«Seit ich mich erinnern kann, ist irgendwie irgendwo immer irgendein Birkner am Start. Simari kam dann später dazu. Und wenn ich mir diesen Stammbaum so ansehe und das wunderbare Bariloche nicht von einem Tsunami zerstört wird, werden wahrscheinlich auch 2026 noch irgendwelche Simari Birkners am Start von Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften sein.» Die Worte stammen vom legendären mexikanischen Skifahrer Hubertus von Hohenlohe. Er schrieb sie für den Kurier bei der WM 2015 nieder.
Jetzt, zwei Jahre später, können wir festhalten: Stimmt weiterhin. In St.Moritz sind mit Cristian (36), Maria Belen (34) und Macarena (32) drei Simari Birkners am Start. Angelica (22), die jüngste der Familie, wurde nicht für die WM aufgeboten. Dafür ist Mutter und Trainerin Teresita dabei. «Sie muss allerdings im Auto schlafen», sagt Macarena im Hotelrestaurant in Sils, wo die Simari Birkners Quartier bezogen haben. «Wir haben kein Geld für ein zusätzliches Zimmer.» Keine schönen Aussichten, wenn man weiss, wie kalt es hier im Engadin werden kann.
Das Geld, es war praktisch immer der entscheidende Punkt in den Karrieren der Simari Birkners, seit Cristian 1997 erstmals an einer WM startete. Zwei Jahre später kam Maria Belen dazu, seit 2001 ist auch Macarena regelmässige WM-Teilnehmerin. 2015 sorgte Angelica dafür, dass erstmals an einer WM vier Geschwister starten. Eigentlich hätte es bei Olympia 2014 in Sotschi schon soweit sein sollen, doch der Verband machte den Simari Birkners einen Strich durch die Rechnung. Maria Belen durfte nicht hin.
Mit dem Verband liegt die Familie spätestens seither mächtig im Clinch. «Geld gibt es keines mehr. Sie wollen uns aus dem Sport haben», sagt Cristian enttäuscht. «Sie haben eine neue Regelung eingeführt, dass nur Fahrer mit Jahrgang 1986 und jünger unterstützt werden», ergänzt Macarena.
Die Sponsorensuche ist schwierig, weil wenn der Weltcup über die Bühne geht, ist in Argentinien Sommer. Dann gehört die Aufmerksamkeit König Fussball, Rugby oder Polo.
So finanzieren die Simari Birkners ihre Karrieren mit Geldern von Familie und Freunden. Die Skifahrer können zwischendurch Geld verdienen, aber viel Zeit bleibt während dem Training und den Reisen nicht. Und regelmässig sind diese Einkommen sowieso nicht. Der Vater arbeitet jetzt während der WM als Skitrainer in Italien, die Mutter hat manchmal bei den Reisen zu den Rennen junge Athleten dabei, die sie daneben noch trainiert. «Meine Grosseltern besitzen eine Ranch, aber das reicht nicht, um uns alle zu finanzieren», sagt Cristian. Die Geldsuche beschäftigt sie immer.
Der Verband hat neben den Simari Birkners, die als Familienteam seit eh und je funktionieren, praktisch ein eigenes «Nationalkader» aufgebaut. «In Südamerika sind sie schnell, aber wenn sie nach Europa oder in den Weltcup kommen, haben sie keine Chance. Es liegt auf der Hand: In der Heimat wird bei der Zeitmessung manipuliert», sagt Macarena. Man merkt es, die Fronten zum Verband, der eigentlich unterstützen sollte, sind verhärtet.
Von den Medaillen sind die Simari Birkners auch an der WM 2017 weit entfernt. Ihre Bestleistungen sind Top-20-Plätze an Titelkämpfen, manchmal kommt ein Top-30-Rang im Weltcup dazu. Aber aufhören, das kommt nicht in Frage. «Wir lieben den Skisport», sagen sie. Seit sie denken können, haben sie nichts anderes gemacht.
