In der nordsyrischen Stadt Aleppo kommt der Tod aus der Luft: Täglich prasseln Fassbomben auf die Stadt, zerstören Häuser und töten Menschen. Einige Mutige haben sich der Rettung der Überlebenden verschrieben.
Eine Staubwolke hüllt das Viertel Bab Al-Nairab ein. Trümmer und Steine bedecken den Boden, vor einem Hauseingang türmt sich der Schutt auf. Eine Fassbombe hat das Haus getroffen. Die syrische Stadt Aleppo bietet im Juni 2014 ein Bild der Apokalypse.
«Kommt schon, eine Binde!», ruft einer der Männer, die unter das eingestürzte Dach des Hauses gekrochen sind. Dort finden sie eine halb in Trümmern begrabene Frau. Sie lebt, aber die Explosion hat ihr die Hand abgerissen, ihr Gesicht ist mit Staub und Blut bedeckt. Benommen schaut sie die Männer an, die mehr als einen Meter tief in den Schutt graben, um ihr eingeklemmtes Bein zu befreien.
Dramen wie dieses spielen sich in Aleppo jeden Tag ab – auch während der Präsidentenwahl, die in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten wurde. Der Sieger der als Scheinwahl kritisierten Abstimmung ist erwartungsgemäss Baschar al-Assad, der bisherige Machthaber.
In den von den Rebellen besetzten Gebieten wie Aleppo wurde nicht gewählt. Dort müssen die noch verbliebenen Menschen in einer Stadt leben, auf die täglich unzählige Bomben fallen.
«Diese Wahlen sind nichts als ein Pantomimenspiel für die internationale Gemeinschaft», sagt der Geldwechsler Mohammed Bakri. «Was nützt das Wählen, wenn du nicht weisst, ob du den Tag überlebst?» Sein Viertel Bustan al-Kasr gehört zu den Stadtteilen, die besonders heftig unter Beschuss stehen.
Der Tod fällt in Aleppo in Form von mit TNT gefüllten Fässern vom Himmel. Augenzeugen zufolge werfen die Helikopter der Regierung sie ab. Die Bomben können ein fünfstöckiges Gebäude in einen Schutthaufen verwandeln.
Wegen der Bomben ist die Stadt praktisch verlassen. Die wenigen Einwohner, die noch da sind, lauschen mit Grauen auf das Dröhnen nahender Rotoren.
«Seit das Jahr begonnen hatte, sind rund 2000 Bürger in Aleppo durch solche Sprengfässer ums Leben gekommen», sagt Chalid Haju, der Brigadechef des Zivilschutzes im Viertel Thakanat Hananu. Die Stadt bezahle für die Barbarei des Kriegs mit zerstörten Häusern, Schutt, Trümmern und vor allem mit Toten.
«Ich habe überlegt, Aleppo zu verlassen und nie zurückzukehren», sagt Chalid. Er habe gesehen, wie 50 Menschen mitten auf der Strasse verbrannt seien, nachdem ein Bombenregen auf einen Markt voller Lebensmittelstände niedergegangen sei.
«Ich war wie versteinert. Ich wollte nicht glauben, was meine Augen sahen», erzählt er mit Schrecken. «An diesem Tag dachte ich daran, weit wegzugehen», erzählt er. «Aber wenn ich gehe, wer hilft dann den Leuten? Wer setzt sein Leben aufs Spiel, um sie aus den Trümmern zu ziehen?»
Tatsächlich leben auch die Retter gefährlich. Im März fiel eine weitere Bombe auf ein Gebäude, in dem gerade eine Helfergruppe Überlebende aus den Trümmern des jüngsten Einschlags rettete. Acht Menschen starben, darunter auch der kanadische Fotograf Ali Mustafa, der die Zivilschützer für eine Reportage begleitete.
«Wenn eines dieser Fässer neben dir runterkommt, kann dich nicht mal Gott retten», sagt der Helfer Chalid, der früher Jura studierte. Er entschloss sich, seine Mitmenschen zu retten, als die syrische Armee einen ganzen Häuserblock im Viertel Ard Al-Hamra mit einer Scudrakete vernichtete.
«An diesem Tag waren sehr viele Leute unter den Trümmern eingeschlossen, es gab keine richtigen Rettungstruppen. Da entschieden wir, die Zivilschutzbrigade zu gründen, mit dem Ziel, die Ersten vor Ort zu sein und so viele Leben wie möglich zu retten.»
Seither wechseln sich 135 Menschen in Schichten ab, sind rund um die Uhr im Einsatz. «Der Krieg gibt uns keine Sekunde zum Ausruhen. Wenn der Krieg nicht ruht, tun wir es auch nicht», sagt Chalid. (lhr/sda/dpa)