Der entsetzliche Vorfall machte international Schlagzeilen: Am 2. September 2013 griff ein Rudel Hunde in der rumänischen Hauptstadt Bukarest den vierjährigen Ionut Anghel an und biss ihn tot. Ionut und sein zwei Jahre älterer Bruder Andrei hatten sich von einem Spielplatz entfernt, wo ihre Grossmutter sie beaufsichtigt hatte.
Die Beissattacke ereignete sich auf einer Brachfläche in der Nähe des Parks. Gegen die Verwaltung des betroffenen Stadtbezirks und die Besitzerin des Grundstücks, die Firma Tei Rezidental, erhob die Staatsanwaltschaft Bukarest im März dieses Jahres Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Und laut der Schweizer Tierschutzorganisation «Vier Pfoten» kommt sie in ihrem Bericht zum Schluss, dass die sieben beteiligten Hunde keine Streuner waren, sondern Wachhunde.
Unmittelbar nach dem qualvollen Tod des Kindes hatten die rumänischen Medien jedoch Strassenhunde für den Angriff verantwortlich gemacht. Die Folge war, dass die militanten Hundegegner mit ihrer Forderung, die Strassenhunde zu töten, in der rumänischen Öffentlichkeit mehr Gehör fanden.
In der Tat sind die Streuner, nicht nur in der Hauptstadt, ein Problem. Im ganzen Land leben schätzungsweise sechs Millionen herrenlose Hunde, allein in Bukarest sind es 40'000 bis 65'000 – wobei nicht alle Hunde wirklich herrenlos sind, denn viele Rumänen lassen ihre Hunde frei laufen. Obwohl die Mehrzahl der Hunde friedlich ist, kommt es jedes Jahr zu etwa 3000 Beissvorfällen.
In der aufgeheizten Stimmung nach dem Begräbnis des kleinen Ionut verabschiedete das rumänische Parlament schon am 10. September 2013 ein Gesetz, das die Tötung von streunenden Hunden zwei Wochen nach dem Einfangen erlaubt, falls sich kein Eigentümer meldet. Bis Ende August wurden gemäss Răzvan Băncescu, dem Chef der Bukarester Tierschutz-Aufsichtsbehörde ASPA, 16’000 Streunerhunde von der Stadt getötet. 2000 Strassenhunde sind in öffentlichen Tierheimen untergebracht.
Ihnen droht dasselbe Schicksal, obwohl die Tötung von Hunden seit dem 20. Juni 2014 illegal ist. Das Appellationsgericht hatte die entsprechende Verordnung nach einer Klage von «Vier Pfoten» aufgehoben. Doch Băncescu ficht das nicht an; er gab offen zu, dass rund die Hälfte der euthanasierten 16'000 Hunde nach dem Gerichtsbeschluss getötet wurden und dass deren Tötung damit illegal erfolgte.
Die Massenschlachtungen sind allerdings nach Ansicht von Tierschützern kein geeignetes Mittel, dem Problem der Strassenhunde Herr zu werden. Vor 2007, als die Massentötungen verboten wurden, liessen die Behörden hunderttausende Streuner töten – ohne nachhaltigen Erfolg. Deren Population erholt sich nach einer Tötungswelle nach kurzer Zeit wieder, da sich die überlebenden Tiere durch das verbesserte Platz- und Futterangebot schnell vermehren. Zudem werden bei den Massentötungen auch kastrierte und registrierte Hunde getötet, was den Erfolg der Kastrationsmethode wieder zunichte macht.
Diese Methode – die Kastration und anschliessende Freilassung von Streunerhunden, aber auch von Hunden in privatem Besitz – ist nach Ansicht von Experten eindeutig erfolgreicher als die Massentötungen. In der Stadt Oradea soll es damit nach Angaben der Tierschutzorganisation «Tierhilfe Hoffnung e.V.» gelungen sein, die Zahl der Streunerhunde innerhalb von fünf Jahren von 6000 auf 350 zu reduzieren.
Gleichwohl unterstützt die rumänische Regierung keines dieser Kastrationsprogramme. Sie nimmt überdies auch keine Hilfsangebote von Tierschutzorganisationen an und erschwert diesen die Versorgung von Strassenhunden, wie die «Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht» (DJGT) in einer Stellungnahme beklagt.
Für Carmen Arsene, die Präsidentin der rumänischen «Nationalen Vereinigung für Tierschutz» (FNPA) steckt hinter dieser Verhinderungspolitik Kalkül: Die Absicht der Behörden sei, die Zahl der Streunerhunde auf den Strassen hoch zu halten. Damit werde das Haushaltsbudget gerechtfertigt, das den beteiligten Privatfirmen für die Durchführung von Massentötungen und die Haltung der Tiere in städtischen Heimen mehrere Millionen Franken einbringe.
Die Stadt Bukarest verfügt laut Medienberichten über ein Budget von umgerechnet rund fünf Millionen Franken für Tierheime. Davon werden lediglich rund 570'000 Franken tatsächlich für den Unterhalt der Heime ausgegeben. Der Rest dürfte für die Auszahlung von Fangprämien verwendet werden. Jeder in einem Tierheim abgelieferte Hund bringt demnach eine Prämie von umgerechnet etwa 70 Franken ein. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Netto-Monatslohn liegt bei 354,53 Euro (rund 430 Franken).
Aus diesem Grund stecken manche Hundefänger die von den Gemeinden bezahlten Prämien ein und bringen dann die – oft ausserordentlich brutal eingefangenen – Tiere möglichst kostengünstig um: Sie werden erschlagen, vergiftet, ertränkt oder gar bei lebendigem Leib verbrannt. Die Hunde, die in Tierheimen auf den Tod warten, lässt man hungern.
Die Verhältnisse dort schreien zum Himmel: Tote Tiere liegen in den mit Exkrementen verschmutzten Verschlägen zwischen den lebenden Hunden. Manchmal ernähren sich diese von den Kadavern. Auf der Jagd nach Prämien fangen manche Hundefänger überdies auch Hunde ein, die gar nicht herrenlos sind.
Julie Stillhart, Länderchefin bei «Vier Pfoten Schweiz», sagt angesichts dieser untragbaren Situation: «Wir fordern Ministerpräsident Ponta auf, auf die 62 Prozent der Rumänen zu hören, die gegen die Tötungen sind sowie auf die 173’000 Europäer, die ihn schriftlich dazu aufgefordert haben, die Tötungen zu stoppen.»