussball nach der verpatzten WM-Qualifikation über die Bücher. In der gestrigen Startformation hatten neben Robben vielleicht höchstens die Verteidiger Daley Blind und Virgil van Dijk Weltklasseformat. Der Rest war höchstens Durchschnitt.
Im Sturm und Mittelfeld suchte man vergebens nach Superstars wie van Persie, Sneijder und Co. Sie gehören einer Zeit an, die vielleicht dereinst als goldene Ära des holländischen Fussballs bezeichnet werden könnte.
Zwischen 1974 und 2014 spielte Holland in Anbetracht der Grösse des Landes eigentlich immer über seinen Möglichkeiten. Einen Titel gab es zwar nur an der EM 1988, doch die Elftal prägte den Fussball dieser Jahre massgeblich.
Mit Arjen Robben verschwindet nun auch der letzte und vielleicht beste Akteur dieser glorreichen Zeit. Er, der Glasmann habe am längsten durchgehalten, scherzte er nach der Partie.
Doch zum Lachen war wohl den wenigsten im Oranje-Lager zumute. Denn mit Robben verabschiedet sich nicht nur ein Jahrhundertspieler, sondern wohl auch für lange Zeit der holländische Traum vom ersten WM-Titel.