Über 131 Quadratkilometer erstreckt sich das Städtchen Carpi in der italienischen Provinz Modena. Rund 70'000 Carpigiani – so werden die Einwohner Carpis genannt – leben im Städtchen in der Emilia-Romagna.
Sportlich hat es Carpi dank zwei Zieletappen des Giro d'Italia in den Jahren 1998 und 2008 zumindest halbwegs in die Schlagzeilen geschafft. Das dürfte sich bald ändern. Über 100 Jahre nach der Vereinsgründung durch den Studenten Adolfo Fanconi fehlt dem FC Carpi noch ein Sieg zum Aufstieg in die Serie A.
Ein Blick zurück in das Jahr 2000. Die Associazione Calcio Carpi, welche über Jahrzehnte zwischen der dritt- und vierthöchsten Liga pendelte, geht Konkurs und wird in die Amateurliga relegiert. Es entsteht ein neuer Verein, der Carpi FC.
Bereits 2002 ist der Carpi FC zurück in der Serie D und fusioniert mit dem zweiten Klub der Stadt, der AC Dordando Pietri Carpi. Erneut gibt es eine Namensänderung, neu heisst der Klub Carpi FC 1909.
In der Saison 2010/11 steigen die Carpigiani in die dritthöchste Liga auf, nur zwei Jahre später folgt dann der erstmalige Aufstieg in die Serie B, die zweithöchste italienische Liga.
Im ersten Jahr erreicht der Neuling immerhin Rang 12 von 22 Teams in der Serie B. Im Sommer darauf folgt ein Trainerwechsel zu Fabrizio Castori, der nur wegen dem Ukraine-Konflikt seinen Job bei Metalurg Saporischschja nicht antritt und stattdessen nach Carpi kommt.
Unter Castori legt Carpi eine Wahnsinns-Saison hin, holt im Durchschnitt zwei Punkte pro Spiel und braucht fünf Spieltage vor Schluss nur noch einen Sieg zum sicheren Aufstieg.
Carpis Sportdirektor Christian Giuntoli ist sich sicher: Das sei kein Zufall, sondern die Realisierung eines Projektes, welches gewachsen und gewachsen sei. Giuntoli erklärt gegenüber goal.com: «Das Erfolgsgeheimnis ist eine gesunde Umgebung, basierend auf einer guten Management-Struktur.»
Die Besitzverhältnisse des Carpi FC 1909 verlagern sich auf drei Schultern. Stefano Bonacini und Claudio Caliumi halten je 35,83%, Klubpräsident Roberto Marani die restlichen 28,33%.
Entscheidenden Anteil am Erfolg hat CEO Bonacini, dem Geschäftsmann gehört die Mode-Marke «Gaudi». Er war es auch, welcher die beiden Stadtvereine noch während ihrer Zeit in der Serie D vereinte.
Trotz der Unterstützung von Bonacini hat der Klub knappe Ressourcen: Gemäss den letzten bekannten Zahlen betrug der Umsatz 2013 gerade mal 3,15 Millionen Euro, die Kosten allein für Spielergehälter betrugen 1,8 Millionen Euro. Cheftrainer Fabrizio Castori meinte kürzlich: «Das Budget des Teams ist auf dieses Jahr weiter zurückgegangen, wir sind nun bei unter drei Millionen Euro.»
Die Zuschauereinnahmen im Stadion Sandro Cabassi werden wohl nie die ganz grossen Budgetsprünge zulassen – die Kapazität ist auf 4144 Zuschauer beschränkt.
In der aktuellen Saison, welche die mit Abstand erfolgreichste der Klubgeschichte ist, gab es trotzdem kaum volles Haus. Der Zuschauerschnitt liegt bei gerade mal 2921.
Trotz des schmalen Budgets hat es Carpi geschafft, sich oben zu etablieren. «Wir zeigen, dass im Spiel nichts unmöglich ist, wenn man mit Leidenschaft und Intelligenz spielt», so Sportdirektor Christian Giuntoli.
Carpi hat eine junge Mannschaft gebildet, die aus vielen Spielerleihen von Serie-A-Teams wie Atalanta und Chievo besteht. Der von Milan ausgeliehene, 22-jährige Torhüter Gabriel hat bisher 20 Mal zu Null gespielt, der ebenfalls 22 Jahre alte nigerianische Stürmer Jerry Mbakogu hat 14 Treffer auf seinem Konto und wird bereits mit Borussia Dortmund in Verbindung gebracht.
Obwohl der Verein vergleichsweise wenig Fussballtradition hat, ist er derzeit die treibende Kraft in der Region. In dieser Saison konnten die grossen Rivalen in der Emilia-Romagna, Modena und der «Riese» Bologna, klar distanziert werden – keine Direktbegegnung ging gegen die prestigeträchtigen Rivalen verloren. Und aus der Serie A wird Parma absteigen.
Dass das kleine Carpi unaufhaltsam in Richtung Serie A marschiert, ist nicht allen Recht. Im Februar spielte Ischia-Manager Pino Iodice ein brisantes Telefonat von sich und Lazio-Präsident Claudio Lotito an die Öffentlichkeit weiter.
«Wir müssen schnell was ändern. Parma geht runter und du schickst mir Klubs wie Carpi, Frosinone oder Latina hoch in die erste Liga?», so Lotito am Telefon, der auch im Rat des italienischen Fussballverbandes sitzt.
«Einer davon wäre okay, aber zwei, die einen Scheiss wert sind? Ich habe mit meinem Geschick 1,2 Milliarden Euro für die TV-Rechte herausgeholt. Wer zahlt das noch in drei Jahren mit Carpi oder Frosinone? Die Sender wissen doch gar nicht, dass es diese Scheiss-Vereine überhaupt gibt», so der Lazio-Patron.
Das 70'000-Einwohnerstädtchen Carpi war daraufhin in aller Munde und viele kleinere Vereine solidarisierten mit T-Shirts oder Transparenten am Spieltag: «Je suis Carpi.»
Einer der wenigen Topklubs, welcher sich für Carpi einsetzte, ist Serien- und Rekordmeister Juventus. Deren Sportchef Beppe Marotta zeigte sich ab den Aussagen von Lotito erzürnt: «Im Ausland lacht man nur noch über uns. So jemand wie Lotito erinnert an die Zeit des Mittelalters.»
Bei Carpi selbst nimmt man die Sache relativ gelassen. «Wir werden unsere Philosophie nicht verändern», so Sportdirektor Giuntoli. «Wir werden uns weiter auf junge Spieler konzentrieren und wir werden die Serie A erklimmen, mit Jungs, die sie noch nie gesehen haben.»