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Die hohe Kunst, im Töff-Business Ausreden von Analysen zu unterscheiden

Diskussionen: Dominique Aegerter erklärt seinem Team seine Sicht der Dinge.
Diskussionen: Dominique Aegerter erklärt seinem Team seine Sicht der Dinge.Bild: Waldemar Da Rin/freshfocus

Die hohe Kunst, im Töff-Business Ausreden von Analysen zu unterscheiden

Klagen über technische Mängel gelten im Töff-Business als Ausreden. Meistens stimmt es. Aber manchmal eben nicht. Wie im Falle von Dominique Aegerter und Marc Márquez.
10.08.2015, 07:1610.08.2015, 12:11
Klaus Zaugg, Indianapolis
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So viele Ausreden wie im Töff-Zirkus gibt es in keinem anderen Sport. Wenn es nicht läuft oder der Sieg verpasst wird, fehlt es am Material. Reifen, Fahrwerk, Zündung, Getriebe. Hätte man den richtigen Töff, dann wäre alles besser.

Wer diese Ausreden schlau einsetzt, kann Sponsoren und Medien über eine lange Zeit bei Laune halten. So gesehen ist in der Regel höchstes Misstrauen angebracht, wenn ein Fahrer sein Scheitern mit technischen Problemen erklärt.

Aber es gibt Ausnahmen, die diese Regel bestätigen. Zu diesen Ausnahmen gehören MotoGP-Weltmeister Marc Márquez und Dominique Aegerter. Der Spanier hat diese Probleme gelöst und siegt wieder. Der Schweizer nicht. Vieles spricht dafür, dass Dominique Aegerter drauf und dran ist die Saison 2015 wegen technischer Probleme zu verlieren.

Alte Maschine, neues Glück: Marc Márquez siegt wieder.
Alte Maschine, neues Glück: Marc Márquez siegt wieder.Bild: TANNEN MAURY/EPA/KEYSTONE

Honda hat auf diese Saison für MotoGP-Titelverteidiger Marc Márquez ein neues Bike entwickelt. Der Spanier kam damit gar nicht zurecht. Erst seit er auf die letztjährige Maschine umgestiegen ist, siegt er wieder. In der MotoGP-Klasse ist die technische Entwicklung die ganz grosse Herausforderung, die Mutter aller Dinge.

Auf eine Neuentwicklung zu verzichten ist beinahe ein Sakrileg. Diesen technischen Schritt zurück konnte bei Honda nur einer mit dem Prestige von Marc Márquez durchsetzen. Seine Klage über technische Probleme waren keine Ausrede, sondern eine treffende Analyse.

Dominique Aegerter hat diese Saison auch ein neues Bike bekommen. Er ist von Suter auf Kalex umgestiegen. Jetzt siegt er nicht mehr. Er fuhr beim GP von Indianapolis eines der besten Rennen seines Lebens – und war im Kampf um den Sieg letztlich doch chancenlos. In der WM steht er bloss auf dem neunten Gesamtrang. Er klagt über technische Probleme und müsste eigentlich auf die letztjährige Technologie umsteigen.

Aber so einfach ist es nicht. Sein Teamchef Fred Corminboeuf taxiert die Klage über die Technik als Ausrede. Schliesslich fuhr Dominique Aegerter in Indianapolis um den Sieg. Während zehn von 22 Runden lag er sogar in Führung. Technische Probleme? Sicher nicht.

