Die Moto2-WM ist die zweitwichtigste der Welt (nach der Königsklasse MotoGP) und für die Piloten die technisch schwierigste. Die Ausgeglichenheit ist so gross, das Niveau und die Intensität der Rennen sind so hoch, dass an jedem Wochenende Details entscheiden.
Weltmeister Johann Zarco schien auch diese Saison lange Zeit nach Belieben zu dominieren. Aber auch er ist zwischendurch in Schwierigkeiten geraten. Damit haben wir im Gesamtklassement nach Tom Lüthis 13. GP-Sieg in Motegi und drei Rennen vor Schluss folgende Ausgangslage.
Tom Lüthi hat nach einem perfekten Start (Sieg zum Auftakt in Katar) im Sommer drei «Nuller» eingefahren. Weil er die Geduld verlor, zu viel wollte und zu stark forcierte, ist er in Assen und auf dem Sachsenring gestürzt. Er hätte in diesen beiden Rennen 20 bis 25 Punkte herausfahren können.
Das Rennen zum GP von Tschechien in Brünn musste er nach einem schweren Trainingssturz auslassen. Auch da wären sonst mindestens 10 Punkte möglich gewesen. Und nun schauen wir, das wäre, wenn Tom Lüthi 35 Punkte mehr auf dem Konto hätte.
Tom Lüthi wäre jetzt ein sehr ernsthafter Titelanwärter. Gewiss, wir sollten bei der Beurteilung eines Rennsportwochenendes nicht zu sehr ins Reich der «Historia Eventualis» abgleiten. Der «Hätte» und «Könnte» sind Zwillinge und stehen nicht nur im Sport am Ende immer mit leeren Händen da.
Aber in diesem Falle ist diese Spekulation schon angebracht. Denn nun folgt die Schlussphase mit den drei Rennen in Australien, Malaysia und Valencia. Auf allen diesen Strecken hat Tom Lüthi bereits Rennen gewonnen. Traditionell ist Tom Lüthi in der Schlussphase der beste Pilot.
Alles spricht dafür, dass er in den drei letzten Rennen einer der dominierenden, mit ziemlicher Sicherheit sogar der beste Pilot sein wird. Und deshalb hat die Behauptung einen realen Hintergrund, er habe den WM-Titel womöglich durch die drei «Nuller» verschenkt.
Nun mag man einwenden, Tom Lüthis Stärke im Herbst sei logisch. Kein anderer Moto2-Pilot hat seine Mischung aus Talent und Erfahrung – er ist seit der Einführung der Moto2-WM 2010 dabei. Die anderen Stars kommen und gehen (bzw. steigen in die Königsklasse MotoGP auf) – Tom Lüthi bleibt. Und weil er seine Titelchancen mit seiner traditionellen Krise um die Saisonmitte herum bisher jedes Mal vorzeitig verspielte, hat er in der Schlussphase nichts mehr zu verlieren, muss nicht mehr taktisch fahren und dominiert die Rivalen, die noch Chancen auf den WM-Titel haben.
Diese These ist nicht ganz so falsch. Aber Tom Lüthi hat 2005 in der letzten Phase der Saison, als es um die Weltmeisterschaft in der 125er-Klasse ging, maximalem Druck standgehalten, die Rennen in Malaysia und Australien gewonnen und sich schliesslich in Valencia den WM-Titel gesichert.
Wir können also davon ausgehen, dass er auch dann diese Schlussphase dominieren würde, wenn es auch für ihn um den Titel ginge. Theoretisch gibt es auch jetzt noch für ihn eine Chance. Er hat 43 Punkte Rückstand auf WM-Leader Johann Zarco. In den letzten drei Rennen sind 75 Punkte zu vergeben.
Aber es ist nur eine theoretische Chance. Und deshalb bleibt nur die wehmütige Erkenntnis, dass Tom Lüthi 2016 den Titel verschenkt hat.