Als Roger Federer mit einem Ass seinen achten Wimbledon-Titel gewinnt, reisst er die Hände zum Himmel. Ungläubig streift er das Stirnband vom Kopf. Erst Sekunden später, als er auf seiner Bank sitzt, laufen Tränen über seine Wangen. Dies zeigt die Bedeutung des Moments.
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— Wimbledon (@Wimbledon) 16. Juli 2017
Auf den Tribünen klatschen die wichtigsten Wegbegleiter. Seine Frau, seine Eltern, seine Freunde, seine Trainer – und vor allem seine Kinder. Die Töchter Charlene und Myla werden im Sommer acht Jahre alt. Sie strahlen ohne Ende. Und erstmals sind auch seine Söhne Leo und Lenny da, adrett gekleidet in weissen Anzügen und hellblauen Hemden.
«Sie haben keine Ahnung, was passiert. Sie denken wohl, das sei ein cooler Spielplatz. Für uns als Familie ist das ein wunderbarer Moment», sagt Federer nach seiner achten Wimbledon-Sinfonie.
Oft genug schien seine Zeit als Tenniskönig gezählt. Oft genug wurde an ihm gezweifelt. Aber derjenige, der in diesen Debatten über allen steht, hat tief im Innern immer an weitere Grosserfolge geglaubt: Federer selbst. Wer an sich glaubt, komme weit im Leben, sagt er. Und wie das so ist mit Königen: Am Ende behalten sie meist recht.
Am Sonntag triumphiert Federer zum achten Mal in Wimbledon. Es ist der insgesamt 19. Grand-Slam-Titel. Beides ist Rekord. Und neuerlicher Beweis dafür, warum Federer als grösster Spieler der Geschichte gilt. Vor einem Jahr schien Federers Karriere in Wimbledon wegen seiner Knieverletzung dem Ende zuzugehen. Nun ist er magistral zurück.
Es ist kein Märchen wie zum Jahresbeginn in Australien, wo er nach sechsmonatiger Pause ohne grosse Erwartungen angetreten ist und am Ende dennoch gewann. Und doch die nächste Krönung seiner Karriere.
Der wahre Schlüssel zu seinem Erfolg liegt in seinem Umfeld, das ihm erlaubt, sein Talent bis zum Exzess auszureizen. Früh hat er aufgegleist, wovon er noch heute profitiert: ein funktionierendes Team aus Trainern, Managern, Anwälten und Freunden.
Beim Final sitzt mit Reto Staubli ein Jugendfreund im Publikum, der schon vor 14 Jahren dort sass, als Federer bei seinem ersten Grand-Slam-Titel noch Pferdeschwanz trug. Über seine Frau Mirka sagt er, dass er die Karriere morgen beende, wenn sie keine Lust mehr auf die Reisen habe. Die engen Vertrauten bilden einen Kern, der Federer mit externen Impulsen immer wieder revitalisiert.
Nie hat er sich als Endversion seiner selbst verstanden. Und doch treibt ihn heute weniger Hunger und Gier nach Siegen und Pokalen an, sondern die Liebe zum Spiel. Oft genug wirkte er in den letzten Jahren verbissen. Auf der Suche nach der ultimativen Erfolgsformel zuweilen fast stur. Seine Perspektive verändert sich erst, als sie sich verändern muss.
Als er vor einem Jahr schwierige Stunden erlebt. Mit geschwollenem Knie, mit einem lädierten Rücken. Er entschliesst sich, auszusteigen aus der Mühle, die der Tennis-Zirkus geworden ist. Die Routine hat auch ihn zermürbt.
Die Pause ist eine Erleichterung. Sie ermöglicht ihm eine Aussensicht auf sein Leben, die er so noch nie hatte. Er nutzte sie zum Wandern, zum Essen mit Freunden, verbrachte viel Zeit mit seinen Kindern. «Ich bin glücklich, habe ich mich so entschieden. Denn mein Leben geht auch nach dem Tennis weiter. Ich möchte ein guter Vater und Ehemann sein. Und ein Typ, der auch später noch Sport betreiben kann.»
Seither wirkt er befreit vom Trieb, sich selbst zu beweisen, der Beste zu sein. Er spielt 2017 nur sieben Turniere in sieben Monaten – und gewinnt fünf. «Mein Feuer erlischt nie», sagt er im Juni. Es tönt, als dürften sich seine Fans noch auf einige magische Momente freuen.
Es ist bezeichnend, dass Novak Djokovic, Andy Murray und Rafael Nadal, die allesamt jünger sind, den körperlichen Belastungen stärker Tribut zollen. Sie sind Prototypen der Tennis-Moderne, in der Athletik elementarer Bestandteil ist. Doch sind auch die Erfolge von Federer das Resultat von Arbeitsethos. Das wird oft verkannt – wegen der Virtuosität seines Spiels.
Trotzdem schuftet er abseits der Kameras härter, als manch einer vermuten mag. Dabei hat sich über die Jahre viel verändert. Aus dem Sportler wird erst der Ehemann, dann der vierfache Vater. Bereits zuvor der Vorsitzende der eigenen Stiftung, später als Teilhaber einer Agentur auch ein Unternehmer.
Um 15.37 Uhr britischer Zeit kommt es zur Wiedervereinigung mit dem Pokal, den er nun acht Mal gewonnen hat. Grösser könnte der Kontrast zum letzten Jahr nicht sein, als das Ende seiner Ära befürchtet wurde. Die letzten zwölf Monate haben Roger Federer die Chance gegeben, zu zeigen, dass ihn mehr ausmacht als Talent. Für einmal ist sein Erfolg ein Lehrstück aus Disziplin, Organisation, Wille und Glaube an die eigene Stärke.