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Ach Fussball, du unberechenbares Spiel! Es ist September, die Bäume haben noch all ihre Blätter und doch ist schon so vieles so anders, als wir es in den Saisonvorschauen gelesen, gesehen und gehört haben. Dass Borussia Mönchengladbach als erster Bundesliga-Klub den Trainer austauscht: Nein, damit hat nun wirklich gar keiner gerechnet.
Fünf Bundesligaspiele haben die «Fohlen» absolviert, alle haben sie verloren, genauso das Champions-League-Spiel beim FC Sevilla. Nach dem 0:1 in Köln kommt Lucien Favre zum Schluss, dass er sein Team nicht mehr weiterbringen kann. Er tritt – zum Ärger seines Klubs – zurück. Favre lässt mitteilen, das Team brauche neue Impulse. Er sei nicht mehr der perfekte Trainer für Mönchengladbach.
Das ist ein Entscheid, der Stärke suggeriert: «Seht her, ich mache alles für das Wohl des Klubs. Wenn es sein muss, opfere ich mich sogar für ihn.» Das ist die eine Sichtweise. Die andere ist: Hier ist ein Klub, der den Trainer bedingungslos stützt und willens ist, mit ihm durch die sportliche Krise zu gehen. Und hier ist ein Trainer, der darauf pfeift, der Klubführung und Spieler überrumpelt, sie im Stich lässt.
Die Fussballwelt ist sich über Favres Entscheid so uneinig, wie sie es wahrscheinlich zuletzt 1966 war, als Geoff Hurst im WM-Finale im Wembley in der Verlängerung an die Unterkante der Latte schoss und es nicht klar war, ob der Ball tatsächlich hinter der Linie war, als er von dort auf den Boden klatschte.
Lucien Favre ist nicht irgendein Trainer. Die Jury des Fachmagazins 11 Freunde hat ihn letzte Saison, als er Borussia Mönchengladbach nochmals weiterbrachte, bis auf Platz 3 und damit in die Champions League coachte, zum Trainer der Saison gewählt.
Favre ist ein Trainer, der weit über den Rasen hinaus denkt. In der Sommerpause las er den Beststeller «Darm mit Charme». Er habe das Buch über Ernährung und Verdauung gekauft, weil er gedacht habe, er könne seinen Spielern vielleicht etwas Wichtiges zu dem Thema sagen. So tickt der 57-Jährige. «Wenn du willst, kannst du lernen, bis du tot bist. Ich habe jeden Tag Spass daran, mich zu entwickeln», sagte Favre vor der Saison. Favre sei so oft als akribisch betitelt worden, konstatiert heute die «Rheinische Post», dass der Eindruck habe entstehen können, seine Amtskollegen hätten es nicht so mit Details.
Jahr für Jahr wurden ihm die besten Spieler weggekauft, er baute mit neuen Akteuren wieder ein erfolgreiches Team. Doch nun ist Favre zum Entschluss gekommen, dass ihm das mit diesem Kader nicht mehr gelingt. «Seine Mannschaften haben sich immer weiterentwickelt», lobte Weltmeister-Trainer Jogi Löw in seiner Laudatio über den «Trainer des Jahres». Nun ist der Romand damit gescheitert – weil er sich selber nicht mehr die Möglichkeit gab, den enttäuschenden Saisonstart zu korrigieren.
Es ist dieser Fakt, der dafür sorgen wird, dass Lucien Favre nicht Trainer bei Bayern München wird. Dort, so heisst es, wird Pep Guardiola vermutlich nur noch diese Saison arbeiten, und Favre galt schon längst als einer der Kronfavoriten auf seine Nachfolge. Nun aber gilt: Ein Trainer, der nach sechs Niederlagen nicht mehr an sich glaubt? Unvorstellbar bei den Bayern, nicht konform mit der «Mia-san-Mia»-Haltung des Rekordmeisters.
Überspitzt formuliert entspricht der Druck nach sechs Niederlagen im beschaulichen Mönchengladbach etwa dem Druck einer Niederlage beim «FC Hollywood» in München. Damit muss man klar kommen. Favre kann es offenbar nicht. Er hat Hertha Berlin in die Champions League geführt, er hat dies mit Borussia Mönchengladbach wiederholt. Er hat in der Bundesliga zwei Mal aus einer schwachen Mannschaft ein Top-Team geformt. Dass er auch in der Lage ist, ein Team, das bereits an der Spitze ist, noch besser zu machen, das wird nun bezweifelt.
Lucien Favre hat den Karren an die Wand gefahren und dann Fahrerflucht begangen – das ist der Eindruck, der von seinem Abschied aus Gladbach haften bleiben wird. Das ist genauso schade wie die Tatsache, dass er nun nicht als erster Schweizer Trainer von Bayern München werden wird. Und sollte ich mich irren, dann verweise ich gerne auf meinen Anfangssatz: Ach Fussball, du unberechenbares Spiel!
Ob es dennoch der richtige Entscheid gewesen ist, sie hier mal dahingestellt.