Nur etwas mehr als eine Stunde braucht Alexander Zverev, um Roger Federer im Final von Montreal in die Knie zu zwingen. Für einmal ist der «Maestro» in einem Spiel absolut chancenlos – 2017 ein noch nie gesehenes Bild. Das hat einerseits sicher mit den Rückenproblemen zu tun, die Federer Mitte des zweiten Satzes plötzlich beeinträchtigen. Andererseits aber auch mit der guten, konzentrierten Leistung seines Gegners.
Zverev setzt Federer von Beginn weg unter Dauerdruck. Im ersten Satz schlägt der Deutsche seine Grundschläge durchschnittlich mit 118 Kilometern in der Stunde. Federer dagegen kommt nur auf einen Durchschnittswert von 100 km/h. Zusammen mit Zverevs krachendem Aufschlag ist es eine fatale Kombination. Federer wird im Final schlicht überpowert.
Der Titel in Montreal kommt nicht von ungefähr. Zverev überzeugt schon das ganze Jahr mit guten Leistungen. Er ist der einzige Spieler auf der ATP-Tour, der neben Federer und Nadal Masters-1000er-Turniere gewinnen konnte. Der Sieg beim Rogers Cup ist nach dem Gewinn der Italian Open in Rom bereits der zweite Titel bei einem Turnier des zweithöchsten Kategorie. Damit ist der Deutsche gleich erfolgreich wie die «Senioren» Federer und Nadal. Er ist zudem der jüngste Turniersieger auf dieser Stufe, seit Novak Djokovic 2007 als 19-Jähriger in Miami gewann.
«Ich fühle mich grossartig. Im Moment spiele ich das beste Tennis meiner Karriere», sagt der 20-Jährige nach seinem Sieg gegen Federer. Tatsächlich hat Zverev sein Spiel 2017 auf ein neues Level gehoben. Überzeugte bis anhin jeweils vor allem die Rückhand, hat der Hamburger nun auch die Vorhand zu einer Waffe gemacht. In den ersten 20 Punkten gegen Federer spielte er sie im Durchschnitt mit 133 Kilometern in der Stunde und schlug die Winner schon beinahe nach Belieben.
Aber nicht nur seine Vorhand ist ein Kracher, auch der Aufschlag überzeugt. Mit seinen beinahe zwei Metern Körpergrösse kann er sowohl hart wie auch präzis und mit viel Winkel aufschlagen. Im Gegensatz zu anderen Riesen auf der Tour wie Ivo Karlovic, John Isner oder Sam Groth bewegt sich Zverev aber auch aussergewöhnlich gut.
Zverev bringt damit alles mit für eine weiterhin höchst erfolgreiche Karriere. Als Junior stand er bereits zuoberst in der Weltrangliste. Viele Experten glauben, dass er das irgendwann auch auf der Profistufe schafft. Nadal sagte 2016 über den Jungstar: «Er ist unglaublich talentiert. Er hat alle Schläge, um irgendwann die Nummer 1 zu werden und Grand Slams zu gewinnen.»
Vielleicht gelingt ihm letzteres bereits Ende August am US Open. Mit den verletzungsbedingten Absagen von Novak Djokovic und Stan Wawrinka und den Fragezeichen hinter dem Gesundheitszustand von Andy Murray, Marin Cilic, Milos Raonic und Kei Nishikori ist das Favoritenfeld markant ausgedünnt.
«Sascha» Zverev ist aktuell die Nummer 7 der Weltrangliste. Im Jahresranking ist er gar auf Rang 3 klassiert. Die letzten beiden Turniere hat der 20-Jährige für sich entschieden. Auf Hartplatz gewinnt er 75 Prozent der Spiele, die er bestreitet. Viele Fakten sprechen also für Zverev als Mitfavorit auf den US-Open-Titel.
Es gibt allerdings auch noch einen Faktor, der gegen Zverev spricht: die Ausdauer. Der Deutsche ist fit, das steht ausser Frage. Aber bei Grand-Slam-Turnieren geht ihm im Lauf des Turniers oft etwas die Luft aus. Beim Australian Open verlor er in der 3. Runde gegen Nadal in fünf Sätzen. In Roland Garros schied er nach seinem Titelgewinn in Rom überraschend in der 1. Runde aus. Und in Wimbledon war nach einem Fünfsätzer in der Achtelfinal gegen Milos Raonic ebenfalls Endstation.
Vielleicht wäre es für den Deutschen besser, wenn er in Cincinnati nicht allzu weit kommt. Wenn er dort etwas Energie spart, kann der 20-Jährige in New York sehr weit kommen.