Auch er war einmal einer von ihnen. Ein einfacher Mann aus Dagenham, einem unscheinbaren Ort etwas ausserhalb von London. Aufgewachsen als Sohn eines Busfahrers und einer Reinigungskraft. Ein Nobody eben. Seine Wurzeln kaschiert Barry Hearn keineswegs. Er, der heute mit massgeschneiderten Anzügen neben leicht bekleideten Frauen posiert, zelebriert seine Herkunft gar. Der triste Alltag, gängige Probleme, unerfüllte Träume – er wisse, was die Arbeiterklasse beschäftige und was sie zur Ablenkung brauche. Es sind keine Worthülsen. Hearn weiss es wirklich. Deshalb ist aus dem einfachen Mann aus Dagenham auch ein Multimillionär geworden. Deshalb ist er heute kein Nobody mehr.
Barry Hearn ist nämlich jenes Gesicht, das hinter der magischen Transformation des Darts-Sports steckt. Der 68-Jährige, der zu den weltweit erfolgreichsten Sportpromotern zählt, machte aus dem verstaubten Kneipensport einen Primetime-Event, an dem sich die Arbeiterklasse zelebriert. Eine Symbiose aus Karneval und Oktoberfest ist diese Veranstaltung heute. Gerade in diesen Tagen, in denen Hearns Königsevent, die Weltmeisterschaft, wieder läuft, steigt der Hype abermals ins Grenzenlose. So auch der Geldfluss. In diesem Jahr werden wieder 66'000 Zuschauer in den Londoner Alexandra Palace strömen und dafür sorgen, dass in allen 22 Sessions auch der hinterletzte Platz besetzt sein wird. Die Angst der Leute, dass sie keine Tickets kriegen könnten, zeigt Hearn, dass sein Konzept aufgeht. Ein Konzept, dessen Ursprung 24 Jahre zurückliegt.
Weil 19 Top-Spieler 1992 der Meinung waren, dass die British Darts Organisation (BDO) zu wenig Turniere austrage und sich kaum für die Vermarktung des Darts-Sports einsetze, gründeten sie einen Konkurrenzverband, der sich heute Professional Darts Corporation (PDC) nennt. Hearn, Gründer eines Unternehmens für Sportvermarktung, wurde PDC-Vorsitzender. Seine Vision war klar: Das Spiel mit den Pfeilen muss telegener werden. Er veränderte nicht das Spiel an sich, sondern die Atmosphäre darum herum: Alles wurde lauter und bunter. Plötzlich erhielten Spieler Spitznamen, es gab Einlaufsongs, Nebelmaschinen und schöne Frauen, die die Protagonisten auf die Bühne führen. Vor allem aber wurden die Preisgelder höher, was letztlich auch die restlichen Top-Spieler zur BDO-Abkehr trieb. Hearns Überzeugung: «Man muss zuerst investieren, damit die Spieler Profis werden können. Denn erst wenn die Qualität des Spiels stimmt, stimmt auch der Unterhaltungswert.»
Essenziell für den globalen Erfolg einer Sportart seien aber auch deren Durchlässig- und Erschwinglichkeit. «Du musst ein Spiel entwickeln, das die Leute sich leisten können und das einfach zu verstehen ist, damit es jeder spielen kann», sagt Hearn. Seine Erfolgsformel ist unspektakulär, aber effektiv. Dank dieser ist er einst überhaupt ins Business der Sportvermarktung gerutscht. Im Alter von 25 Jahren kaufte er sich einen Snookerklub. Wenig später übertrug das britische Fernsehen den Sport erstmals; es entfachte eine Euphorie. Hearn organisierte Turniere, freundete sich mit erfolgreichen Spielern an und nahm diese bald unter Vertrag. Das Geld floss erstmals. Später stieg Hearn unter anderem auch im Boxen, Angeln und Bowling ein. Immer sah der Brite irgendwo schlummerndes Vermarktungspotenzial.
Wegen seines Erfolgs im Aufpeppen von volksnahen Sportarten nannte ihn Phil Taylor, 16-facher Darts-Weltmeister, einmal «den Promoter des Volkes». Hearn meint dazu: «Ich vermarkte nur das, was ich auch selbst mag.» Das Darts, das liebt er sogar. Wie viele andere auch. Hearn könnte gegenwärtig wohl noch einiges mehr an Geld verdienen, wenn er die Weltmeisterschaften schon jetzt in einer grösseren Lokalität durchführen oder die Expansion der Sportart noch offensiver gestalten würde. Der Brite aber lässt sich Zeit, sein Produkt soll langfristig erfolgreich sein. «Wenn ich mit meinen Produkten irgendwo hinkomme, sollen sie Bedeutung haben», sagt Hearn. «Das Haus muss voll sein, denn nur ausverkaufte Sportevents sind im Verständnis unserer Gesellschaft von höchster Güte.»
Als gewiefter Verkäufer hat er es mit seiner Sportvermarktungsfirma an die grossen Geldtöpfe geschafft. Auch, weil er jede Idee, mochte sie noch so hirnrissig erscheinen, konsequent umsetzte. Es ist begreiflich, dass Hearn deshalb vor allem etwas nicht mag: Jene Leute, die ihm erzählen, was sie mal machen wollten oder vielleicht demnächst tun werden. Ihnen entgegnet er immer dasselbe: «Mach es, oder halt die Klappe!» (aargauerzeitung.ch)