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Interview

Steve Hirschi über seine Karriere: «Es ist ein Wunder, dass ich noch spielen kann»

Steve Hirschi wurde während seiner Karriere elf Mal operiert. 
Steve Hirschi wurde während seiner Karriere elf Mal operiert. 
Bild: Marc Schumacher
Interview

Lugano-Captain Steve Hirschi über sein Leben als Veganer: «Ich koche täglich eine Stunde»

Steve Hirschi (34) ist der Leitwolf des HC Lugano – und doch nie in den Schlagzeilen. Ein Gespräch mit einer grossen Spielerpersönlichkeit über eine bewegte Karriere.
30.12.2015, 18:0630.12.2015, 23:43
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Gestatten Sie ein wenig Nostalgie: Es gibt ein legendäres Bild von Ihnen und Beat Gerber aus Langnauer Zeiten im Frühjahr 2003. Ein Handschlag mit Fred Bommes, der sich damals für Langnau engagierte, der den Verbleib in Langnau dokumentieren sollte. Kurz darauf wechselten Sie nach Lugano.
Steve Hirschi: So? Wenn es dieses Foto gibt, dann lügt es nicht. Ich war damals wirklich drauf und dran zu bleiben. Es war für mich sehr schwer, Langnau zu verlassen. Das Herz hat mir weh getan.

Mit ein bisschen Bösartigkeit könnten wir jetzt sagen: Sie sind dem grossen Geld nachgelaufen.
Das können wir. Und es stimmt, die Offerte aus Lugano war besser als die von Langnau. Aber darum ist es nicht gegangen. Lugano war wie ein Traum für mich: Ein grosses Team und die Chance, um den Titel zu spielen. Dieser Traum war schliesslich stärker als meine Bedenken, von daheim wegzugehen.

Steve Hirschi
Geboren am 18. September 1981.
180 cm gross, 86 kg schwer.
Karriere: Bis 2003 SCL Tigers, seit 2003 HC Lugano. – Captain seit 2011. – WM 2002, 2004 und 2007, Olympische Spiele 2006. – Meister 2006. – Bisher (ohne die Partien in dieser Saison). 576 NLA-Spiele, 61 Tore und 117 Assists (Qualifikation) und 94 Spiele, 9 Tore und 15 Assists in den Playoffs.

Hätten Sie gedacht, dass Sie so lange im Tessin bleiben würden?
Nein, überhaupt nicht.

Warum Sind Sie so lange geblieben?
Weil es mir hier gefällt. Das Leben ist gut, meine Kinder gehen hier zur Schule und wir fühlen uns rundum wohl. Wir sind glücklich hier.

Seit 2003 ackert Hirschi bei Lugano. 
Seit 2003 ackert Hirschi bei Lugano. 
Bild: KEYSTONE/TI-PRESS

Ein Emmentaler in Lugano – das ist immer noch ein bisschen eine exotische Vorstellung.
Nun, ich habe mich verändert. Ich war ein «Stubenhöck» und wollte eigentlich nie fort. Darum war es für mich ja so schwer, Langnau zu verlassen. Und nun ist mir Lugano ans Herz gewachsen. Ja, so möchte ich es sagen: Ans Herz gewachsen.

Was macht die Faszination aus?
Ich mag den Lebensstil und das Klima hier. Die Tessiner haben eine gewisse Gelassenheit und Ruhe. Wenn ich hier um 12.00 Uhr abmache, ja, dann wird es halt meistens ein bisschen später.

Hatten Sie nie Angebote für eine Rückkehr in die Deutschschweiz?
Doch, sogar aus dem Bernbiet.

Vom SC Bern?
Einfach aus dem Bernbiet. Ich war sehr, sehr nahe daran, zu gehen. Eigentlich hatte ich mich schon dazu entschieden, Lugano zu verlassen.

Und warum sind Sie geblieben?
Wie ich vorhin sagte: Lugano ist mir ans Herz gewachsen. Wir steckten damals in einer Krise. Im letzten Moment habe ich entschieden: Nein, ich kann nicht gehen. Nicht jetzt. Ich kann die Mannschaft nicht im Stich lassen. Ich will hier nochmals Meister werden. Obwohl wir seither noch nicht Meister geworden sind, habe ich meinen Entscheid nicht bereut.

Sie gehören zum harten Kern dieser Mannschaft. Sie waren 2006 beim letzten Titel dabei. Warum hat es seither nicht mehr geklappt?
Es wird immer wieder unterschätzt, welch gute Mannschaft wir 2006 hatten. Wenn ich in der Garderobe sass und um mich schaute, dann sah ich mindestens 15 Spieler, die dazu in der Lage waren, eine Meistermannschaft zu führen. Echte Leader. Gerade im Rückblich muss ich sagen: Es war unglaublich. Nach diesem Titelgewinn haben wir sehr viele Spieler verloren. Das Talent haben wir mehr oder weniger ersetzen können. Aber nicht diese Persönlichkeiten. Auf einmal hatten wir nur noch zwei oder drei Leader und dieser Verlust an Führungspersönlichkeiten ist mit Talent nicht zu kompensieren. Wir stehen auch als Beispiel dafür, wie schnell im Sport etwas verloren gehen kann und wie schwierig und langwierig ein Neuaufbau sein kann.

