Er ist in der Winterpause mindestens um 10 Jahre gealtert. Ortstermin Fahrerlager an der Strecke in Jerez de la Frontera im Süden von Spanien. Die letzten Tests vor dem Saisonstart. Alle sind mit den Höllenmaschinen da, die sie beim ersten Rennen (18. März in Katar) einsetzen werden. Es ist der erste Moment der Wahrheit. Wer jetzt nicht parat ist, wer jetzt noch hinterher fährt, wird auch während der Saison Mühe haben.
Wer im März langsam ist, gehört meistens auch im November noch zu den Hinterherfahrern. Für Dominique Aegerter (27) ist es eine bittere Wahrheit. Er hat die bestmögliche Maschine (KTM). Aber er kommt einfach nicht auf Touren. 23. bei den ersten Tests Anfang Februar, 26. bei den zweiten Tests Mitte Februar und nun bloss 24. an diesem zweiten Tag der finalen Tests. 1,4 Sekunden hinter der Bestzeit. Bitter für einen, der die Erfahrung, das Talent und das Material hat, um in der Moto2-WM um Siege zu fahren.
Was ist los? Das Problem ist ein «weicher» Faktor: Dominique Aegerter sagt: «Es wird alles zu viel für mich. Ich bekomme den Kopf nicht mehr frei.» Deshalb wirkt er wie um 10 Jahre gealtert. Aus dem feschen Rock’n’Roller, dessen Markenzeichen über die Jahre eine fröhliche Unbekümmertheit war, ist ein nachdenklicher junger Mann geworden. Es geht um viel Geld.
Weil sein Team (Team Kiefer) den Hauptsponsor verloren hat, musste Dominique Aegerter zusammen mit seinem Manager Dr. Robert Siegrist über die Wintermonate die Finanzierung der Saison 2018 stemmen. Sonst wäre seine Karriere wohl zu Ende gegangen. «Wir haben rund 700 000 Franken des Gesamtbudgets von 1,2 Millionen organisiert. Wenigstens kann ich jetzt wieder schlafen. Im Dezember und Januar bin ich ganze Nächste wach geblieben. Bis zur letzten Saison war ich einfach Fahrer und musste mich sonst um nichts kümmern. Jetzt hängt so vieles an mir, dass ich meinen Bruder Kevin angestellt habe, damit er mir den Rücken freihält.» Und er werde wohl vermehrt mit einem Mentaltrainer zusammenarbeiten.
Er sagt, er sei ein sparsamer Mensch und mit bescheidenem Lebensstil. «Ich bin geschockt, wenn ich jetzt sehe, was das alles kostet.» Er nimmt eine Liste hervor. Geht Punkt für Punkt durch. Übersee-Flüge, Tests, Hotels, Maschine, Ersatzteile, Mietwagen, Löhne für die Mechaniker und so weiter und so fort. Um solche Dinge hatte er sich früher nie gekümmert. Dafür war das Team zuständig.
«Jetzt muss ich für diesen Aufwand mit meinen persönlichen Sponsoren aufkommen.» Auch die 250 000 Franken, die er mit dem erfolgreichsten Crowdfunding unserer Sportgeschichte eingesammelt hat, kommen in den Topf. «Wenn wir nicht noch einen Hauptsponsor für unser Team finden, dann verdiene ich diese Saison nicht einen Franken.»
Statt mit Fahrwerkseinstellungen und Linienwahl muss sich Dominique Aegerter mit Geldfragen beschäftigen. Er kann Geist und Geld nicht mehr trennen. Erschwerend kommt dazu, dass sich immer wieder Leute mit ungebetenen guten Ratschlägen melden. «Ich werde meine Handy-Nummer wechseln müssen, um etwas mehr Ruhe zu haben.»
In der Moto2-WM haben alle die gleichen Motoren, die gleichen Reifen. Nur die Fahrwerke sind unterschiedlich. Das führt zu einer extremen Ausgeglichenheit. Wer den Kopf nicht frei bekommt kann nicht schnell sein. Aber der Erfolgsdruck ist hoch. Ein Platz in den ersten fünf der WM-Schlusswertung und dieser oder jener Podestplatz werden erwartet.
Zwei KTM-Piloten (Sam Lowes, Iker Leguona) stehen auf der Rangliste nach diesem zweiten Testtag auf den ersten beiden Plätzen. «Das macht es für mich noch schwieriger» sagt Dominique Aegerter. «Nun fragen alle: was ist los? Du hast doch auch eine KTM. Dass wir jetzt noch nicht das 2018er-Modell haben, interessiert niemanden.»
Draussen ist es inzwischen dunkel geworden. Dominique Aegerter wirkt müde. Und dabei hat die Saison noch nicht einmal richtig angefangen. Den Mut, den Kampfgeist hat er nicht verloren. Aber er ahnt, er weiss, dass er vor seinem schwierigsten Jahr steht. Er muss den letztjährigen WM-Schlussrang (12.) verbessern. Sonst könnte seine Karriere nach dieser Saison zu Ende sein. Dabei hat er die besten fünf Jahre als Rennfahrer noch vor sich.