Im Jahr 2013 holte die Schweizer Eishockey Nationalmannschaft an der WM in Helsinki und Stockholm sensationell die Silbermedaille. Vier Jahre zuvor sicherten sich die ZSC Lions den Titel in der Champions Hockey League – letztes Jahr schaffte es der HC Davos in den Halbfinal.
In der NHL sorgen die Schweizer Roman Josi, Nino Niederreiter oder Mark Streit für Furore und haben sich in der besten Hockey-Liga der Welt einen Namen gemacht. Ist das eidgenössische Eishockey also im Aufwind? Nicht wirklich, sagt NHL-Scout Thomas Roost, der ein besonderes Augenmerk auf Schweizer Talente hat.
Herr Roost, wo sind hierzulande die Talent-Hotspots?
Thomas Roost: Dies kann man nicht genau lokalisieren. Früher kamen die meisten guten Hockeyspieler aus Graubünden – das ist heute nicht mehr so. Am ehesten ist der Hotspot aktuell im Grossraum Zürich/Zug zu finden.
Also ist Davos mit Trainer Arno Del Curto nicht mehr DIE Adresse für junge Talente?
Nicht wenige zeichnen das Bild, dass Del Curto in Davos super mit den jungen Spielern arbeitet. Das mag vielleicht für NLA-Niveau stimmen, doch in die NHL hat es bis jetzt keiner der ehemaligen U20-Stars wie z.B. Gregory Sciaroni, Grégory Hofmann, Dario Simion oder Samuel Walser geschafft. Sie sind jetzt gute Spieler in der NLA, jedoch nicht in der NHL und auch keine Leistungsträger in der Nationalmannschaft. Arno Del Curto leistet ganz bestimmte gute Arbeit, aber nicht ganz so gute wie vielleicht einige meinen. In anderen Klubs wird ähnlich gut gearbeitet.
Wie sieht es in der Romandie und im Tessin aus?
Lange Zeit hinkten diese beiden Landesteile der Entwicklung hinterher. Zumindest in der Romandie hat man jetzt einen Schritt nach vorne gemacht und es gibt doch einige Talente, die in Genf und Lausanne landeten und sich dort positiv entwickelt haben. Ein Beispiel ist Noah Rod bei Genf, der 2014 von den San Jose Sharks als Nummer 53 in der zweiten Runde gedraftet worden ist und in seinem Vertrag eine Ausstiegsklausel für die NHL hat.
Blicken wir etwas zurück: Wieso haben Spieler wie Damien Brunner, Reto von Arx oder Michel Riesen in der NHL nie richtig Fuss gefasst?
Das ist sicher eine Folge der weltweit grossen Dichte an Spielern auf mittlerem NHL-Niveau. Die Zahl der Spieler aus der Schweiz, die es in der NHL zum wirklichen Star schaffen, ist sehr klein und der Weg an die Spitze somit schwierig. Roman Josi hat es geschafft und Nino Niederreiter ist nahe dran – alle anderen befinden sich aktuell höchstens im Leistungsmittelfeld. Da fanden sich auch Brunner, von Arx oder Riesen wieder – sie waren zu ihrer Zeit im Endeffekt einfach zu wenig gut, um realistische Ansprüche auf einen Stammplatz in einer ersten oder zweiten NHL-Linie anmelden zu können.
Aber man kann doch als Schweizer auch längerfristig im Leistungsmittelfeld der NHL bestehen, oder?
Grundsätzlich schon, doch da spielen die Manager zum Teil das Spiel mit dem Salary Cap (begrenztes Lohnbudget, Anm.d.Red.). Wenn sie an die Lohngrenze stossen, tauschen sie solche Spieler in der dritten oder vierten Linie aus. Sie engagieren einen neuen Spieler wie z.B. Brunner, der am Anfang mit weniger Lohn zufrieden ist als der mittelmässige Spieler, der nach zwei ansprechenden Saisons eine Lohnerhöhung verlangt. Zwei oder drei Jahre später dreht sich dann das Karussell erneut. Spieler wie Brunner sind mittelfristig mit einem NHL-Minimallohn auch nicht zufrieden.
Wie sehen Sie die Rolle von Roman Josi oder Mark Streit für das Schweizer Eishockey?
Sie sind grosse Vorbilder. Viel wichtiger aber finde ich, dass das Eishockey in der Schweiz später hoffentlich von der Erfahrung dieser Spieler profitieren kann. Zum Beispiel wenn sie zurückkommen und sich in der Juniorenausbildung engagieren. In Schweden ist das bei vielen Spielern der Fall und es zahlt sich aus. Bei Mark Streit (38) könnte eine solche Rückkehr bald Tatsache werden, läuft doch nach dieser Saison sein Vertrag bei Philadelphia aus.
Hat das Schweizer Eishockey in Amerika an Stellenwert gewonnen?
