Seit seinem Triumph am Lauberhorn orientieren sich die Schweizer Speedfahrer an ihm: Patrick Küng, hochanständiger Lebemann, loyal, stylisch und absolut bereit für die neue Weltcupsaison. Der ehemalige Ski-Crack Marco «Büxi» Büchel traf den 30-Jährigen für watson kurz vor der Abreise nach Übersee auf ein Mittagessen in der Sagibeiz in Murg SG und entschuldigt sich sogleich, dass es halt auch in diesem Text nicht ganz ohne Helene Fischer geht.
watson: Reden wir nicht lange drum herum: ein Sieg am Lauberhorn ist etwas vom
Grössten für einen Schweizer Abfahrer. Du hast das im vergangenen Jahr
geschafft. Was hat dieser Sieg mit dir gemacht?
Patrick Küng: Was ich da erreicht habe, gelingt nicht vielen Menschen auf dieser Welt. So war dieser
Sieg vor allem eine Genugtuung für mich persönlich und der Lohn für die ganze Arbeit,
die ich über 20 Jahre hinweg investiert habe. Klar, ich musste 30 werden, um meine
erste Abfahrt zu gewinnen. Aber so konnte ich das alles auch besser verarbeiten.
Menschlich hat mich dieser Sieg nicht verändert. Glaub ich zumindest (lacht.)
Was ist eigentlich das Beste am Erfolg?
Erfolg ist für mich eine persönliche Sache. Ich meine, ich mache das im Grunde für mich.
Nicht in erster Linie für das Team. Oder die Schweiz. Allerdings: Würde ich mit Bestzeit
ins Ziel fahren und keiner wäre da, um das mit mir zu teilen, wäre das natürlich bitter.
Es ist deshalb extrem schön, die Fans hinter sich zu wissen. Im Ernst, den Skifans mit
einem guten Resultat Freude zu bereiten, ist ein super Gefühl. Nur, die Ehre der Schweiz,
die kann ich leider nicht retten.
Du hast sicher lange von diesem Sieg geträumt. War es so, wie du es dir vorgestellt
hattest?
Es war perfekt. Mein Vater war dabei und später kamen auch noch mein Bruder und
meine Kollegen dazu. Das war mega speziell. Der beste Moment war, als ich nach dem
Rennen im Helikopter über die Strecke fliegen konnte. Da hatte ich Zeit zu realisieren,
was ich geleistet hatte.
Wo die Sonne scheint, gibt’s auch Schatten. Erzähl mir von den Schattenseiten des
Erfolgs.
Ich musste definitiv lernen, Nein zu sagen. Es kamen ja brutal viele Sachen auf mich zu.
Drum hab ich jetzt natürlich auch weniger Zeit für mich und meine Kollegen. Aber ich
jammere nicht. Ich nehme das gerne in Kauf.
Kannst du dich noch richtig gehenlassen?
Absolut. Ich bin ein völliger Lebemensch.
Apropos gehenlassen: Machen dir die ganzen Smartphones und die sozialen
Medien keine Angst?
Heutzutage kann jeder jederzeit ungefragt fotografiert
werden.
Nach meinem Erlebnis in Whistler im Jahr 2010 ist mir das sehr deutlich bewusst. Ich
hatte mich damals nicht für das Rennen qualifiziert und war abends im Swiss House, um
die Medaillen meiner Kollegen zu feiern. Am nächsten Tag stand in der Zeitung «Küng
säuft ab». Das hat mich echt erschreckt. Klar, ich stehe zu allem, was ich mache und
bin mir meiner Vorbildfunktion absolut bewusst. Dennoch: Ein Tubel ist doch der, der
ungefragt Fotos macht und diese auf Facebook postet oder der nächstbesten Zeitung
schickt.
Wenn du etwas an deinem Job ändern könntest, was wäre das?
Ich hätte es gerne hin und wieder etwas wärmer. Und die Skischuhe dürften bequemer
sein. (lacht) Ausserdem würde ich auch gerne mal nur mit dem Beautycase verreisen,
anstatt immer tausend Sachen mitzuschleppen. Schwimmer haben es in dieser Hinsicht
definitiv besser als wir Skifahrer, die brauchen nur eine Badehose und eine Badekappe.
Als Skirennfahrer bist du auch Entertainer. Du unterhältst uns Zuschauer live
vor Ort oder daheim vor dem TV. Kann einer, der das nicht kennt, überhaupt
erahnen, was ihr da effektiv riskiert? Oder anders gefragt: Was unterschätzt der
hundskommune Skirennen-Konsument am meisten?
