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Wie kann es sein, dass im Sportbusiness des 21. Jahrhunderts das langsame Bern, die Verwaltungszentrale des Landes und nicht die dynamische Wirtschaftshauptstadt Zürich ins Blickfeld der Weltsportöffentlichkeit rückt?
Bern hat inzwischen ja selbst seine Stimme, seine Medien («Tele Bärn», «Bund», «Berner Zeitung») den Zürchern und Aargauern verkaufen müssen. Das mag alles richtig sein. Bern ist keine Wirtschaftshauptstadt mehr seit Rudolf Minger 1918 mit seinen Getreuen im Bierhübeli zu Bern aus Sorge, die dynamische Wirtschaft der Stadt Bern könnte den Bauern schaden, die Bauern- Gewerbe und Bürgerpartei (BGB) gegründet hat (die heutige SVP).
Seither haben in der Bundesstadt die Politik, die Beziehungen und die Verwaltung das Primat über die Wirtschaft. Aber im Sportbusiness haben sich die Berner aus der Zwangsjacke der Politik befreit, und sie haben gelernt, Sport als Geschäft zu betreiben und sind pfiffig darin.
Und, das ist entscheidend, sie haben die Politiker für den Sport begeistert. In Zürich verhindern die Sozialisten den Bau von Stadien. In Bern bauen die Sozialisten Sporttempel.
Die Tour de France ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig die Politiker sind. Die grösste, wichtigste Rundfahrt der Welt hätte eigentlich schon viel früher nach Bern kommen sollen. In den 1990er Jahren hatte Bern einen grossen Velo-General: Hugo Steinegger war zeitweise Präsident des Verbandes und Chef der Tour de Suisse. Er erinnert sich: «Ich war mit dem damaligen Tour de France-Boss Jean Marie Leblanc befreundet und Mitglied der Vereinigung der vier grössten Etappenrennen (Tour de France, Giro, Vuelta und Tour de Suisse – die Red.). Ich knüpfte die ersten Kontakte für eine Tour-Ankunft in Bern, aber auch für die einer Giro-Etappe. Die bereits damals enorm hohen Preise machten eine Realisierung unmöglich. Leider gab es damals keinen Stadtpräsidenten wie Alexander Tschäppät ...»
Was dem einstigen Velo-General und SVP-Grossrat Hugo Steinegger nicht gelungen ist, schaffte nun der Sozialist Alexander Tschäppät – in Zusammenarbeit mit dem Erzkapitalisten und Milliardär Andy Rihs. Mit seinem Bruder «Jöggi» ist er auch Besitzer des Stade de Suisse und der Young Boys. Für YB muss er ständig das Portemonnaie sperrangelweit öffnen. Aber lieber öffnet er es für den Radsport, der ihm am Herzen und nicht – wie YB – auf dem Magen liegt.
Für den Radrennsport-Liebhaber, der weltberühmte Radrennställe alimentierte (u.a. Phonak) und am Fusse des Mont Ventoux, des mythischen Berges der Tour de France, ein wunderbares Weingut mit Hotel besitzt und das Velodrome Suisse in Grenchen möglich machte, geht mit der Tour in Bern ein Traum in Erfüllung. Sein Geld alleine hätte nicht gereicht – es brauchte die Unterstützung der Politik – und die garantierte der SP-Stadtpräsident Alexander Tschäppät.
Das hat Bern eben schon immer ausgezeichnet: der Pragmatismus der Sozialisten im Umgang mit den Kapitalisten. Und so kommt es, dass Bern zumindest im Sport mehr mit New York oder Los Angeles zu tun hat als mit der tiefen Sportprovinz Zürich. Und das wird in den nächsten 25 Jahren so bleiben.
Die Tour de France in Bern ist ja eigentlich gar keine Sensation. Sie ist der Normalfall. Oft wird nämlich vergessen, dass die Stadt Bern von allen Schweizer Städten die mit Abstand ruhmreichste Sportgeschichte hat. Ja, zeitweise war Bern sogar eine der Sporthauptstädte der Welt. Noch immer ist Bern der einzige Ort auf dem Planeten, an dem ein Final der Fussball-WM, ein Formel-1-GP und eine Etappe der Tour de France veranstaltet worden sind.
Die 1950er Jahre waren goldene Jahre für den Sport in Bern. 54'000 Zuschauer waren am 4. Juli 1954 im neuen Wankdorfstadion (heute Stade de Suisse) und verfolgten den Final der Fussball-WM zwischen Ungarn und Deutschland. Sie wurden Zeugen einer historischen Partie, die in Europa über den Sport hinaus viel auslöste. Deutschen gewannen 3:2. Der Final von Bern nahm die Niederlage des Kommunismus vorweg. Sieben Wochen später standen 50'000 Menschen an der Strasse im Bremgartenwald, als der 14. «Grosse Preis der Schweiz für Automobile» – verfolgt von drei Kameras des Schweizer Fernsehens – ausgetragen wurde.
Die heulenden Motoren der Formel-1-Boliden und Rennmotorräder hörte man bis in die leeren Altstadtgassen hinunter. Allerdings zum letzten Mal: Nach einem Unfall auf der Rennstrecke von Le Mans im Juni 1955, bei dem 85 Menschen starben, lehnte zuerst der Berner Regierungsrat das Gesuch um ein weiteres Formel-1-Rennen im Bremgartenwald ab. 1958 verankerten die eidgenössischen Räte ein Verbot von öffentlichen Rundstreckenrennen im Gesetz.
Nur wenige Tage nach dem letzten GP strömten täglich Tausende in das mit Zusatztribünen aufgerüstete Neufeld- Stadion zur Leichtathletik-EM.
Bern hat diese stolze Tradition bewahrt. Zu einem WM-Final hat es seither zwar nicht mehr gereicht. Aber die Stadt Bern hat nebst Eidgenössischen Schwingfesten (1900, 1921, 1934, 1945 und 1998) auch unzählige Welt- und Europameisterschaften gesehen. Mehrmals Titelkämpfe im Eishockey (1990, 2009), aber auch im Boxen (1972, 2009), in der Leichtathletik (1954), im Eiskunstlaufen (2011), Schiessen (1974), Curling (1974, 1979, 1997) und Kunstturnen (1975, 2016).
Und – nicht zu vergessen – zweimal ist auch die Rad-WM in Bern ausgefahren worden. 1936 sicherte sich der Franzose Anton Magne den Titel mit dem enormen Vorsprung von 9:27 Minuten. 1961 war es knapper und Bern sah eine der dramatischsten Schlussphasen in der Geschichte der Rad-WM. Rick van Loy gewann den Spurt einer Spitzengruppe aus 24 Fahrern ganz knapp: Einige Meter vor dem Ziel krachte sein Hinterrad zusammen.
Und nun also die Tour de France. Da kann der geschichtsbewusste Berner nur sagen: «Na und?».