Ich glaube schon, dass mehr in Richtung Schweiz geschaut wird. Früher hiess es, die Schweiz sei zwar ein gutes Team, aber es fehlen die guten Spieler, die Stars. Das ist heute – sicher auch dank Spielern wie Roman Josi – nicht mehr ganz so.
Wie steht das Schweizer Hockey denn im Weltvergleich da?
Der Unterschied zwischen den klaren Top-6-Nationen Kanada, USA, Russland, Schweden, Finnland und Tschechien und der Gruppe mit der Schweiz, Norwegen, der Slowakei und auch Deutschland ist wieder grösser worden.
Aber in Europa können wir doch einigermassen mithalten, oder?
Nicht wirklich. Russland war schon immer deutlich besser und Schweden sowie in den letzten Jahren auch Finnland sind uns enteilt. Gerade in der Juniorenausbildung hat sich Finnland gewaltig weiterentwickelt. Da können wir mit der Entwicklung in der Schweiz nicht mithalten.
Und wie sieht es im Vergleich mit Deutschland aus?
Vor Deutschland müssen wir uns nicht verstecken. Im Juniorenbereich sind wir eher besser als unsere Nachbarn, doch die Unterschiede sind nicht sehr gross. In der Schweiz sowie in Deutschland stagniert das Hockey seit einigen Jahren. In der Champions Hockey League sind die Teams zwar erfolgreich, aber das muss man relativieren.
Wie muss man das relativieren?
Den finnischen und schwedischen Teams fehlen die 140 besten Spieler. Die sind entweder in Amerika (NHL/AHL), in Russland in der KHL oder bei uns in der Schweizer Liga engagiert. Die Klubs in Tschechien müssen auf die 90 besten Spieler verzichten. In der Schweiz sind es lediglich zirka 12 Spieler, die in einer ausländischen Liga spielen. Dazu kommt, dass die NLA-Klubs abgesehen von der KHL in Europa die höchsten Löhne zahlen können und darum die besten Ausländer in der Schweiz spielen. All das müsste wenigstens theoretisch dazu führen, dass die Schweizer Klubs die Champions League mehr oder weniger locker dominieren.
Was wird denn in der Schweiz falsch gemacht?
Es wird nichts falsch gemacht, aber es gibt im Weltvergleich schlicht und einfach Defizite in der Ausbildung und zwar vor allem in sehr jungen Jahren zwischen dem 10. und 14. Altersjahr. Da wird nicht ganz so gut gearbeitet wie in den Weltklasse-Nationen. Wenn ich die Spieler im Alter von 16 an den ersten internationalen Spielen beobachte, fällt auf, dass die Finnen und Schweden vor allem im Durchschnitt lauf- und stocktechnisch besser sind.
Da muss man doch aber auch beachten, dass Eishockey in Finnland oder Schweden fast schon Sportart Nummer 1 ist.
Klar, diesen Punkt darf man nicht vernachlässigen. Finnland hat bei 5 Millionen Einwohner ca. 75'000 lizenzierte Hockey-Spieler – in der Schweiz sind es 24'000 auf eine Einwohnerzahl von über 8 Millionen. Da braucht es hierzulande vielleicht mal eine Kampagne, um junge Sportler fürs Eishockey zu begeistern. Dies wird bei uns aber zu oft achselzuckend einfach so hingenommen und das verstehe ich nicht, denn exakt hier und bei der Ausbildung unserer Jüngsten müssen wir die Hebel ansetzen.
Wo und wie genau sollte der Hebel angesetzt werden?
Wir müssen mit smarten und emotionalen Kampagnen provozieren, dass wieder mehr Kinder Eishockey spielen. Wir brauchen mehr lizenzierte Spieler plus eine noch bessere Basisausbildung bei den Jüngsten und an der Spitze wünschte ich mir ein Programm analog des höchst erfolgreichen US-Projekts.
Wie sieht dieses Projekt aus?
In diesem Projekt werden die Jahrgangsbesten der US-Talente in einer Art Academy zusammengefasst und verbringen zwei Jahre mit höchst qualifzierten Ausbildnern und entsprechender Infrastruktur. Unsere Klubverantwortlichen und Entscheidungsträger müssen auch verstehen, dass es nicht die ZSC Lions, den SCB, den HCD oder den Spengler Cup zu bekämpfen gilt. Die Gegner sind Fussball, Unihockey und andere Sportarten – diesbezüglich müssen wir unseren Horizont vergrössern und das Gesamtbild betrachten.
Fazit: In nächster Zeit von einer weiteren WM-Medaille zu träumen, wäre verfehlt?
Ich glaube, es wäre die falsche Erwartungshaltung. Die Schweiz sollte sich wieder über Siege gegen Dänemark oder Norwegen freuen – das sind die Gegner auf Augenhöhe. Aber träumen ist immer erlaubt.
Bin auch von der Kompetenz beeindruckt. Solche Leute können jede Nation / jeden Verein verbessern.