Er ist sozusagen der vergessene Champion im Schweizer Fussball. Der Star, von dem niemand spricht: Stefan Frei. Der 31-jährige Torhüter aus dem St.Gallischen Altstätten – ein Cousin zweiten Grades von Rekordtorschütze Alex Frei – machte am vergangenen Sonntag alles, um zum zweiten Mal nacheinander mit den Seattle Sounders den Titel in der nordamerikanischen Major League Soccer zu gewinnen. Seine Paraden allein könnten einen ganzen Highlight-Film füllen. Doch weil seine Teamkollegen von der Übermacht des Toronto FC förmlich überrollt wurden, blieb dem Keeper diesmal nur Silber.
Frei ist der erfolgreichste Auswanderer im Schweizer Fussball. Anfang der 1990er-Jahre debütierte er an der Seite der späteren Nationalspieler Tranquillo Barnetta und Reto Ziegler in der U15-Auswahl. Doch die Zukunftspläne der Eltern lenkten den grossgewachsenen Jüngling in die neue Welt.
Als Stefan 15 Jahre alt war, zog die Familie nach Kalifornien. Im Westen der USA, wo im 19. Jahrhundert der Schweizer Johan August Sutter den Goldrush entfacht hatte, fand Stefan Frei sein sportliches Glück. An der High School in Concord bei San Francisco avancierte er mit seinen furchtlosen Sprüngen und spektakulären Paraden zum Local Hero.
Obwohl als «Soccer-Spieler» einer amerikanischen Randgruppe zugehörig, wurde er zum «Athlet of the Year» gewählt. Nach seinem Vorbild gefragt, muss er nicht lange studieren: «Oliver Kahn, weil er in jedem Spiel alles gab und keine Rücksicht nahm – weder auf sich noch auf die Gegner.»
Dank seinen fussballerischen Grosstaten erhielt Frei an der renommierten University of California in Oakland ein Stipendium. Dort ging sein Aufstieg weiter. Mittlerweile ein Athlet von beträchtlichem Einschüchterungspotenzial (191 cm/88 kg), wurde er zum besten College-Torhüter gewählt – und vom Toronto FC verpflichtet. Dort lernte er die ganze Bandbreite der Emotionen kennen. Mit starken Leistungen etablierte er sich in der MLS.
In einer chaotischen Klubkultur erlebte er 13 Trainer und 200 Teamkollegen – und wurde selber aussortiert und nach Seattle transferiert. Es sollte ein Glücksfall werden. Seit drei Jahren gibt Stefan Frei mit den Sounders den Ton an. Da ist es Ironie des Schicksals, dass er am vergangenen Sonntag schon zum zweiten Mal mit Seattle in Toronto um den Meistertitel im US Soccer spielte. In der Metropole am Ontariosee lernte er einst seine Frau Jenny kennen, hier besitzt er noch immer eine Wohnung.
Vor Jahresfrist hatte er den Pokal mit einer Leistung gewonnen, die zur Legendenbildung taugt. Noch heute sprechen ihn die nordamerikanischen Journalisten auf eine seiner Paraden in der Verlängerung jener Partie an. In der Vorberichterstattung des diesjährigen Finals analysierten die Experten des Sportkanals TSN die Grosstaten erneut – und kamen noch immer zu keiner wissenschaftlichen Erklärung, wie Frei diesen Ball «aus dem Netz gehext hatte». Der Mann habe wohl ausfahrbare Arme, sagte der Analyst abschliessend.
Ohne übersinnliche Kräfte musste Frei auskommen, als er sich im vergangenen Sommer um die amerikanische Staatsbürgerschaft bewarb. Bei zehn Fragen waren sechs richtige Antworten gefragt. Frei löste die Aufgabe ohne Fehler: «Allerdings waren die Fragen nicht sehr schwierig», erzählte er in den US-Medien leicht belustigt. «Zum Beispiel: Welcher Ozean liegt im Westen der USA?». Weil Frei den Unterschied zwischen Atlantik und Pazifik kennt, ist er nun für die US-Auswahl spielberechtigt.
Die Seattle-Fans, die am Wochenende ihre Fussballmannschaft zu Tausenden nach Toronto begleiteten, haben ein zentralistisches Weltbild – zumindest, wenn es um den Sport geht. «Ein wichtigeres Fussballspiel als den MLS-Cup-Final gibt es nicht. Dieser Match ist mehr wert als der WM-Final», sagte eine weibliche Anhängerin im Bus zum Stadion. Sie hatte ihre Haare und die Nägel im Sounders-Grün angemalt. Ihr Begleiter nickte zustimmend – ob aus Überzeugung, aus partnerschaftlicher Solidarität oder aus Angst vor den grünen Fingernägeln, war nicht ersichtlich.
Letztlich jubelten im ausverkauften BMO Field aber die Kanadier unter den 31'000 Zuschauern. Erwachsene Männer hatten Tränen in den Augen. Die Jugend blies zum friedlichen Platzsturm. Feuerwerkschwaden durchmischten sich mit Konfetti-Regen. In Toronto tanzten die Menschen auf der Strasse. Das Servicepersonal in den Restaurants der Innenstadt legte die Arbeit nieder und blickte freudentrunken auf die Fernsehbildschirme. Der europäische Beobachter rieb sich verwundert die Augen. War Toronto nicht eine Eishockeystadt?
Eine solch famose Stimmung wegen eines Soccer-Games hätte er hier nicht erwartet. Und eine derart starke Leistung eines Schweizers schon gar nicht. Stefan Frei ist kein Teenager mehr. Mit einem Jahreslohn von 250'000 Dollar gehört er zu den Durchschnittsverdienern seines Teams. Doch in dieser Verfassung wäre er für jeden Super-League-Klub eine Bereicherung.