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Wie Dummheit ein deutsches Töffwunder verhindert – und was Lüthi und Aegerter schlauer machen

Ein Fest, egal wer gewinnt: Die Fans am Sachsenring feiern 2014 den australischen Moto3-Sieger Jack Miller.
Ein Fest, egal wer gewinnt: Die Fans am Sachsenring feiern 2014 den australischen Moto3-Sieger Jack Miller.Bild: EPA/DPA

Wie Dummheit ein deutsches Töffwunder verhindert – und was Lüthi und Aegerter schlauer machen

Jedes Jahr pilgern mehr als 100'000 Menschen zum Töff-GP an den Sachsenring. Auch jetzt wieder. Aber Deutschland bringt es einfach nicht mehr fertig, Töffhelden zu schaffen.
11.07.2015, 10:2111.07.2015, 17:48
Klaus Zaugg, Sachsenring
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Ach, das waren noch Zeiten: Toni Mang gewann zwischen 1980 und 1987 fünf WM-Titel in der 250er- und 350er-Klasse und insgesamt 42 Grand Prix. Er war ein deutscher Sportheld und er fuhr einst mit dem Töff beim GP von Deutschland auf dem Hockenheimring mit dem Bundeskanzler eine Ehrenrunde. WM-Rennen wurden zwischendurch sogar von den öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten übertragen.

Deutschlands Töffkultur bringt zwar noch immer Weltmeister hervor. Aber keine Sporthelden mehr. Der Grund dafür ist – krass formuliert – Dummheit.

Ein Porträt über Toni Mang vor der Saison 1986.YouTube/barry6769
«Die deutsche Motorradkultur ist durchaus dazu in der Lage, Sieger hervorzubringen.»

Wer in Deutschland im Sport nationale Ausstrahlung haben will, muss siegen. Nur bei der Fussball-Nationalmannschaft interessieren sich die nationalen Medien auch für die Gründe von Niederlagen und Krisen. Aber immer wieder zeigt sich, wie durch Siege auch andere Sportarten (Tennis, Boxen, Skispringen, Biathlon) in Deutschland vorübergehend nationale Strahlkraft bekommen. In der extrem auf Fussball ausgerichteten deutschen Monosportkultur bekommen andere Sportarten eben nur dann ihren Platz in den nationalen Medien, wenn sie Sieger hervorbringen.

Die deutsche Motorradkultur ist durchaus dazu in der Lage, Sieger hervorzubringen. Aber die kleinkarierten Manager verstehen es nicht, diese Sieger durch langfristige Konzepte zu vermarkten. Der Horizont geht kaum über den Fahrerlagerzaun hinaus. Krassestes Beispiel dafür ist Stefan Bradl (26). 2011 gewann er die Moto2-WM und sieben GP in den beiden «kleinen Klassen» (125 ccm, Moto2). Aber er ist kein nationaler Sportheld geworden. Höchstens ein regionaler.

Stefan Bradl macht's gleich selber vor: Deutschland gähnt, wenn es heute von der Motorrad-WM hört.
Stefan Bradl macht's gleich selber vor: Deutschland gähnt, wenn es heute von der Motorrad-WM hört.Bild: Eric Gay/AP/KEYSTONE
«Wäre Stefan Bradl in der Moto2-WM geblieben, dann wäre er heute einer der populärsten Sportler Deutschlands.»

Der Bayer hätte alles, um einer der populärsten Einzelsportler Deutschlands zu sein. Wenn er, wie Toni Mang, Jahr für Jahr Siege herausfahren und um den WM-Titel kämpfen würde – dann könnte er in Deutschland durchaus einen Töff-Boom auslösen. Dafür hätte er auch alle Voraussetzungen: Die Persönlichkeit, die Herkunft (sein Vater Helmut war auch GP-Sieger) und das Talent, um Rennen und die WM zu gewinnen und über Jahre die zweitwichtigste WM zu dominieren. Darüber hinaus auf einem deutschen Fabrikat (Kalex) und erst noch mit einem deutschen Hauptsponsor im Rücken. Wäre Stefan Bradl in der Moto2-WM geblieben, dann wäre er heute einer der populärsten Sportler Deutschlands.

«Stefan Bradl ist nur noch eingefleischten Motorsportfans ein Begriff.»

Aber nach seinem Moto2-WM-Titel von 2011 machten Bradl und seine Berater, angeführt von einem österreichischen Journalisten (!) einen kapitalen Fehler. Sie stiegen sofort in die Königsklasse MotoGP auf. Dem kurzen Wahn, in der wichtigsten Töff-WM zu fahren, folgt nun die lange Reue: Ganz oben hat Stefan Bradl null Chancen auf Siege und nationale Medienpräsenz und natürlich stieg der Hauptsponsor aus. Als Hinterbänkler ist Stefan Bradl aus dem nationalen Sportscheinwerferlicht verschwunden und sein Name ist nur noch eingefleischten Motorsportfans ein Begriff.

