Da blieben meine Eltern hart: «Sport am Wochenende» am Sonntagabend durfte ich nur schauen, wenn ich zuvor ein halbe Stunde lang das Blockflötenspiel geübt habe. Es blieb die einzige halbe Stunde in der Woche, weswegen meine musikalische Karriere überschaubar ist.
Umso bessere Erinnerungen als an die Blockflöte habe ich an das Sport-Flaggschiff des Schweizer Fernsehens. Schliesslich bin ich zu einer Zeit aufgewachsen, in der es nur recht selten Live-Sport gab. Die Skirennen wurden schon damals alle übertragen. Auch an die Übertragungen von Radrennen kann ich mich erinnern. Und zur Formel 1 konnte man schon damals ein Nickerchen machen. Aber sonst? Fussball fand längst nicht jeden Tag statt und im TV kamen eigentlich bloss die Länderspiele und der Cupfinal, dazu vereinzelte Europacup-Spiele der Schweizer Klubs.
Deshalb gab es Woche für Woche einen Pflichttermin: Sonntag, 18.45 Uhr. Dann begann die Sendung «Sport am Wochenende». Spätestens dann musste man zuhause sein, wenn man irgendwo zu Besuch war. Aber weil auch der Vater die Sendung sehen wollte, gab's selten Probleme, den Termin zu verpassen.
Und dann gab's im TV nicht bloss die Nationalliga A im Fussball. Sondern auch vieles, das heute keine Chance mehr hat, ausgestrahlt zu werden. Wie Radquer. Ich habe das Bild noch im Kopf, wie Beat Breu sich Watte in die Nase stopfte, damit die Schnudernase nicht ständig lief. Wahrscheinlich hat er danach Hans Jucker ein Sieger-Interview gegeben.
Oder die Waffenläufe. Gewann mal nicht Albrecht Moser, war's eine Sensation. Der bärtige Mitrailleur aus dem Berner Seeland dominierte die Szene beinahe nach Belieben und wurde acht Mal in Folge Schweizer Meister.
Populär waren auch Seitenwagen-Rennen. Die ganze Schweiz drückte Rolf Biland und Kurt Waltisperg die Daumen, wenn sie den Briten Steve Webster und dessen «Plampi» forderten. Hätte es damals schon Twitter gegeben: Das unterstützende Hashtag #VollgasBilandWaltisperg wäre an jedem Renntag im Trend gewesen. Dank ihres prägnanten Namens sind auch Güdel/Güdel, Paul und Charly, heute noch ein Begriff.
Auch Radball kam im TV: Eine Art Fussball auf dem Velo. Oder, noch lange vor Chris von Rohrs Forderung nach «meh Dräck», Motocross mit dem Brüder-Gespann Hüsser/Hüsser, Christoph und Andreas aus dem Aargau.
Und man erfuhr die Resultate der Nationalliga B in Fussball und Eishockey. So lernte ich schon im Kindergartenalter, dass man Ajoie «Aschwua» ausspricht und La Chaux-de-Fonds «Laschottfoh». Frühfranzösisch und Geografie auf einen Chlapf! Dank dem Sport erlangten wir Heranwachsenden der 80er-Jahre früh das Wissen, dass die Schweiz auch einen französisch- und einen italienisch-sprachigen Teil hat.
Absurd ist es, wenn einem einfällt, dass sogar die Gewinnfolge des Toto präsentiert wurde. In Zeiten, bevor man online rasch zehn Franken auf den Sieger von Everton – Stoke City setzen konnte, musste man noch an den Kiosk und den Ausgang von 13 vorgegebenen Fussball-Partien richtig tippen. Im TV klang das dann so: «112 X11 X21 XX1 1». Sexy!
Legendär sind die Moderatoren. Heinz Pütz, Martin Furgler oder Jan Hiermeyer, der auch Country-Lieder sang. Sie alle weilen wie Allzweckwaffe Jucker und Willy Kym nicht mehr unter uns. Und natürlich Bernard Thurnheer, der Beste von allen. Der charmante Jann Billeter füllt die grossen Fussstapfen von «Beni National» aus. Und wie schon früher begrüsst Matthias Hüppi auch heute noch die Zuschauer. Der St.Galler ist übrigens auch abseits der Kameras fast immer so gut gelaunt, wie er es am Bildschirm ist.
Hüppi steht zugleich für den Übergang der Sendung in die Moderne und für ihren Wandel. Denn wer frühere Sendungen anschaut, dem fällt ein Sprachfehler auf, den Hüppi bemerkenswert wegtrainiert hat. Auch das «Sport am Wochenende» musste sich weiterentwickeln, sich veränderten Interessen der Zuschauer anpassen und dem technischen Fortschritt Rechnung tragen. Irgendwann wurde der Name in «Sportpanorama» geändert und die Sendezeit von 45 auf 70 Minuten ausgebaut.
Radball verschwand aus dem TV, Radquer ebenfalls, die Waffenlauf-Meisterschaft wurde 2006 eingestellt (einzelne Läufe werden noch durchgeführt) und dass es die Seitenwagen-WM überhaupt noch gibt, musste ich durch Googeln herausfinden. Weltmeister 2016 wurden der finnische Malermeister Pekka Päivärinta und sein Beifahrer Kirsi Kainulainen, falls das in der Ära nach #VollgasBilandWaltisperg noch jemanden interessiert.
Fussballfans werden wohl immer bemängeln, dass die Zusammenfassungen der Spiele zu kurz seien. Unihockeyspieler kritisieren, dass ihr Sport generell viel zu selten gezeigt werde. Und Fechtfreunde begreifen vermutlich nicht, weshalb der Grand Prix in Bern nur zwei Minuten Sendezeit erhält und keine Viertelstunde, während für alle anderen Zuschauer schon diese zwei Minuten zwei zu viel sind. Die Redaktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens muss den Spagat genauso beherrschen wie Kunstturnerin Giulia Steingruber: Service public auf der einen Seite, echtes Interesse auf der anderen. Man muss beides bieten.
Die Welt dreht sich immer schneller, etwas bleibt: Die Sportsendung im Schweizer Fernsehen am Sonntagabend. Trotz pausenlosen Livesport-Übertragungen ist die kompakte Zusammenfassung des Tagesgeschehens wertvoll. Auch in der Zeit von Smartphones, mit denen jedes Resultat auf der Welt jederzeit abgecheckt werden kann, und in Zeiten von Social Media, wo noch während laufenden Ereignissen die Highlights zu finden sind.
Wenn es nur eine einzige Sendung gibt, für die sich die jährliche Billag-Gebühr lohnt, dann ist es das «Sportpanorama».