Noch selten hat der Begriff des «Second Screen» so gepasst wie in diesem Fall. Damit ist gemeint, dass nebst dem Fernseher auch noch ein zweiter Bildschirm stets in der Nähe ist: sei es ein Smartphone, ein Tablet oder ein Laptop. Fussballspielen schaut man heute nicht mehr nur zu, nein.
Parallel lässt man via Facebook und Twitter die Freunde und die ganze Welt wissen, was man zu Penalty und Beissattacke meint. Parallel lässt man sich vom watson-Liveticker unterhalten. Parallel googelt man ein Bild dieses kolumbianischen Innenverteidigers von der WM 94, weil der doch genau so ausgesehen hat wie im laufenden Spiel der rechte Flügel.
Die gehörlose Bloggerin Julia Probst fügt der Parallelunterhaltung eine weitere Facette hinzu. Sie schaut genau hin, wenn die Kameras die Akteure in Grossaufnahme zeigen und liest ihnen von den Lippen ab. Mit dem Hashtag #Ableseservice schickt Probst das, was Jogi Löw und Co. von sich geben, in die Fussballwelt hinaus.
#Jogi ganz ERREGT:"MENSCH… RÜÜBER.. DAS ist so KACKE…(Unveständlich) #Ableseservice #USAGER
— Julia Probst (@EinAugenschmaus) 26. Juni 2014
Özil: "How? What?" Er fasst sich kurz und knackig, der gute. #Ableseservice
— Julia Probst (@EinAugenschmaus) 26. Juni 2014
Jogi gerade: "JAAA, JAAAA.." Dann legt er das Handtuch weg und murmelt: "Das ist so Mist." #Ableseservice
— Julia Probst (@EinAugenschmaus) 26. Juni 2014
#Jogi lamentiert zuerstunverständlich lautstark vor sich hin, dann am Schluss: "MENSCH, kommt DOCH! #Ableseservice #USAGER
— Julia Probst (@EinAugenschmaus) 26. Juni 2014
Angefangen habe alles im kleinen Kreis, schreibt Probst. An der WM 2006 in Deutschland habe sie diesen Service beim gemeinsamen Daumendrücken live für ihre Freunde gemacht.
In Italien oder Spanien ist es schon längst Usus, dass Medien Lippenleser engagieren, die entziffern sollen, was auf dem Feld gesprochen wurde. Die Reaktion: Immer öfter sieht man Spieler, die, wenn sie miteinander reden, die Hand vor den Mund halten.
Probst und die Fans, die ihren Service verfolgen, dürften darüber froh sein, dass in Deutschland das Lippenlesen während Fussballspielen noch wenig verbreitet ist. So kann die Gehörlose Perlen aufgreifen, die hörenden Zuschauern verborgen bleiben, weil zwar das Bild eine Nahaufnahme zeigt, der Ton jedoch die Stadionkulisse ist. So wie in diesem Beispiel von der WM 2010:
Arne Friedrich zu Jogi: "Ohne dich hätte es diese eingespielte Mannschaft nicht gegeben." Darauf umarmt Jogi ihn gerührt. #Ablesservice
— Julia Probst (@EinAugenschmaus) 10. Juli 2010
Eine hitzige Atmosphäre ist übrigens nicht nur gut für Lippenleser. Zwar fallen genau dann oft Worte, die man als Zuschauer nur zu gerne verstehen würde – aber weil sie mehr gebrüllt als gesprochen werden, sind sie nicht oder nur ansatzweise zu entziffern. So wie beim Duell zwischen Thomas Müller und Pepe, nachdem der Portugiese die Rote Karte sah:
Habe endlich Zeit, um die Szene #Müller-vs.#Pepe zu anschauen. Müller so: "WAS WILLST DU?" Letzte 3 Wörter unverständlich. #Ableseservice
— Julia Probst (@EinAugenschmaus) 17. Juni 2014
Poldi: "Fuck off.* "#Ableseservice Mann.
— Julia Probst (@EinAugenschmaus) 16. Juni 2014