Dominique Aegerter fuhr in Indianapolis um den Sieg mit.
Dominique Aegerter fuhr in Indianapolis um den Sieg mit.Bild: STEVE C. MITCHELL/EPA/KEYSTONE

Aber es sind tatsächlich technische Schwierigkeiten, die Dominique Aegerter seit Saisonbeginn immer wieder um gute Startpositionen, Podestplätze oder gar Siege bringen. Er sagt: «Wir sind technisch noch lange nicht dort sind, wo wir sein sollten, und im Training komme ich einfach nicht an die Zeiten der Besten heran. In Indianapolis waren die Rundenzeiten im Rennen wegen der besonderen Verhältnisse langsamer als im Abschlusstraining. Wenn die Besten wie üblich ihre Trainingszeiten auch im Rennen hätten fahren können, dann hätte ich irgendwo um Platz zehn gekämpft. Nur weil die Pace im Rennen nicht so hoch war, hatte ich ein recht gutes Gefühl. Wenn im Rennen wieder schneller gefahren wird, dann kann ich nicht mehr mithalten und das ist schon am nächsten Sonntag in Brünn zu befürchten.» Eine Ausrede? Nein, eine treffende Analyse.

Aegerter sollte nach Höherem streben

Aber Teamchef Fred Corminboeuf kann mit guten Argumenten darauf verweisen, dass es am Fahrer und nicht an der Technik liegt. Dass die Bremse wohl eher im Kopf zu suchen ist. Tom Lüthi kommt ja mit der Kalex immer besser zurecht. Er jammert nie wegen der Technik. Dafür, dass es in Indianapolis «nur» zum sechsten Platz reichte, übernimmt er die Verantwortung. «Indianapolis liegt mir einfach nicht. Schon im ersten Training bin ich gestürzt, weil das Vorderrad wegrutschte. Anfänglich war die Piste im Rennen noch nicht ganz trocken und ich wagte es einfach nicht, schneller zu fahren. In dieser Startphase habe ich das Rennen verloren.»

Als die Piste ganz trocken war, fuhr er dann schneller als Sieger Johann Zarco und Dominique Aegerter. Zweifel hat Tom Lüthi daher keine. Er freut sich bereits auf das Rennen am nächsten Sonntag in Brünn. «Diese Piste liegt mir und dort kann ich einen Spitzenplatz herausfahren.»

Mit Teamchef Fred Corminboeuf hat Dominique Aegerter noch etwas zu klären.
Mit Teamchef Fred Corminboeuf hat Dominique Aegerter noch etwas zu klären.Bild: KEYSTONE

Was für den einen gut ist, kann für den anderen falsch sein. In keinem anderen Moto2-Team sind zwei so unterschiedliche Stilisten unter Vertrag wie im «Schweizer Dreamteam». Tom Lüthi, der feine, sensible Stilist («Riesenslalom-Fahrer»), der mit der Kalex gut zurechtkommt und diese Saison auch schon ein Rennen gewonnen hat. Dagegen hat der raue Stilist Dominique Aegerter («Abfahrer») mit der Kalex grosse Mühe. Die hohe Kunst eines Teamchefs ist es, Ausreden von Analysen zu unterscheiden.

Dominique Aegerter steckt bei dieser Ausgangslage in einer schwierigen Situation. Für ihn stellen sich gleich mehrere, für seine Zukunft entscheidende Fragen: Soll er darauf bestehen, die Marke zu wechseln und nächste Saison zu Suter zurückzukehren? Aber dann bringt er Unruhe ins Team und verärgert Teamchef Fred Corminboeuf. Oder soll er lieber gute Miene zum nicht so guten Spiel machen und auf höhere Ambitionen und technische Verbesserungen verzichten? Soll er sich dem Frieden im Team zuliebe damit zufrieden geben, in der zweitwichtigsten Töff-WM in der vorderen Hälfte zu fahren und bloss hin und wieder bei besonderen Umständen ein Spitzenresultat zu erzielen?

Die Art und Weise, wie er in Indianapolis um den Sieg gekämpft hat, zeigt uns, dass Dominique Aegerter höhere Ziele anstreben sollte.

Alle Schweizer Töff-GP-Sieger

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Alle Schweizer Töff-GP-Sieger
Tom Lüthi: Zwischen 2002 und 2021 17 Siege, 64 Podestplätze und 1 WM-Titel (125 ccm). (Stand: 27.11.2023).
quelle: semedia / luciano bianchetto/semedia
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