Hmmm, schwer zu sagen. Am Fernsehen kommen weder die Steilheit noch die
Geschwindigkeit richtig rüber. Aber es ist echt schwierig, dieses Gefühl einem Laien zu
erklären.
Versuchst du’s trotzdem?
Es ist immer wieder eine Riesenüberwindung, eine Abfahrt, beispielsweise die Streif in Kitzbühel,
runterzufahren. Unter uns: ein bisschen krank im Kopf musst du schon sein, um das zu
machen. Das kann sich keiner vorstellen, der das nicht selber erlebt. Du musst eigentlich
den Kopf ausschalten. Aber eben nicht komplett, sonst wird es echt gefährlich.
Dein Unterbewusstsein sagt dir also im Starthaus: Junge, lass das lieber bleiben?
Ja, definitiv. Ich bin nicht jeden Tag bereit, mich so zu überwinden. Manchmal habe ich
am Start ein richtig schlechtes, mulmiges Gefühl. Das heisst aber nicht, dass dann auch
das Resultat schlecht wird. Aber ja, ich frage mich auch manchmal: Gibt's in der normalen
Welt einen Job, bei dem du dich dermassen überwinden musst? Vielleicht bei einem
Banker, der mit enormen Summen dealt.
Was bedeutet «ein schlechtes, mulmiges Gefühl» genau?
Es bedeutet nicht, dass ich mich schwach fühle. Aber manchmal ist der Kopf einfach
nicht bereit. Ich bin dann quasi mental nicht in der Lage, an mein äusserstes Limit zu
gehen. Andererseits geht es genau darum. Du musst bei jedem einzelnen Rennen bereit
sein, ans Limit zu gehen. Nur dann kannst du deine beste Leistung abrufen und an der
Weltspitze bestehen. Ganz ehrlich: Man kann das nicht nachfühlen, wenn man es nicht
selber erlebt. Sorry, ich kann es echt nicht beschreiben. Es ist krank. Es kann aber auch
zur Sucht werden, sich in diesem Bereich zu bewegen.
Warst du schon immer so ein «kranker» Typ? Oder hat dich der Spitzensport dazu
gemacht?
Ich war schon immer von Geschwindigkeit fasziniert. Aber ich bin mit den Jahren eher
ängstlicher geworden. Früher war es so, dass ich zuerst gemacht und dann überlegt
habe. Heute ist es eher umgekehrt.
Hat das mit dem Alter zu tun?
Ich glaube schon. Ich war ein schlimmes Kind. Ich erinnere mich an diese Geschichte,
als ich neun oder zehn Jahre alt war. Ich stand oben am Berg, hätte aber pünktlich um
14 Uhr für das JO-Training unten bei der Talstation sein müssen. Also musste ich so
schnell wie möglich runter. Irgendwann haben sie mich unter einer Wurzel gefunden
und ausgegraben. Ich hatte wohl eine Kurve verpasst. Als ich endlich unten war, war
ich überall voller Blut. Meine Eltern haben mich kaum mehr erkannt. Aber eben, ich
wollte pünktlich zur JO, was willst du machen (lacht). Diese Mischung von Adrenalin und
Speed, das erzeugt einfach ein ganz besonderes, ein schönes Gefühl.
Was ist skifahrerisch deine grösste Stärke?
Ich bin der gefühlvolle Skifahrer. Ich spüre, wann ich den Ski gehen lassen muss und
kann das Tempo gut mitnehmen. Man nennt das wohl Renntaktik. Ja, Gefühl und
Renntaktik, das sind meine Stärken. Ich war auch immer ein relativ guter Gleiter. Klar,
das hat auch mit der Abstimmung zu tun. Aber eben auch viel mit Gefühl.
Und menschlich?
Eben, mein Gefühl. (lacht) Nein, ernsthaft, ich bin überzeugt von dem, was ich mache.
Wenn ich einen Plan habe, dann ziehe ich den durch. Ich kann mich zwar nicht immer
schnell entscheiden und lege mich nicht gerne zu früh fest. Aber wenn ich mich
entschieden habe, dann stehe ich dazu. Ich bin loyal, muss die Menschen aber erst
kennenlernen, bis ich sie an mich ranlasse. Das ist dann wohl eher meine Schwäche.
Gibt es etwas im Leben, das du unbedingt mal machen oder erleben möchtest?
