Da, wo er herkommt, liegen Stecken, Nouss und Ries näher als der Fussballplatz. David von Ballmoos (22) wuchs auf der Lueg im Emmental auf. So ziemlich im Epizentrum des Hornussens. Okay, es schwingen auch ein paar Kollegen in der Gegend. Manche schiessen, wie von Ballmoos’ jüngerer Bruder. Aber Fussball? Mit dem Fahrrad wäre er um die anderthalb Stunden pedalt, um ins Training des FC Koppigen zu kommen. Allein der Weg in die Schule zog sich über eine halbe Stunde. Jeden Tag, bei jedem Wetter. Zurück natürlich länger. Der Hügel wegen, diesem steten Auf und Ab, den grünen Wellen des Emmentals.
Überhaupt spielt in David von Ballmoos’ Familie Sport nicht wirklich eine Rolle. «Ich bin der Einzige, der resolut Sport macht. Aber alle andern sind sehr musikalisch, was ich dafür nicht bin», sagt der neue YB-Keeper. Sein Weg zum grossen Herausforderer des FC Basel ist einer mit Kurven und Hindernissen.
Aber die Bestimmung trägt von Ballmoos irgendwie in sich. Seine Energie, dieser Überfluss an kindlicher Kraft. Stillsitzen geht nicht. Er ist in der dritten Klasse, als seine Lehrerin findet, ein bisschen Bewegung würde dem hibbeligen David nicht schaden. Also Fussball. Wegen eines Klassenkollegen. Mit ihm und dessen Mutter fährt er etwas über acht Jahre alt erstmals ins Training des FC Koppigen.
Seine Eltern hätten dazu – mit dem Hof, der zusätzlichen 100-Prozent-Stelle des Vaters und zwei weiteren Kindern – kaum Zeit. Und was war seine Mutter froh, als ihr David endlich eine Alternative fand zur gemeinsamen Arbeit mit dem Vater, der wegen seines Brotjobs kaum mehr da war. «Meine Mutter musste sich sehr anstrengen, wenn sie allein mit mir daheim war», erinnert sich der neue Mann im YB-Tor. Entspannt lehnt sich der Mvogo-Nachfolger im Ledersessel zurück. 1,92 Meter gross, 88 Kilogramm schwer. Trainer Adi Hütter nennt ihn einen «Riesenapparat».
Die Energie hat von Ballmoos besser gelernt zu kanalisieren in den fast 15 Jahren, die seit diesem ersten Kontakt mit dem Ball verstrichen sind. Mit seiner Grösse steht er bei den Junioren schnell im Tor. Und der Erfolg lässt nicht auf sich warten: Die Koppiger D-Junioren schaffen es in die Coca-Cola-League. Zweimal treffen sie dort auf YB. «Anscheinend habe ich überzeugt, obwohl wir in zwei Spielen ein Torverhältnis von 0:15 hatten», erzählt von Ballmoos. Dann schmunzelt er.
Martin Bürki, Vater von Nati-Goalie Roman, wird auf ihn aufmerksam und holt ihn zu den Young Boys in die U14. Und plötzlich pendelt der blonde Bauernbub aus dem Emmental in die Hauptstadt. «Eigentlich startete ich in meiner Karriere immer als vermeintliche Nummer 2 in die Saison, aber Ende Saison war ich immer der, der eine Stufe weiterkam», erinnert sich YBs neue Nummer eins.
Bis 2010 Yvon Mvogo aus Freiburg zu YB stiess und von Ballmoos plötzlich auflief. Der «schwarze Panther», wie sie den Kamerun-Schweizer Mvogo auch nennen, kriegt im Dezember 2013, als sich Marco Wölfli in Thun die Achillessehne reisst, den Vorzug, etabliert sich mit starken Leistungen in der Super League und schickt seinen gleichaltrigen Konkurrenten von Ballmoos auf eine Extrarunde. Statt gegen Schachtar Donezk in der ChampionsLeague-Qualifikation spielt von Ballmoos also gegen Chiasso in der Challenge League. Sein Schicksal führt ihn auf die Schützewiese. FC Winterthur. Sprungbrett für viele Talente in den letzten Jahren.
Zwei Jahre spielt er im Osten Zürichs. Er wird einmal zum besten und einmal zum zweitbesten Challenge-League-Goalie gewählt. «Die Position als Nummer eins bei YB ist der logische Schritt», sagt YB-Sportchef Christoph Spycher. Und: «Ich bin überzeugt, dass er weiter ist, als Yvon damals, als er Nummer eins wurde.» Mvogo bringt wohl ein bisschen mehr Talent mit, aber von Ballmoos einen dicken Schädel. Oder netter gesagt: einen unbändigen Willen, Arbeitsmoral, den Glauben an sich selbst. «Bei mir geht vieles über Arbeit, aber das hat mir nie etwas ausgemacht», sagt er von sich selbst. Energie ist im Überfluss da – und spätestens mit dem Schritt zu YB wurde ihm klar: In dieses Projekt will ich sie stecken. Goalie bei YB, das ist das Ziel.
Oliver Kahn ist sein Held. Damals vor allem, aber auch heute noch. Und dennoch will er ihn nicht nachmachen, spricht von seinem eigenen Stil, seiner Interpretation des Goaliespiels. Was er in den Testspielen schon gezeigt hat: Er ist richtig stark im 1:1, bleibt extrem lange auf den Beinen. Er hat den Riecher für Penaltys (beim Uhrencup hielt er deren 5) und strahlt eine Ruhe aus wie ein Routinier. Womit er sich am schwersten tut? «Die Bälle einzuschätzen, ist eine extreme Herausforderung. Wann bleibe ich, wann gehe ich? Da wird mir vielleicht auch einmal ein Fehler unterlaufen, während ich das Gefühl am Entwickeln bin», analysiert er selbstkritisch.
Immer wieder kehrt von Ballmoos ins Emmental zurück. Zu seiner Familie auf den Hof. Irgendwann landet der gelernte Landmaschinenmechaniker dann in der grossen Werkstatt seines Vaters, bastelt ein bisschen an seinem Auto herum oder lauscht den jüngsten Dorfgerüchten aus Mutters Mund in der Küche. Hier geht es kaum je um Sport. Und um Fussball noch seltener.
«Dort ist alles wie immer. Es interessiert nicht gross, dass ich bei YB bin, sie bewerten mich nicht. Das ist wie eine neutrale Zone», sagt er. Eine Schutzzone weit weg vom Fussball und dem ganzen Trubel rundherum.