Und wie viele Leader sehen Sie jetzt, wenn Sie sich in der Kabine umschauen?
Es werden immer mehr.

Sind es schon 15 wie 2006?
Nein, noch nicht. Aber ich spüre eine Veränderung. Den Willen in der Kabine. Spieler, die Verantwortung übernehmen wollen. Es ist eine echte Veränderung.

Hirschi wurde 2006 mit Lugano Meister. 
Hirschi wurde 2006 mit Lugano Meister. 
Bild: PHOTOPRESS

Und doch ist der Trainer schon wieder gescheitert.
Wir sind auch ein Opfer der zu hohen Erwartungen geworden. Vor der Saison war hier ein riesiger Hype. Aber wir entwickeln uns trotz allem in die richtige Richtung.

Mit viel Geld ist ja auch wieder viel Talent eingekauft worden. Ist zu viel Geld ein Problem.
Nein. Man weiss, dass hier Geld ist. Na und? Das ist doch nicht schlecht. Geld ist heute sowieso überall, auch in Bern, in Zürich oder in Zug. Geld gehört zum Profisport und darin unterscheidet sich Lugano schon lange nicht mehr von den anderen Klubs. Mich hat das sowieso nie interessiert und ich kümmere mich auch nicht darum, wie viele andere verdienen. Ich verdiene genug. Ich will jeden Tag lernen und besser werden. Das ist entscheidend.

Der Trainerverschleiss ist gross. Ist Lugano eine schwierig zu führende Mannschaft?
Sieht so aus, oder?

Ja.
Es ist aber nicht nicht so. Lugano ist keine schwer zu führende Mannschaft. Aber ich glaube, dass wir schwierige Typen sind.

Seid ihr das?
Auf eine gewisse Art schon.

Zu viel Geld, zu gutes Leben?
Nein, eben nicht. Das ist das Klischee, das nicht stimmt und von dem Sie auch nicht wegkommen. Wir haben sehr viele talentierte Spieler und glauben Sie mir, hier will jeder den Erfolg. Aber wir sind eben anspruchsvoll. Wir brauchen einen Mann, der uns führen kann und Klartext spricht. Wir brauchen eine starke, klare Führung und klare Vorgaben. Dann sind wir nicht schwierig und nicht kompliziert. Aber zu viele Freiheiten sind nicht gut für uns.

Hat Patrick Fischer die Mannschaft an einer zu langen Leine geführt?
Sagen wir es so: Wir fanden einfach keinen gemeinsamen Weg mehr.

Warum?
Vielleicht ist uns die Zeit davon gelaufen.Wir wollten mit ihm aus der Krise kommen. Das war unser Ziel. Wir hatten ja mit ihm auch vorher schwierige Situationen gemeistert und Wege und Lösungen gefunden.

Haben Sie sich für eine Entlassung von Patrick Fischer ausgesprochen?
Nein.

Hat man Sie gefragt? Sie sind schliesslich seit fünf Jahren Captain.
Ich werde um meine Meinung gefragt. Es gehört ja zu den Pflichten des Captains, im Dreiecksverhältnis zwischen Spielern, Trainer und Management zu vermitteln. Aber ich masse mir nie an, «Ja» oder «Nein» im Zusammenhang mit der Position meines Vorgesetzten zu sagen. Diese Kompetenz hat nur das Management. Ja, ich bin Captain. Aber ich bin trotzdem nur ein Angestellter dieses Unternehmens.

Hirschi ist seit fünf Jahren Captain beim HC Lugano. 
Hirschi ist seit fünf Jahren Captain beim HC Lugano. 
Bild: TI-PRESS

Sie sind in den letzten neun Jahren elf Mal operiert worden. Trainieren Sie zu viel? Wollen Sie zu viel?
Es stimmt, ich bewege mich seit Jahren am Limit. Ich verlange einfach von mir immer ein Maximum. Dabei habe ich es in der Vergangenheit auch übertrieben und dafür bezahle ich. 2006 erlitt ich im ersten Viertelfinalspiel gegen Ambri einen Kreuzbandriss und Meniskusschäden im linken Knie. Ich habe zwei Spiele ausgesetzt und wir lagen 0:3 zurück. Das konnte ich nicht ertragen. Ich liess mich schmerzfrei spritzen und kehrte aufs Eis zurück. Wir haben die Serie noch gedreht und ich habe bis zum Titelgewinn durchgespielt. Für jede Partie habe ich mich schmerzfrei spritzen lassen. Das war wohl nicht ideal. Mein Arzt sagt heute zu mir: ‹Hirschi, Du hast ein Knie wie ein 90-Jähriger.› Aber es war alleine meine Entscheidung. Ich wollte es so. Im Sommer konnte ich zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder auf dem Laufband traben.

