Endlich geschafft: Roger Federer feierte in Cincinnati seinen ersten grossen Titel seit zwei Jahren. Der «Maestro», der eine Woche zuvor in Toronto im Final an Jo-Wilfried Tsonga gescheitert war, belohnte sich mit dem 6:3, 1:6, 6:2-Sieg doch noch für die starken Leistungen im Sommer. Kein anderer der Topcracks war in den letzten Wochen und Monaten auch nur annähernd so konstant wie der Baselbieter.
Die Experten, die Federer nach dem Seuchenjahr 2013 mit Rückenproblemen und vielen frühen Niederlagen bereits das baldige Karriereende prophezeiten, schwenken spätestens nach seinem 80. Turniersieg wieder um. «Ich habe im letzten Jahr tatsächlich geglaubt, dass Federer keinen Grand-Slam-Titel mehr gewinnen könnte. Aber er spielt wieder so grossartiges Tennis, dass alles für ihn möglich ist», glaubt John McEnroe.
Federer hat keine Probleme mit den Erwartungen: «Ich bin froh über das hohe Niveau meines Spiels. Ich muss nicht mehr an Kleinigkeiten herumbasteln, sondern da weitermachen, wo ich bei den beiden Masters-Turnieren aufgehört habe», sagt die 33-jährige Weltnummer 3. «Das ist ein sehr angenehmes Gefühl. New York kann kommen.»
In der Rolle des Topfavoriten hat sich Federer seit jeher am wohlsten gefühlt. Wer kann ihm also seinen 18. Grand-Slam-Titel streitig machen? Kandidaten gibt es auch nach der Absage von Rafael Nadal viele, doch allesamt schlagen sich derzeit mit kleineren oder grösseren Problemen herum.
Seit dem Wimbledon-Titel geht bei der Weltnummer 1 nicht mehr viel. In Toronto scheiterte Djokovic nach einem mühevollen Auftaktsieg gegen Gael Monfils an Jo-Wilfried Tsonga im Achtelfinal sang- und klanglos. In Cincinnati wiederholte sich das Szenario: Zunächst der mühevolle Sieg gegen Gilles Simon, dann das Aus gegen Tommy Robredo.
Djokovic ist auf der Suche nach seiner Form und wirkt bereits etwas ratlos. «Schlecht zu spielen und viele Grundlinienschläge zu verschlagen, das macht mir keine Freude. Es ist frustrierend», so der Serbe in Cincinnati. Doch mit Djokovic ist beim US Open zu rechnen. Anders als bei den Masters-1000-Turnieren tritt der 27-Jährige in New York nicht so schnell auf Gegner vom Kaliber eines Tsonga oder Robredo. Es bleibt genügend Zeit, das verlorene Selbstvertrauen in den ersten Runden wiederzufinden.
Der US-Open-Sieger von 2012 brachte in diesem Jahr lange kein Bein vors andere. Der Schotte wartet noch immer auf den ersten Turniersieg der Saison, in der Weltrangliste ist er mittlerweile auf Rang 9 abgerutscht.
Seit der Verpflichtung von Amélie Mauresmo als neue Trainerin geht es mit dem 27-Jährigen wieder leicht bergauf. In Toronto scheiterte Murray knapp an Jo-Wilfried Tsonga, in Cincinnati bedeutete Roger Federer nach einem packenden Duell Endstation. Findet Murray sein Selbstvertrauen wieder, muss mit ihm gerechnet werden.
Seit seinem überraschenden Triumph beim Australian Open hat der Romand ausser in Monte Carlo kein Turnier mehr gewonnen. Vor allem die fehlende Konstanz wird mehr und mehr zum Problem. Läuft alles nach Wunsch gehört Wawrinka zur absoluten Weltspitze, an einem schlechten Tag kann er aber gegen fast jeden verlieren.
Ein Paradebeispiel dafür ist die Achtelfinal-Niederlage gegen Julien Benneteau in Cincinnati. Spielte der 29-Jährige den Franzosen im ersten Satz noch an die Wand, kassierte er am Ende ein ganz bittere 6:1,1:6, 2:6-Pleite. Wawrinkas zweiter Grand-Slam-Titel wäre momentan eine noch grössere Überraschung als sein erster.
Der kanadische Aufschlagshüne hat alles, was es zum Topspieler braucht. Fast alles. Sein aggressives Spiel von der Grundlinie ist mittlerweile weitaus weniger fehleranfällig geworden als auch schon. Sein Aufschlag, der stets über 220 km/h schnell ist, gehört ohnehin zu den besten auf der Tour.
In Washington hat der 23-Jährige in diesem Sommer ein Hartplatz-Turnier gewinnen können, doch ein Makel ist er noch nicht losgeworden. Gegen Federer (0:6) und Djokovic (0:3) musste er stets als Verlierer vom Platz. Diese Bilanz muss sich ändern, wenn er in New York seinen ersten Grand-Slam-Titel holen will.
Wie Milos Raonic gilt der Freund von Maria Scharapowa als zukünftige Nummer 1. Der Bulgare, der wegen seiner ähnlichen Spielweise oft mit Roger Federer verglichen wird, hat in diesem Jahr den Durchbruch geschafft: Drei Turniersiege konnte er einfahren und hat im Halbfinal von Wimbledon Novak Djokovic alles abgefordert.
Gegen den mittlerweile auch schon 23-jährigen Dimitrov als US-Open-Sieger spricht eigentlich nichts, doch es spricht eben auch nicht viel für ihn. Es ist fast ein bisschen so wie vor Roger Federers erstem Grand-Slam-Sieg. Als dieser 2003 in Wimbledon triumphierte, war der erste Major-Titel wie heute bei Dimitrov eigentlich längst fällig und definitiv keine Überraschung mehr.
Mit viel Krach und Brimborium hat sich der französische «Tennis-Ali» in Toronto mitten in der Tennis-Weltspitze zurückgemeldet. Klar, Tsonga war schon lange ein unangenehmer Gegner. Aber wie er in der kanadischen Metropole der Reihe nach Andy Murray, Novak Djokovic und dann auch noch Roger Federer vom Platz bombte, war schon beeindruckend.
Eine vergleichbare Turnierwoche hat Tsonga noch nie hingelegt, sie übertrifft sogar den Finaleinzug beim Australian Open 2008. In Cincinnati verlor der 29-Jährige dann allerdings sogleich gegen Michael Juschni. Kann Tsonga in New York der Weltelite nochmals ein Schnippchen schlagen. Vielleicht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass einer des Duos Djokovic/Federer den Pokal am Schluss in die Höhe stemmt, ist ungleich grösser.