Seit Sonntag ist die Radsport-Welt wieder in Aufruhr – und noch vielmehr die Welt ausserhalb der zwei Räder, die einmal mehr mit dem Finger auf Fabian Cancellara und Co. zeigen darf. Fette Schlagzeilen werden gedruckt und mit einer Wärmebildkamera geschossene Fotos kursieren, die belegen sollen, dass Veloprofis wie Grosis auf E-Bikes fahren.
Zwar bin ich weit davon entfernt, für irgendeinen Profisportler die Hand ins Feuer zu legen, dass er nicht betrügt. Aber solange es keine hieb- und stichfesten Beweise für das Motörli-Doping gibt, sind die Anschuldigungen einfach nur Behauptungen.
Der Beitrag des TV-Senders France 2 zeigt mögliche Betrugsfälle. Er liefert Indizien, welche die Zuschauer stutzig machen. Wieso hantiert Alberto Contadors Mechaniker an seiner Uhr herum und schaut dabei genau das Hinterrad an? Was macht Fabian Cancellara am Schalthebel und wieso fährt er just nach seinem Griff dorthin der Konkurrenz auf und davon? Und kann es wirklich sein, dass Chris Froome nur dank viel Training so schnell die Pässe hoch kommt?
Wir sehen die Bilder, wir lauschen den Experten. Und wir fragen uns: Was könnte denn sonst im Rahmen oder in der Nabe sein, das eine höhere Temperatur hat als der Rest des Velos? Mit der elektronischen Schaltung – längst etabliert – kann es nichts zu tun haben, sonst würde man dies bei jedem Velo erkennen können.
Der Beitrag erinnert in seiner Machart an zahlreiche Dokumentationen über 9/11: Informationen werden so präsentiert, dass am Ende auch rational denkende Menschen an der Lauterkeit der Akteure zweifeln. Dabei liefern die französischen Reporter keinen einzigen Beweis dafür, dass irgendein Radprofi ein Motörli in seinem Velo hat, niemand wird überführt.
Wieso wurden die Beschuldigten nicht dem Weltverband UCI gemeldet, so dass ihre Velos unmittelbar im Ziel und vor laufender Kamera kontrolliert wurden? Etwas hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen Frankreichs, welches die Tour de France Jahr für Jahr als grosses Spektakel aufplustert, jedenfalls erreicht: Der Radsport ist in aller Munde.
Der Glaubenskrieg wird so lange weiter gehen, bis der erste Fahrer im Strassenradsport – im Radquer flog anfangs Jahr die belgische Nachwuchsfahrerin Femke Van Den Driessche auf – mit einem E-Bike erwischt wird. Gerne möchte ich bis dahin daran glauben, dass der Profi-Radsport zumindest in dieser Hinsicht sauber ist. Es gibt nur eines, das mich an diesem Glauben zweifeln lässt: Die Geschichte des Radsports. Denn die lehrt uns, dass noch immer beschissen wurde, wo man bescheissen konnte.