Sie können nicht joggen?
Nein, das geht nicht.

Aber Eishockey spielen geht?
Ja, weil es eine andere Belastung des Knies ist. Aber es ist ein Wunder, dass ich noch spielen kann.

Haben Sie nie daran gedacht, einfach aufzuhören?
Oh doch. Zweimal war ich kurz vor dem Ende meiner Karriere. Zuletzt 2009. Ich hatte ständig Schmerzen im Knie, ich war oft krank und ich litt an Asthma und vor allem im Frühjahr an Allergien.

Wie haben Sie aus der Krise herausgefunden?
Ich bin zwar eher introvertiert. Aber trotzdem offen für neue Ideen. Mein Akupunkteur hat mir geraten, Veganer zu werden (ein Veganer verzichtet auf sämtliche tierische Produkte – die Red.). Ich sagte: ‹Veganer? Bist Du verrückt? Ich als Emmentaler, aufgewachsen mit Käse und Brot, Raclette und Fondue, ein Veganer? Unmöglich!› Aber dann sagte ich mir: ‹Warum nicht? Es zu versuchen kann ja nicht schaden!›

Und sind Sie jetzt Veganer?
Ja, seit zweieinhalb Jahren. Mein Körper hat sehr positiv auf meine veränderten Ernährungsgewohnheiten reagiert. Das Knie ist nicht mehr geschwollen, alle Entzündungen, das Asthma und die Allergien sind weg und ich fühle mich rundum wohl. Ich hätte nie geglaubt, dass so etwas möglich ist. Wir unterschätzen ganz offensichtlich die grosse Bedeutung der Ernährung.

Ist es als Mannschaftsportler überhaupt möglich, Veganer zu sein? Sie müssen ja auch zu Auswärtsspielen reisen und sich verpflegen
Es ist tatsächlich nicht ganz einfach. Wir essen ja auch vor und nach dem Spiel. Ich setze mich intensiv mit meiner Ernährung auseinander. Ich hätte es nie getan, wenn ich nicht in einer so schwierigen Lage gewesen wäre. Aber manchmal braucht es eine Krise, um zu einer Erkenntnis zu kommen. Wenn mir jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, ich würde einmal Veganer sein, dann hätte ich gesagt: ‹Geit's no?!›

Hockey spielen kann Hirschi noch – joggen geht allerdings nicht mehr. 
Hockey spielen kann Hirschi noch – joggen geht allerdings nicht mehr. 
Bild: KEYSTONE

Wie sehen Ihre Ernährungsgewohnheiten in der Praxis aus?
Ich koche selber. Ich bereite also meine Mahlzeiten selber zu. Dafür investiere ich jeden Tag gut eine Stunde. Das lässt sich als Profisportler gut machen. In Tupperware-Geschirr nehme ich die selber zubereiteten Nahrung mit zu den Auswärtsspielen. Es ist ein grosser Aufwand. Aber es lohnt sich. Ohne diese Umstellung könnte ich heute wahrscheinlich nicht mehr spielen.

Kochen Sie denn hier beim Spengler Cup auch selber?
Nein, hier geht es ausnahmsweise nicht. Ich achte einfach darauf, was ich esse und es ist kein Problem, weil wir im Hotel sehr gut verpflegt werden.

Dürfen wir Sie etwas Persönliches fragen?
Ja.

Werden Sie Ihrer Partnerin einen Heiratsantrag machen, wenn Lugano Meister wird?
Wie kommen Sie darauf?

Nun, Sie leben mit Ihrer Jugendfreundin seit Jahren zusammen, haben mir ihr eine Familie gegründet – aber Sie sind nicht verheiratet. Diesen Nonkonformismus würde man Ihnen als Emmentaler gar nicht geben.
Ja, das stimmt und in der Kabine hat es schon Sprüche in dieser Richtung gegeben.

Sie machen also bei einem Titelgewinn den Heiratsantrag?
Ja, ich denke, bei einem Gewinn der Meisterschaft, besteht eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass ich meiner Partnerin einen Heiratsantrag mache.

Auch bei einem Gewinn des Spengler Cups?
Nein. Es muss schon ein Meistertitel sein.

Alle Schweizer Meister seit Einführung der Play-offs 1985/86

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Alle Schweizer Eishockey-Meister seit Einführung der Playoffs 1985/86
2023: Genf-Servette HC, Finalserie: 4:3 gegen den EHC Biel.
quelle: keystone / salvatore di nolfi
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