Eren Derdiyok war ein Schnellstarter. Gerade mal 13 Minuten hat er für sein erstes Länderspieltor gebraucht. 19 Jahre alt ist er damals gewesen, am 6. Februar 2008, als ihn Coach Köbi Kuhn auf den heiligen Rasen geschickt hat. Das Wembley-Stadion hat Derdiyok als Bühne gedient, um im Testspiel gegen England das 1:1 zu schiessen.
Zwar hat die Schweiz dann noch 1:2 verloren, doch für den jungen Basler ist es gleichwohl ein Traumdebüt gewesen. Für Blaise Nkufo in der Halbzeit eingewechselt, hatte er sich mit einem trockenen Antritt von Verteidiger Rio Ferdinand gelöst und David James cool bezwungen. Die Schweiz war sich sicher: Dieser Jungspund vom FC Basel ist ein riesiges Versprechen für die Nationalmannschaft.
Sieben Jahre und acht Monate später gibt es Derdiyok noch immer. Aber nicht in jener Rolle, die damals in London für ihn vorgezeichnet schien. Gestern Mittag ist der Stürmer weit mehr als Notnagel denn als Hoffnungsträger in Feusisberg eingerückt. Dort, wo sich das Nationalteam auf die beiden letzten EM-Ausscheidungsspiele gegen San Marino und Estland vorbereitet.
Weil einige Teamspieler verletzt, angeschlagen oder ausser Form und in ihren Klubs Bankdrücker sind, hat Coach Vladimir Petkovic den mittlerweile 27-Jährigen erstmals in seiner Amtszeit aufgeboten – gut zwei Jahre nach dem 46. und bisher letzten Länderspiel am 15. Oktober 2013 gegen Slowenien. «Es ist schön, nach so langer Zeit wieder zurückzukehren», sagte Derdiyok nach seiner Ankunft, «und all die vertrauten Gesichter wieder zu sehen.» Er habe die Nati die ganze Zeit über im Hinterkopf gehabt. «Aber jetzt will ich voll angreifen.»
Mutige Worte für einen, der in dieser Saison in der türkischen Süper Lig zwar für Kasimpasa Istanbul in sämtlichen Spielen auf dem Platz stand, insgesamt aber nur während 181 Minuten. Ein im Sommer 2014 im Training zugezogener Kreuzbandriss hatte ihn beinahe während der ganzen letzten Saison ausser Gefecht gesetzt. Jetzt ist er zuerst einmal dabei, Spielpraxis zu sammeln, um irgendwann wieder der «alte» Derdiyok zu werden.
Wer aber ist der «alte» Derdiyok? Jener Stürmer, der am 4. November 2008 in der Champions League im Camp Nou 12 Minuten nach seiner Einwechslung gegen den FC Barcelona das 1:1 für den FC Basel erzielte? Der 2009 gleich in seinem ersten Bundesligaspiel für Bayer Leverkusen ein Tor schoss? Dem 2011 gegen Wolfsburg mit einem fantastischen Fallrückzieher das ARD-Tor des Monats Oktober gelang? Der im Mai 2012 beim 5:3-Sieg gegen Deutschland drei Tore erzielte?
Oder ist es eher jener Derdiyok, der in drei Jahren Leverkusen den Durchbruch nie so richtig schaffte? Der danach bei Hoffenheim in Ungnade fiel und trotz eines 4-Jahres-Vertrags ausgemustert und in die Trainingsgruppe 2 versetzt wurde? Der vom einstigen Hoffenheimer und aktuellen Luzerner Trainer Markus Babbel als faul bezeichnet wurde? «Er bringt alles mit für einen internationalen Topstürmer, kann sich aber einfach nicht quälen. Nun spielt er statt für Real Madrid oder Barcelona in der Türkei …», sagte Babbel.
Vielleicht ist Derdiyok noch immer ein Schnellstarter. In der Süper Lig hat er auch gleich in seinem zweiten Spiel ein Tor erzielt. Und falls er gegen San Marino zum Zug kommt, ist es gewiss nicht unmöglich, dass er sein Comeback mit dem neunten Länderspieltor feiert.