Früher betrieben ihre Eltern in der Heimat Bariloche eine Skischule. Die Geschwister der Mutter nahmen 1984 und 1988 bei Olympischen Spielen teil. Es war der Anfang der Ski-Dynastie Birkner. «Wir rannten von der Schule nach Hause und gingen auf die Ski», erinnert sich Cristian. Bei den Junioren, da war er bei den besten der Welt.
«Aber als Berthod, Albrecht, Reich und Co. in die Nationalkader wechselten, machten sie einen riesigen Schritt.» Er jedoch erlebte, was viele Skifahrer aus kleinen Verbänden mit noch kleineren Budgets erleben: Es fehlte das Geld und damit die schnellen Entwicklungsmöglichkeiten.
Skifahren ist ein teurer Sport. «Es ist nicht wie Beachvolleyball», vergleicht Macarena. Die unterschiedlichen Möglichkeiten zu den grossen Nationen sind frappant, wie Bruder Cristian ergänzt: «Sie haben einen Servicemann, mehrere Skis, viele Trainer und erhalten von jedem Tor ein Feedback», sagt er zwischen zwei Bissen Salat und fügt an: «Wir haben uns». Eben erst kam er von München mit dem Auto im Engadin an.
Zuvor war der 36-Jährige 25 Tage in Südkorea. Er fuhr Rennen, arbeitete aber vor allem 20 Tage als Skilehrer. «Ich muss Geld verdienen», sagt er. Bald wird er eine Portion Spaghetti verschlingen. «Bring mir viel», meint er zum Kellner mit einem Lächeln.
Trotz all den Umständen – nur um «dabei zu sein», sind die Simari Birkners nicht hier. «Das ist meine achte WM. Wenn ich es nur einmal erleben wollte, warum wäre ich dann immer noch hier?», fragt Macarena. Sie sei zufrieden mit der bisherigen Saison. Auf der Rangliste interessiert sie der Rückstand mehr als der Platz: «Wenn ich im Weltcup unter 3,5 Sekunden auf die Siegerin ins Ziel komme, ist das gut.»
Cristian träumt auch mit 36 Jahren noch von diesem einen perfekten Rennen: «Ich hatte immer wieder gute Abschnitte, am nächsten dran war ich in Kranjska Gora 2001. Nach dem ersten Lauf lag ich auf Rang 30, im zweiten Durchgang legte ich einen der besten Läufe des Wettbewerbs hin, aber zwei Tore vor dem Ziel schied ich aus.»
Cristian glaubt, dass seine Karriere ziemlich erfolgreich verlief: «Zumindest unter meinen Umständen.» Er ist sich aber sicher, dass er es noch besser könnte. Das wäre dann auch sein grösster Wunsch: «Einmal eine Saison mit den Möglichkeiten der grossen Teams bestreiten. Dann würde ich sehen, was ich wirklich leisten könnte.» Auch Macarena sieht es ähnlich: «Einmal den Respekt und die Unterstützung erhalten, die wir verdienen. Das würde uns viel helfen.»
Ans Zurücktreten denken beide nicht. «Ich fühle mich besser denn je», sagt Macarena, und Cristian meint: «Solange ich auf diesem Niveau fahren kann, möchte ich dies machen. Es ist ein Privileg, das nicht viele haben. Ich könnte auch auf der Ranch bei meinen Grosseltern arbeiten, aber das würde deutlich weniger Spass machen.»
Mit dem Skisport möchte er, der heute mit seiner Freundin in Italien wohnt, verbunden bleiben. Dass der Name Simari Birkner wirklich auch 2026 noch bei Skirennen auftaucht, ist nicht nur dank Angelica möglich. Macarenas Tochter ist neunjährig und steht gerne auf den langen Latten, Cristian hat drei Söhne (acht-, vier- und zweijährig). «Der Älteste macht es schon ziemlich gut. Wenn er wirklich Skifahrer werden will, hoffe ich aber, dass er es als Italiener schafft. Nochmals eine Karriere mit den Umständen als Argentinier», sagt Cristian und lacht, «nein, das will ich nicht.»