Ab Mittwoch sind die besten Eishockey-Spieler der Welt wieder auf dem Eis: die NHL startet in eine neue Saison. Mit dabei natürlich auch das Schweizer Aushängeschild Roman Josi und seine Landsmänner Niederreiter, Streit und Co. – sie alle wollen für Furore sorgen in der besten Hockey-Liga der Welt.
Der Weg dahin fängt früh an und bis zum Star in der NHL ist er lang und beschwerlich. Einer, der weiss, was es genau braucht, ist Thomas Roost. Er ist NHL-Scout in Europa mit besonderem Augenmerk auf die Schweizer Talente. Wir haben uns mit dem Hockey-Kenner unterhalten.
Auf Ihrem Twitter-Profil kann man folgendes Zitat von Wayne Gretzky lesen: «You miss 100% of the shots, you don't take». Wie kommt's?
Thomas Roost: Es ist eine dieser trivialen Hockeyweisheiten. Ich kritisiere solches Stammtischgerede oft, aber dieses Zitat gefällt mir. Es zielt etwas auf das europäische Hockey, wo oft noch ein Pass zuviel eingestreut wird. Mit einem Schuss aufs Tor hingegen gibst du dem Goalie immer die Chance, einen Fehler zu machen.
Sie sind Scout im europäischen Raum für die NHL. Wem dient ihre Arbeit?
Ich bin in einem Mandats-Verhältnis angestellt und die NHL zahlt meinen Lohn mit Beiträgen von allen NHL-Klubs. Unsere kompletten Auswertungen sind für sämtliche General Managers in der NHL offen zugänglich und dienen den NHL- Teams als Zweitmeinung neben ihren eigenen Scouts.
Erzählen sie ein wenig über die Scouting-Arbeit.
Da hat sich in den letzten Jahren einiges geändert. Früher sass ich «nur» im Stadion, machte meine Notizen und schickte diese anschliessend ins NHL-Head-Office. Heute ist Scouting komplexer, auch weil Advanced Stats/Analytics Einzug gehalten haben und man die Spiele im Internet streamen kann. So hat der technologische Fortschritt natürlich auch Einfluss auf das Scouting genommen. In diesem Jahr sollen zum Beispiel die Florida Panthers alle ihre Drafts vorwiegend aufgrund von Analytics gemacht haben.
Und ihre Meinung zu dieser Entwicklung?
Aktuell brennt da etwas der Kampf zwischen der alten Garde, die sich fast ausschliesslich auf die persönlichen Eindrücke im Stadion verlässt, und der neuen, jungen Generation, die stark auf so genannte Advanced Stats/Analytics setzt. Ich meine, es braucht heute beides, es ist nicht «entweder oder» sondern «sowohl als auch». Du musst im Stadion sein, weil man vor Ort auch Dinge sieht, die keine Statistik wiedergibt und vielleicht im Video schlecht ersichtlich sind. Das Videomaterial und die Zahlen dienen dann der Kontrolle und Nachbearbeitung.
Wo sind sie denn überall mit ihrem Notizblock anzutreffen?
In der Schweiz schaue ich die Spiele der Juniorenteams, aber auch in der NLB und NLA. Wichtig sind auch die internationalen Turnier und Ländervergleiche, wie zum Beispiel eine U18- oder U20-WM. Dazu betreue ich neben der Schweiz und Deutschland situativ auch noch etwas «exotischere» Eishockeyländer wie z.B. Frankreich. Aktuell beobachte ich den Franzosen Alexandre Texier, ein Riesentalent bei Grenoble.
Welches sind aktuell die grössten Hockey-Juwele in der Schweiz?
Nico Gross (16) und Tobias Geisser (17, beide EVZ, Red.) sind zwei sehr heisse Eisen. Aus heutiger Sicht die besten Aussichten hat Nico Hischier (17). Er ist vielleicht das grösste Schweizer Talent, das ich während meiner schon 20-jährigen Tätigkeit gesehen habe.
Was macht ihn denn speziell aus?
Seine Spielintelligenz, das komplette Denken und die gute Spielübersicht. Er sieht manchmal Spieler und Passwege, die andere nicht sehen – da orte ich einen Hauch von Wayne Gretzky. Obwohl Vorhersagen bei Spielern in diesem Alter sehr fehleranfällig sind, glaube ich daran, dass er den Sprung in die NHL schafft.
Eine mutige Aussage.
Ja, aber dieser Junge ist wirklich aussergewöhnlich. Normalerweise beobachte ich die Talente in 5 bis 10 Spielen, bevor ich eine Empfehlung abgebe. Aber bei Hischier habe ich zu seiner Zeit als U14-Junior, ich war damals noch im Dienst des SC Bern, bereits nach nur einem Spieldrittel ein SMS an Sven Leuenberger gesendet: «Versuchen, sofort zu verpflichten!»
Was trauen sie Denis Malgin und Jonas Siegenthaler in Amerika zu?
Malgin und Siegenthaler leben aktuell noch etwas zu sehr von ihrem Talent. Was den nächsten Schritt in Richtung NHL angeht, bin ich aber momentan skeptisch, weil ich glaube, dass die mentale Stärke noch etwas fehlt.
Was ist denn aus ihrer Sicht der beste Weg, um es in die NHL zu schaffen?
Den absoluten Königsweg gibt es meiner Ansicht nach nicht. Wenn ich mich aber festlegen müsste, würde ich einem jungen Spieler empfehlen, sich zuerst in der NLA zu etablieren sofern er dort viel Verantwortung und Eiszeit übertragen erhält. Viel Eiszeit und dazu Einsätze im Box- und Powerplay sind wichtig und die beste Vorbereitung auf die NHL.
Haben die jungen Spieler, ähnlich wie beim Fussball, einen Berater an der Seite?
Ja, diese Talente haben natürlich auch die Möglichkeit, einen Berater zu engagieren. Nur sind nicht alle von denen seriös, weil einige von ihnen zu einseitig ans schnelle Geld denken und das «Big Picture» einer Karriere in den Hintergrund stellen. Da kämpft man im Eishockey mit den gleichen Problemen wie im Fussball.
Sprechen wir über Talent. Wie wichtig ist das eigentlich?
Es macht nur etwa 10% aus. Neben den technischen und physischen Voraussetzungen sind für mich die Lernfähigkeit und die Leidenschaft für den Sport die wichtigsten Punkte auf dem Weg nach oben.
Lernfähigkeit klingt gut. Wie meinen sie das genau?
Lernfähigkeit ist wichtig, um nicht schon früh zu stagnieren. Spieler mit einer steileren Lernkurve zwischen 14 bis 18 werden mit 25 wohl noch einige Spieler überholt haben, die früher auf einem besseren Niveau waren.
Und auch viel Leidenschaft ist entscheidend ...
Genau. Und mit Leidenschaft meine ich zum Beispiel, sich möglichst viele Spiele der Cracks anzuschauen und von denen zu lernen oder mit Freude auch mal ein Extra-Training einlegen. Kurz gesagt: Angefressen sein vom Eishockey.