Es ist Mittwoch, am Tag nach dem Erstrundensieg bei den Australian Open. Roger Federer sitzt mit Ivan Ljubicic an einem Tischchen. Als Belinda Bencic nach ihrer Niederlage das Spielerrestaurant betritt, umarmt Federer sie, muntert sie auf. Gleichzeitig nimmt sich Trainer Severin Lüthi Zeit für ein längeres Gespräch mit der «Schweiz am Wochenende».
Severin Lüthi, während wir hier
sitzen, bespricht Ivan Ljubicic mit
Roger Federer das Training. Wie teilen
Sie sich die Arbeit eigentlich auf?
Severin Lüthi: Meist besprechen wir uns
gemeinsam. Ivan denkt und fühlt immer
noch wie ein Spieler und gegen viele ist er
noch selber angetreten, das hilft enorm.
Ich kann von Ivan lernen, und er von mir.
Wir müssen auch nicht immer alle der
gleichen Meinung sein. Eine der grössten
Stärken Rogers ist, dass er sehr offen und
ehrlich zu sich selber ist. Das ist eine
Fähigkeit, die auch Stan Wawrinka hat:
Sich immer wieder hinterfragen, in guten,
aber auch in schlechten Momenten.
Unterscheidet diese Eigenschaft die
Besten von den Guten?
Gut möglich. Wenn Roger ein Turnier gewonnen
hat, sagt er sich nicht: «Hey, ich
bin der Grösste und muss mir gar nichts
mehr sagen lassen.» Er fragt sich trotzdem,
was er noch besser machen kann. Ich
kann ihm auch dann sagen: «Im Moment
finde ich deine Spielweise oder deine Einstellung
nicht gut.» Er hört sich das an.
Federer hat kürzlich gesagt, dass Sie
nicht genügend Wertschätzung erhalten.
Teilen Sie diese Einschätzung?
Wissen Sie, es gibt Menschen, nicht nur
Coaches, die machen das nur, um sich zu
promoten. Das ist nicht mein Ding. Aber
für mich geht es darum, dass es für Roger
stimmt. Ich könnte mehr Interviews geben
und mich mehr in den Vordergrund stellen,
aber was bringt das? Andererseits habe
ich gelernt, dass es auch nicht klug ist,
sich ganz abzugrenzen. Dann denken die
Medien, du seist ein komischer Cheib,
und wenn die Presse das dann dauernd
schreibt, ist es nicht ausgeschlossen, dass
das irgendwann auch Einfluss auf den
Spieler nimmt. Da muss man aufpassen
Sie sind nicht nur Federers Trainer,
sondern auch ein Freund. Ist das
manchmal nicht auch schwierig?
Wir haben beide grosses Vertrauen in die
Freundschaft. Ich glaube, für Roger ist das
schwieriger. Er muss sich sagen können:
Der Coach hat einen Mist erzählt, aber wir
sind immer noch befreundet. Dafür musst
du einen sehr ausgeglichenen Charakter
haben, Roger hat das. Ich glaube nicht,
dass es mit jemand anderem über so viele
Jahre so einfach wäre wie mit ihm. Auch
hier muss ich ihm ein Kränzchen winden.
Ich habe Roger schon vor Jahren gesagt:
Schau, ich reise nicht einfach als Freund
mit dir um die Welt. Wenn ich dir helfen
kann, dann mache ich das gerne. Aber ich
möchte nicht dein Anhängsel sein.
Manchmal sieht man auch Bilder von
Ihnen, wie Sie mit Federers Kindern
unterwegs sind.
Für mich gehört das dazu. Wenn ich ihm
als Freund helfen kann, dann mache ich
das gerne. Und wenn das bedeutet, dass
ich mit den Kindern mal in den Park gehe.
Denn vielleicht helfe ich ihm damit auch
als Spieler, weil er mehr Zeit für sich hat.
Befürchten Sie nicht, dass man dann
in Ihnen einen Babysitter sieht?
Ich glaube, das ist inzwischen kein Thema
mehr. Es kann sein, dass es Leute gibt, die
das immer so sehen werden. Aber ich habe
es nicht nötig, diese vom Gegenteil zu
überzeugen. Ich schaue nicht darauf, wie
etwas wirkt. Für mich ist in erster Linie
wichtig, dass Roger Vertrauen zu mir hat.
Wie eng ist der Kontakt mit Federer an
einem Turnier wie hier in Australien?
Hier sehen wir uns oft, wir wohnen auch im
gleichen Hotel. Meistens fahren wir auch
zusammen zur Anlage und zurück. Am
Abend gehen wir regelmässig zusammen
essen. Aber manchmal sind Freunde und
Familie da. Dann ist es schwieriger.
Brauchen Sie nie Abstand?