In meinem Zimmer in meinem Elternhaus hing lange ein Plakat mit diesen grossen
Wellen in Hawaii. Ich bin ja am Walensee aufgewachsen und ein grosser Traum von mir
ist es, einmal im Leben in Jaws auf Hawaii diese richtig krassen Wellen zu erleben. Das ist
so extrem, die kommen mit so einer Wucht.
Du möchtest also keinen Marathon laufen?
Definitiv nicht. (lacht) Obwohl, ich war früher auch Läufer. Da war ich aber wegen dem
Massenstart immer viel nervöser als beim Skifahren. Massenstarts sind brutal. Ganz
heftig. Da bin ich lieber alleine oben am Start. Da kann ich zwar auch nicht los, wann
ich möchte, sondern muss immer auf diesen Piepton, auf das Startsignal, warten. Ganz
ehrlich, wozu braucht es diesen ekligen Piepton? Der macht mich immer voll nervös. Vor
allem hörst du den Ton ja schon bei den Läufern vor dir. Dann weisst du: Noch drei, noch
zwei, noch einer ...
Mir kam es manchmal vor wie auf einer Schlachtbank. Das Piepen wird lauter und
du weisst, bald hat dein Stündchen geschlagen ...
Genau. Das passt dann auch wieder zu dem, was du vorhin gesagt hast betreffend
Entertainer. Das Piepen zeigt dir an, dass die Bühne für dich frei ist. Dass deine Show
beginnt. So gesehen, passt es eigentlich.
Themawechsel: Was bedeutet dir Mode? Style? Man hört ja, du seist eitel.
Wenn eitel negativ gewertet wird, dann bin ich nicht eitel. Wenn eitel positiv gewertet
wird, ja, dann bin ich wohl eitel. In unserem Sport können wir diesbezüglich echt noch
aufholen. Aber ich will das gar nicht werten. Ich schaue auf mich. Ich style mich, wie es
mir gefällt.
Hast du modische Vorbilder?
David Beckham.
Echt jetzt?
Klar, ich fand den immer krass cool. Mittlerweile weiss ich aber selbst ziemlich genau,
was mir gefällt und was mir steht. Aber sein Style und seine Art fand ich schon sehr cool.
Auch Victoria ... (lacht)
Ein guter Moment, um nochmals das Thema zu wechseln. Was hast du eigentlich
gehört, als du im Auto hierhergekommen bist?
Radio. Ich höre sehr gerne Musik.
Helene Fischer oder Death Metal?
Naja, Helene Fischer macht ihre Sache schon ziemlich gut.
Das muss ich jetzt genau wissen. Wenn Helene Fischer im Radio läuft, drehst du
lauter oder schaltest du um?
Das eine, das Atemlos-Dings, das gibt es auch als Remix. Ich mag solche House-Remixes.
Genau wie diese Ibiza-Beachclub-Stimmung, wenn am frühen Abend die Sonne langsam
untergeht. Aber ich höre im Auto auch sehr gerne SRF1. Doku-Sendungen vor allem.
Was interessiert dich denn abgesehen vom Sport am meisten?
Ich interessiere mich sehr für das Weltgeschehen. Ich lese Zeitungen und verfolge die
Nachrichten. Ich möchte informiert sein.
Du kochst auch gerne.
Wenn ich in Zermatt vom Gletscher kam, schaute ich nach dem Mittagessen immer diese
Kochsendungen. Aber nur, weil um diese Zeit wirklich nichts anderes im TV lief und
mir die Kochsendungen beim Einschlafen geholfen haben. Aber irgendwann fand ich sie
dann recht interessant. Ich esse ja auch sehr gerne und würde eigentlich gerne besser
kochen können. Ich war deswegen auch einmal zwei Tage im Restaurant Schlüssel in Mels und durfte dem Koch über die Schultern schauen. Ich finde, solche Erfahrungen tun
jedem gut.
Welche Erfahrungen meinst du?
Man muss sich manchmal wieder bewusst werden, dass es auch andere Leute gibt, die
es nicht nur ring haben im Job. Ein Koch zum Beispiel erledigt einen mega strengen Job.
Das ist man sich nicht bewusst, wenn man vorne im Restaurant dreimal eine andere
Beilage zum Menü wählt. Das ist echt krass, was das hinten in der Küche auslöst. Ich
finde, jeder sollte einmal im Jahr einen solchen Jobtausch machen. Das erdet. Okay, ich
bestelle trotzdem manchmal noch eine andere Beilage.