Ein kalter Sonntag im November auf dem Heerenschürli, Schwamendingen: Die 200 talentiertesten 12-Jährigen des Kantons tragen auf 16 Teams verteilt ein Turnier aus. Adrian fällt sofort auf. Der Spieler des FCZ-Stützpunkts Meilen schiesst für sein Team die ersten vier Tore beim klaren Sieg. Ist er der neue Embolo am Schweizer Fussballhimmel? Vielleicht.
Fakt ist: Praktisch jedes Kind, das irgendwann mal in Berührung mit Fussball kam, träumt von einer Profi-Karriere. Früher gehörte neben viel Talent und Wille fast noch mehr Glück dazu, um überhaupt von Grossklubs entdeckt zu werden. Einer von 1000 schafft den Durchbruch, so die gängige Faustregel. Sie gilt noch heute. Allerdings hat sich vieles verändert.
Um ein Talent wie Adrian hätten sich die Grossklubs früher gerissen und gezankt und womöglich wäre den Eltern der rote Teppich ausgelegt worden. Heute ist das nicht mehr so. «Natürlich hätten wir Adrian gerne bei GC», sagt GC-Footeco-Chef Johannes Moos. «Aber er wurde dem FCZ zugeteilt. Wir haben dafür andere Spieler.»
Die vermeintliche Gleichgültigkeit von Talent-Chef Moos hat einen einfachen Grund: In der Schweiz geht kaum mehr ein möglicher, zukünftiger Star vergessen. Im engmaschigen Ausbildungsnetz bleibt der geschickteste Dribbler hängen. Die Vereine arbeiten heute eng zusammen – und bei den Jüngsten tun dies selbst die Profiklubs. Denn hier, bei den 11- bis 13-Jährigen werden technisch wie auch psychologisch wichtige Weichen gestellt. «Bis zur FE14 herrscht Austausch und Zusammenarbeit, erst ab der Stufe U15 wird die Rivalität intensiver», sagt Roman Hangarter, der Technische Leiter von GC.
Das Zauberwort heisst Footeco.
Seit 2012 sucht und fördert der Schweizer Verband seine Talente mit diesem System. Grabenkämpfe um junge Spieler gehören der Vergangenheit an. Die Liga unterstützt das Vorhaben mit jährlich einer Million Franken. Dabei wird das Land in vier Regionen unterteilt:
Innerhalb dieser Regionen folgt eine feinere Aufteilung nach Klubs. Der Kanton Zürich bildet mit den drei Vereinen GC, FCZ und Winterthur dabei einen Sonderfall. So wird der Kanton bis auf Dorfebene eingeteilt:
Ein Talent des FC Wetzikon «gehört» also eigentlich dem FC Zürich, von Wettswil führt der Weg über GC und Effretiker Hoffnungsträger machen die ersten zaghaften Schritte zum Profi beim FC Winterthur. Sieht GC dann bei einem Stützpunktturnier ein grosses Talent, das dem FCZ zugeteilt wurde, dann ist das halt Pech. Abgeworben werden die Talente nicht. So wie Adrian. «Er wird seinen Weg wohl beim FCZ machen», gesteht Moos.
Die Talente werden kaum mehr «klassisch» entdeckt. Sie werden von ihren Vereinen gemeldet. Das nächste Mal sind alle Fussballklubs bis am 10. Dezember 2016 aufgerufen, ihre Besten mit Jahrgang 2006 mit einem Formular den grossen Klubs mitzuteilen.
Der Fussballverband lädt die Talente dann zu drei Sichtungstrainings im Frühling ein. Dort werden sie in drei Töpfe eingeteilt:
Die Spieler aus Topf A und diejenigen aus B, für welche es reicht, werden ab dann wöchentliche FE12-Stützpunkttrainings (FE = Footeco) zusammen absolvieren, welche vom Profiklub organisiert werden. Im Fall von GC befinden sich diese in Rapperswil, Wettswil, beim Juchhof, Glattbrugg und Limmattal. An jedem Ort trainieren ca. 16 bis 18 Junioren. Die Auswahl erfolgt dabei nicht willkürlich, sondern gemäss einem ziemlich ausführlichen Bewertungsbogen, welcher die Bereiche Technik, Intelligenz, Persönlichkeit und Schnelligkeit abdeckt.
