Im Centovalli, unweit der Schweizer Grenze in der Nähe des Lago Maggiore, gibt es einen kleinen Pass. Als Piano di Sale ist er auf den Landkarten verzeichnet. Seinen neuen Namen, wenn auch inoffiziell, markiert oben auf der Passhöhe, 985 Meter über Meer und mitten im Wald, ein Gedenkstein: Passo Marco Pantani. Die Mitglieder von einem seiner vielen Fanclubs haben den Stein installiert.
Der Stein erinnert nicht an irgendeinen Velorennfahrer. Sondern an einen ganz grossen und mit Sicherheit beliebtesten Velorennfahrer.
Der Stern des Marco Pantani geht 1994 auf. Im Giro d'Italia gewinnt der 24-Jährige zwei Etappen. Zunächst holt er sich den Sieg im Teilstück von Lienz nach Meran. «Spatz» rufen ihn die Tifosi da noch, weil er nur 1,70 Meter gross und 56 Kilogramm leicht ist.
Tags darauf doppelt der Kahlkopf aus Cesenatico in der Königsetappe nach und die Legende wird geboren. Wie Pantani den fürchterlich steilen Mortirolo im Sturm erklimmt, begeistert die Massen. Mit seinen markanten Segelohren fliegt er die Rampen dieses asphaltierten Ziegenpfades regelrecht hoch, «Elefantino» nennen ihn die Fans nun.
«Du hast den Giro umgekrempelt», jubelte die «Gazzetta dello Sport» dem neuen Liebling zu. «Mit deinen 56 Kilo Knochen und Muskeln hast du die Hierarchie der Technik, der Erfahrung, der Tradition und des Respekts gesprengt.» Pantani wird am Ende Gesamtzweiter der Italien-Rundfahrt.
Beim Aufstieg zur weltberühmten Alpe d'Huez hält er mit seinen 37:35 Minuten bis heute den Streckenrekord. Das Verrückte: er stellt ihn 1997 nicht in einem Bergzeitfahren auf, sondern am Ende einer «gewöhnlichen» Etappe. Sein grösstes Jahr folgt aber erst noch. 1998 schafft Pantani das Double Giro/Tour. Längst hat er da einen weiteren Übernamen: «Il Pirata», Pirat, wird er gerufen, weil er mit einem Kopftuch unterwegs ist.
Natürlich ist – gerade auch 1998 im Jahr des Festina-Skandals – die Dopingfrage ein steter Begleiter Pantanis. Wie fast alle grossen Fahrer seiner Zeit wird auch der Italiener erwischt. Am Giro d'Italia 1999 fährt er alles in Grund und Boden, gewinnt vier Etappen – und wird am drittletzten Tag in Madonna di Campiglio ausgeschlossen, weil er zu viele rote Blutkörperchen hat. Ein klarer Hinweis auf das damals flächendeckende Epo-Doping.
Es war der Knackpunkt in seiner Karriere. Nach der Sperre kann er zwar nochmals zwei Etappen der Tour de France gewinnen, darunter eine auf den spektakulären Mont Ventoux. Doch so gut wie früher fährt er nie mehr. 2003 wird bekannt, dass sich Pantani wegen Depressionen in einer Nervenklinik aufhielt.
Wenige Monate später war er tot, er wurde nur 34 Jahre alt. Ging man zunächst von Suizid aus, nachdem in seinem Hotelzimmer in Rimini mehrere leere Packungen Antidepressiva gefunden wurden, ergab die Autopsie später einen anderen Befund. Marco Pantani starb am 14. Februar 2004 an einer Überdosis Kokain.
«Der steilste Berg, den ich je gefahren bin», sagte Lance Armstrong einst über den Mortirolo. Marco Pantani konnte es gar nicht steil genug sein. Die Legende geht, dass er sich eine grössere Übersetzung als alle Gegner montieren liess – und weil der kleinste Gang plötzlich streikte, musste ihm der zweitkleinste ausreichen.
In einer der vielen engen Kehren von Mazzo im Veltlin hoch hat die Vereinigung der italienischen Radprofis im April 2006 einem der grössten ihrer Zunft ein Denkmal errichtet. Am Mortirolo, der aus einem Spatz einen kleinen Elefanten machte.