Im Fahrerlager mögen zwar die MotoGP-Piloten alle Stars sein. Aber nur der Glanz verblasst nicht beim Verlassen des Fahrerlagers. Als der britische Moderator während der offiziellen MotoGP-Medienkonferenz vor einem Jahr hier auf dem Sachsenring den Deutschen geradezu euphorisch als Sporthelden feierte, wurde er von Stefan Bradl korrigiert: Draussen im Land kenne ihn kaum einer.

Bradl am Boden: Ein Bild, das symbolisch für das Ansehen einer ganzen Sportart in unserem Nachbarland steht.
Bradl am Boden: Ein Bild, das symbolisch für das Ansehen einer ganzen Sportart in unserem Nachbarland steht.Bild: Glenn Nicholls/AP/KEYSTONE
«Eine riesige Chance für den deutschen Töffrennsport ist vertan.»

In der aktuellen MotoGP-WM liegt Stefan Bradl im Gesamtklassement auf dem miserablen 19. Rang. Auf dem Sachsenring kann er nicht einmal fahren. Weil er beim letzten GP in Assen beim Hinterherfahren durch einen Sturz das Kahnbein gebrochen hat. Seine Karriere verliert sich im Nebel der Anonymität.

Eine riesige Chance für den deutschen Töffrennsport ist vertan. Die Motorrad-WM wird weiterhin bloss noch von Sparten-TV-Sendern übertragen, die sich seit 20 Jahren vergeblich bemühen, in einem Markt von 80 Millionen eine stabile Einschaltquote von mehr als einer halben Million zu erreichen. In der Schweiz schalten in einem Markt von etwas über fünf Millionen (Deutschschweiz) regelmässig mehr als 100'000 die TV-Apparate ein, wenn Tom Lüthi und Dominique Aegerter um die Rundkurse dieser Welt knattern.

Der erste Teil einer MDR-Dokumention über den Sachsenring (weitere Teile auf Youtube).YouTube/Kresse87

So gehören die vielen deutschen Piloten beim GP auf dem Sachsenring zur sportlichen Folklore und nicht zur Avantgarde, nicht zu Trendsettern, die für eine Renaissance ihres Sportes sorgen. Einige sind zwar durchaus konkurrenzfähig und gewinnen hin und wieder sogar ein Rennen – aber einen Dominator, einen Seriensieger, der über mehrere Jahre hinweg eine WM-Klasse prägt und es zu nationaler Prominenz bringt, haben sie seit Toni Mang, seit bald 30 Jahren, nicht mehr hervorgebracht. Die Kräfte werden auf alle Klassen verzettelt. Dabei stammt das Erfolgsrezept von einem grossen deutschen Strategen (Heinz Guderian): «Klotzen, nicht Kleckern».

«Warum kommen denn trotzdem Jahr für Jahr über 100'000 Menschen zum Sachsenring? Weil es ein grandioses Fest ist.»

In der Schweiz aber, einem Land ohne eigene Rennstrecke, war Tom Lüthi 2005 vor Roger Federer (!) Sportler des Jahres. Er und Dominique Aegerter zählen zu den bekanntesten Einzelsportlern des Landes. Weil sich beide über Jahre geschickt als Siegfahrer in der Moto2-WM vermarkten, ihre Heldentaten vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen direkt übertragen werden und sie sich bis heute gehütet haben, sich durch den Aufstieg in die Königsklasse MotoGP in die mediale Anonymität zu verabschieden. Zudem konzentrieren sie inzwischen ihre Auftritte im gleichen, gemeinsamen Team.

Uns bleibt die Frage: Warum kommen denn seit 1998, seit der Verlegung des GP von Deutschland hierher in die ehemalige DDR, trotzdem Jahr für Jahr über 100'000 Menschen zum Sachsenring? Weil es ein grandioses Fest ist, weit mehr als Sport. Und ich werde irgendwie den Eindruck nicht los, dass hier in Sachsen beim GP auch ein wenig Töffrennsport-Nostalgie gefeiert wird. Denn drüben in der alten BRD, in Westdeutschland, ist der Motorradrennsport bereits im letzten Jahrhundert untergegangen. Sowohl auf dem Hockenheimring als auch auf dem Nürburgring lockten die Töff-GP zuletzt nicht einmal mehr 40'000 Fans an.

Die Schweizer Fahrer in der Moto2-WM 2015

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