Ebenfalls berücksichtigt wird der Entwicklungsstand. Ein im Januar geborener Junior, hat nun mal fast ein Jahr Vorsprung auf ein Dezember-Kind. Damit dann nicht nur die «Ältesten und Stärksten» ausgewählt werden, wird darauf geachtet, dass aus jedem Jahresdrittel etwa gleich viele Kinder die erste Auswahl überstehen. «Der beste 10-Jährige ist nicht immer der, der es auch schafft. Die aktuelle Leistung ist weniger wichtig als das Potential», sagt Roman Hangarter.
«Das Eingangsfenster ist relativ gross», sagt Johannes Moos, Footeco-Chef von GC. Zu ist die Türe danach für andere Talente natürlich noch nicht. Denn die grösste Herausforderung bleibt: Wer garantiert, dass die Trainer in den Dorfklubs auch wirklich die Talente erkennen und nicht einfach beispielsweise der Trainer- oder Präsidentensohn gemeldet werden? «Dieses Problem existiert in der Tat. Obwohl die Zusammenarbeit meist gut ist, geht es teilweise gar in die andere Richtung: Die besten Talente werden versteckt, damit sie weiterhin beim eigenen Verein bleiben», erzählt Moos.
Sinnvoll ist dies meist nicht. Denn bis zur FE14 gehören die Spieler weiterhin ihren Stammklubs, trainieren und spielen dort und sollten – wenn es nicht mehr reicht für den nächsten Entwicklungsschritt beim Grossklub – zurück zum eigenen Verein. Logisch, dass das nicht alle machen, sondern dann in der Region zum besten Juniorenteam wollen. Aber in den meisten Fällen klappt die Rückkehr und der Stammverein profitiert von einem gut ausgebildeten Spieler.
Um «versteckte» oder «nicht erkannte» Talente zu finden, besucht Moos selbst wöchentlich bis zu sechs Juniorenspiele: «Fünf von sechs Fahrten sind vergebens, aber manchmal findet sich so noch einer», sagt er. Die meisten Vereine hätten erkannt, dass das System am Ende allen hilft.
Während dem Jahr mit Stützpunkttrainings finden auch immer wieder Turniere der drei Klubs statt. Ende November war es zuletzt in Schwamendingen so weit. 16 Teams massen sich in zwei Achtergruppen. Eine Rangliste wurde nicht erstellt, Schiedsrichter gab es keine, Trainer hielten sich meist zurück. Es ist einer der Grundgedanken von Footeco. Die rund 200 Kinder sollen Spass haben und spielen, den Gegner respektieren und Fairplay leben.
Der Konkurrenzkampf ist noch nicht sehr ausgeprägt. Natürlich sehen die jungen Fussballer auch, dass Spieler wie Adrian besonders auffallen. Aber ob sie ihn auch als Konkurrenz wahrnehmen? Wohl kaum. Dies kommt noch früh genug. Denn nach 18 Monaten Stützpunkttraining werden die Kinder bei den Grasshoppers in vier FE13-Mannschaften aufgenommen – oder eben nicht. In der FE12 existieren beispielsweise bei GC neben den fünf Stützpunkt-Teams drei GC-Equipen. Aus acht mach vier, da bleibt gut die Hälfte auf der Strecke.
Bei den «regulären» GC-Teams auf FE12-Stufe spielen nicht unbedingt die ursprünglichen Jahrgangsbesten. Weil sie aber von drei wöchentlichen Trainings profitierten, sind sie anderen eher voraus. «Die Frage ist dann: War er talentierter oder sind die besseren Leistungen die Folge der Trainings?», sagt Moos.
Für Moos – und viele andere auch – ist klar: «Footeco ist vom Talentgedanken her super. Um bewerten zu können, ob das Footeco Programm tatsächlich mehr Talente hervorbringen wird, müssen wir noch abwarten.» Wird Adrian seinen Weg machen? Man weiss es nicht. Die Geschichten sind bekannt: Ronaldo, der Brasilianer, sei auch nicht der allerbeste Junior gewesen. Anderen Teamkollegen trauten viele in frühen Jahren die Megakarriere eher zu, welche «Il Fenomeno» am Ende erlebte.
So bleibt noch unklar, ob Footeco den Schweizer Fussball an der Spitze wirklich besser macht. Die Spieler mit Jahrgang 2001 konnten als erste vom ganzen Programm profitieren, sie kommen jetzt langsam an die Schwelle zum Profitum. Ob es noch immer einer von 1000 schafft? Hangarter sagt: «Wir werden es sehen. Auch wenn es zwei von 1000 schaffen würde es bedeuten, dass wir auf dem richtigen Weg sind.»