Doch, klar, das ist schon wichtig. Auch Roger
braucht das. Aber auch hier ist er sehr
entspannt. Er hat gerne viele Leute um
sich. Aber wenn du mehrere Wochen am
Stück unterwegs bist, freut es dich auch,
wenn du einmal jemand anderen treffen
kannst. Es ist wie in einer Beziehung. Man
muss miteinander reden, tolerant und offen
sein und auf der gleichen Wellenlänge. Es
kommt vor, dass ich Kollegen dabei habe.
Wenn Roger dann fragt, ob ich zum Essen
komme, sage ich auch einmal Nein.
Müssen Sie ihn eigentlich manchmal
zum Training motivieren?
Im Gegenteil: Man muss ihn manchmal
sogar bremsen. Roger würde nie sagen:
«Morgen trainiere ich nicht, ich habe keine
Lust.» Das ist schon unglaublich. Es gibt
sonst keinen, der so viel Freude am Tennis
ausstrahlt wie er. Bei allen anderen hast
du das Gefühl, es sei harte Arbeit. Bei Roger
hingegen merkst du, dass er es einfach
gerne macht. In dieser Hinsicht ist er ein
Phänomen. Der Enthusiasmus, den er
ausstrahlt, ist auch für mich inspirierend.
Wenn du so etwas im Leben findest, ist
das ein grosses Privileg.
Bei Ihnen ist es das Coaching?
Auf jeden Fall, der Sport generell. Ich sage
oft: Wenn wir um 9.00 Uhr in Zürich
trainieren und ich komme aus Thun, dann
stehe ich auch um 6.30 Uhr auf und stehe
im Stau. Aber ich denke am Vorabend
nicht: «Oh nein, morgen muss ich arbeiten.»
Manchmal bin ich müde. Manchmal würde
ich lieber etwas anderes machen. Aber
ich habe nie da Gefühl, zur Arbeit gehen
zu müssen. Auch das ist ein Privileg.
Was denken Sie über Menschen, die
glauben, mit Roger Federer als Spieler
würde jeder Trainer Titel gewinnen?
Es stört mich nicht, dass es Leute gibt, die
das so sehen und ich muss sie auch nicht
bekehren. Im Sport und im Tennis ist die
Leistung eines Coachs schwer messbar
und es ist klar: In erster Linie brauchst du
einen guten Spieler. Aus Ihnen werde ich
wohl keinen Wimbledon-Sieger mehr
machen. Ich bin überzeugt, dass ich einen
guten Job mache. Ich wäre nicht seit elf
Jahren mit ihm unterwegs, wenn ich nicht
vieles richtig machen würde. Andererseits
bin ich nicht so verblendet, zu denken,
dass wir immer alles richtig gemacht haben.
Auch ich hinterfrage mich ständig.
Sie sind seit dem vergangenen Sommer
verheiratet, ändert das für Sie etwas?
Ich habe zwei Leben: eines auf der Tour
und eines zu Hause. Dieser Spagat ist
nicht immer einfach. Aber wir sind uns
diese Situation seit vielen Jahren gewöhnt.
Wenn wir Kinder hätten, würde sich wohl
etwas ändern. Aber im Moment kann ich
mir nichts Besseres vorstellen.
Machen Sie sich keine Gedanken zur
Zukunft nach Federers Karriere?
Ich weiss, dass es nicht noch fünf Jahre so
weitergeht, darum versuche ich das jetzt
auch zu geniessen. Natürlich besteht dann
die Gefahr, dass du die Zukunft vergisst.
Aber mir ist schon klar: Ich kann danach
nicht aufhören, zu arbeiten. Es wird etwas
Neues kommen und das ist auch gut so.
Können Sie sich vorstellen, einen
anderen Spieler zu trainieren?
Das ist eine von vielen Möglichkeiten.
Aber einen Besseren als ihn gibt es nicht:
Menschlich, vom Tennis her, und dass er
auch noch Schweizer ist. Das ist kaum zu
toppen. Und zum Glück stellt sich diese
Frage derzeit gar nicht.
Und ein Wechsel in die Wirtschaft?
Ich habe viele Anfragen für Vorträge. Aber
für mich ist es so: Wenn ich etwas mache,
dann muss es Hand und Fuss haben. Das
Firmencoaching wäre interessant. Denn
es gibt viele Parallelen zum Sport. Wenn
du im Sport überheblich bist, wirst du bestraft.
Und im Leben ist es ähnlich. Im
Sport und in der Wirtschaft geht es um
Respekt, Demut und darum, dass Arbeit
sich auszahlt. Das finde ich spannend.
Letzte Frage: Federer verteidigt in
Melbourne den Titel, einverstanden?
Sagen wir es so: Es ist gut, zu wissen, dass
er zu den Favoriten gehört. Aber am Ende
zählt, dass du dich im richtigen Moment
steigerst. Ob das gelingt, weisst du nie.