Lambaréné ist ein Dschungelkaff. Von der Hauptstadt Libreville ist der Ort mit dem Auto in gut vier Stunden erreichbar. Rund 60 Kilometer südlich des Äquators liegt das Städtchen ruhig am Ogooué-Fluss, der ganz Gabun durchfliesst. Die Ruhe lockt viele Hauptstädter über das Wochenende hierher.
Der Ort ist dreigeteilt. Südlich des Flusses der neuste Stadtteil, auf einer Insel das Gründungsgebiet und der Hafen, sowie am nördlichen Ufer das «Hôpital Albert Schweitzer». Der Name «Lambaréné» kommt übrigens vom Wort «Lambareni», was in etwa «Versuchen wir es!» bedeutet. Die genaue Herkunft ist unklar. Eine Interpretation ist, dass die Ethnie der Fang auf ihren Eroberungszügen die Myene vertrieben. Diese «verschanzten» sich auf der Insel und versuchten eine neue Existenz aufzubauen.
Albert Schweitzer – als Deutscher geboren, als Franzose gestorben – studierte von 1905 bis 1913 in Strassburg Medizin, damit er im damaligen Französisch-Äquatorialafrika als Missionsarzt tätig werden konnte. So reiste er gleich nach dem Studium mit seiner Frau Helene nach Lambaréné.
Das mag zwar heute noch umständlich sein, aber immerhin per Flug und Autofahrt in einem Tag von der Schweiz aus erreichbar. Damals benötigte Schweitzer einen Monat. Mit dem Schiff kam er den Ogooué hinauffahrend an. Ich nahm das Boot ja nach meinem Besuch in Lambaréné in die andere Richtung und kann sagen: Es war 100 Jahre später noch gewöhnungsbedürftig.
Aber bleiben wir in Lambaréné. Ich nehme ein Taxi vom Zentrum zur Anlage. Wir fahren durch einen schönen Wald, in welchem einige Gräber für eine spezielle Stimmung sorgen. Der Schlagbaum zur Spitalanlage steht offen, wir rollen zum historischen Teil des Spitals.
Hier gibt es neben dem Museum Unterkünfte für Touristen. Die Anlage ist einfach, aber sauber und wunderbar ruhig. Das Spital kam allerdings erst im dritten (Ausbau-)Schritt hierher. Schweitzer gründete sein Spital erst in Andende, einer Missionsstation rund drei Kilometer flussabwärts.
Doch seine Ambitionen wurden wenige Jahre nach seiner Ankunft gestoppt. Als der 1. Weltkrieg ausbrach, mussten er und seine Frau das Land verlassen, weil sie deutsche Staatsbürger auf französischem Gebiet waren. Es dauerte bis 1924, bis der Arzt zurückkehren konnte und sein Spital (noch immer in Andende) neu aufbaute. 1927 zügelte er dann an den heutigen Standort.
Geld für die Reise und für sein Spital hatte sich der begnadete Organist mit Konzerten verdient. Jetzt wollte er hier im Urwald helfen. Schweitzer behandelte jeden und alles. Zumindest soweit er konnte. Die Menschen kamen mit Lepra, Elephantiasis (eine Flüssigkeitseinlagerung) Malaria und vielen damals bekannten oder unbekannten Krankheiten mehr.
Der Menschenfreund Schweitzer verlangte keinen fixen Preis für seine Hilfe. Wer nicht zahlen konnte, half danach vielleicht irgendetwas mit. Abgewiesen wurde niemand. Oft kamen die Kranken mit den ganzen Familien an. Alle wohnten dann im Spital, es wurde gemeinsam gekocht und ausgeholfen. Auch darum fühlte sich das Leben eher wie in einem Dorf als wie in einem Krankenhaus an. Es gibt Lebensmittelläden, eine Schule, einen Fussballplatz, ein Forschungsgebiet und vieles mehr.
Schweitzer behandelte in einem Privatzoo selbst Tiere. Antilopen, Affen, Wildschweinen oder Pelikanen wurde auf der Anlage geholfen. «Ehrfurcht vor dem Leben» war Schweitzers noch heute bekanntes Credo. «Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will», sagte der Arzt. Angeblich habe ihn eine Schifffahrt auf dem Ogooué zu dem Spruch inspiriert. Keinem Lebewesen konnte er etwas antun, nicht mal den lästigen Mücken in der tropischen Gegend.
1952 erhielt Schweitzer den Friedensnobelpreis. Dies verhalf nicht nur dem Spital zu weltweiter Bekanntheit. Mit dem Geld stellte Schweitzer das «Dorf des Lichts» wenige Meter ausserhalb der Spitalanlage fertig. Dort wurden Leprakranke behandelt. Noch heute leben rund 50 Personen in den paar Hütten am Fluss.
Nach Schweitzers Tod 1965 wurden zwar einige Stimmen laut, welche die hygienischen Zustände und den Umgang des Arztes mit der lokalen Bevölkerung kritisierten. Arnaud, der französische Chefarzt in Lambaréné, sagt: «Es ist nicht fair, jetzt über sein Handeln zu urteilen. Wir müssen die Umstände der damaligen Zeit berücksichtigen und wieso sollte er sich dann die mühsame Reise und Arbeit antun?»
Arnaud war 2009 auf einer Afrika-Reise und wollte eigentlich bis nach Kapstadt, doch er blieb hier hängen und bereut keine Sekunde.
Arnaud ist einer von nur noch ganz wenigen Europäern unter den rund 260 Festangestellten vor Ort. Ich treffe auch noch die beiden Schweizer Jérôme und Nils, die während zwei Wochen alle möglichen elektronischen Geräte reparieren. Zudem sind immer wieder Europäer während einer kurzen Zeit in Lambaréné, ob zur Forschung, als Arzt oder eben Handwerker. Medizinstudenten aus der Schweiz sollen 2018 wieder hierher kommen, die Vorlaufszeit sei jeweils sehr lange, wie Daniel Stoffel sagt. Der Schweizer ist Präsident der «Fondation Internationale de l'Hôpital du Docteur Albert Schweitzer».
Finanziert wird das Spital zum einen durch Spendengelder, zum anderen vom Staat. «Die Subventionen des Staates machen rund 50 Prozent unserer finanziellen Mitteln aus», erklärt mir Stoffel.
Allerdings macht sich auch hier die Öl-Krise bemerkbar. Die Gelder treffen oft mit Verspätung ein. Dabei existiert in Gabun mit der «CNAMGS» (caisse nationale assurance maladie et garantie sociale) eigentlich ein in der Region einzigartiges System, das unserer Krankenkasse gleicht. Alimentiert wird sie unter anderem mit Geld aus der Mobil-Telefonie. Dabei fliesst von den Anrufskosten jeweils ein Teil in die «CNAMGS»). Zumindest teilweise werden die Kosten daraus bezahlt. Aber eben: Wenig Geld durch Öl für den Staat, wenig Geld für «CNAMGS».
So steht die Zukunft des Spitals und das Vermächtnis Schweitzers in den Sternen. Es wäre schön, wenn es bald nicht mehr nur bei der älteren Generation klingelt, wenn der Name Lambaréné fällt.