Neymar ist mir einfach nicht sympathisch. Ich mag weder seine Selbstinszenierung noch seine Tendenz, 15 Mal pro Spiel zu sterben, um wie durch ein Wunder wieder aufzuerstehen. Weder ist Ostern, noch ist er Jesus, selbst wenn es manchmal so wirkt, als halte er sich selbst für den Erlöser.
Da Neymar aber Fussballer ist, und darum geht's hier ja, sonst würde ich ins People-Ressort wechseln, zählt nur, wie gut der 25-Jährige kicken kann. Und das macht Neymar wie ein Halbgott. Deshalb ist es meist ein Genuss, ihm zuzuschauen. Wer den Fussball liebt, liebt gezwungenermassen auch Neymar.
Ich gebe es ja zu, ein bisschen habe ich mich gestern schon gefreut, als ich in meiner Resultate-App gesehen habe, dass Neymar gestern Abend mit Gelb-Rot vom Platz geflogen ist. Die Freude darüber ist mir heute Morgen beim Betrachten der Videos aber vergangen. Denn Neymar ist ein armes Schwein, da wird er 90 Minuten lang geschubst, getreten und gehalten und wenn er sich wehrt, wird er vom Opfer zum Täter.
PSG ist in der Ligue 1 zum Hassklub aller geworden. Alle gegen den grossen Bösen mit dem mächtigen und finanzstarken Katarer Nasser Al-Khelaifi im Hintergrund. Im Zentrum steht dabei natürlich der 222-Millionen-Euro-Mann Neymar. Geld, Geld, Geld, böse, böse, böse.
Was sich Neymar dann aber von den Rängen gefallen lassen muss, ist purer Hass, der nicht ins Stadion gehört. Bei einem Corner wird er mit Abfall beworfen. Es kommen nicht einfach ein oder zwei Bierbecher geflogen, sondern während zwei Minuten gefühlt der komplette Müll der ganzen Kurve. Erinnerungen an Luis Figo werden wach, der sogar mal mit einem Schweinekopf beworfen wurde.
Neymar ist der Timo Werner der Ligue 1. Das personifizierte Feindbild, da sind sich alle PSG-Gegner einig. Während Werner bei Retortenverein RB Leipzig spielt, ist Neymar selbst sowas, was man als Retorten-Spieler bezeichnen könnte. Ein für die Medien optimiertes Individuum, eine Geldmaschine, die zu Marketing-Zwecken ausgeschlachtet wird. Neymar ist selbst eine Marke.
Dass wichtige Spieler des Gegners über das ganze Spiel angegangen werden, ist ziemlich normal. Selbst im Amateurfussball wird dem gegnerischen Spielmacher gerne und oft auf die Füsse getreten. Ein Ausnahme-Spieler wie Neymar, der gerne lang am Ball und ohne Foul kaum zu stoppen ist, ist sich das natürlich gewohnt. Doch es gibt Grenzen und genau hier hat der Schiedsrichter die Aufgabe, solche Spieler zu schützen.
Denn Neymar wird nicht einfach gefoult. Er wird bewusst getreten. Es geht gar nicht mehr um den Versuch, ihn regelkonform vom Ball zu trennen. Dass irgendwann auch ein Neymar, wenn er ständig gefoult und provoziert wird, die Nerven verliert, ist nur verständlich. Denn irgendwo hinter den gezupften Augenbrauen, unter den mit Tattoos versehenen Haut, steckt doch noch ein Mensch.
Neymar wird in der Schlussphase gleich von zwei Marseille-Spielern in die Mangel genommen, gefoult, spielt aber weiter, nur um sich Sekunden später von Lucas Ocampos umtreten zu lassen.
Neymar erhebt sich und streckt Ocampos die Brust entgegen. Dieser nutzt die Gunst der Stunde, um den sterbenden Schwan zu spielen und sich theatralisch auf den Boden fallen zu lassen. Schiedsrichter Ruddy Buquet beweist kein Fingerspitzengefühl und zeigt beiden Spielern die Gelbe Karte. Weil es für Neymar die zweite ist, muss er das Feld verlassen.
Es mag verdient sein für Neymar, der mit solchen Aktionen selbst schon viele Karten für die Gegner provoziert hat. Trotzdem läuft sehr viel falsch, wenn Neymar während dem ganzen Match einstecken muss und sich nicht wehren darf. Bleibt er nach Attacken am Boden liegen ist er die «Pussy» – wehrt er sich, endet es wie gestern mit einem Platzverweis.
Ich mag Neymar noch immer nicht, wie viele andere auch. Deswegen darf der teuerste Fussballer aller Zeiten aber nicht zum Freiwild werden.