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Die Krux der Passfahrten mit dem Velo ist schnell ausgemacht: Wer runtersausen will, muss hochleiden. Das Fiese daran ist auch offensichtlich. Aufwärts scheint der Weg unendlich, abwärts fliegt er an dir vorbei und ehe du dich versiehst, bist du im Tal zurück. Zack, päng, unten.
Ich mache die Erfahrung am Berninapass. Eben noch auf 2330 Metern den letzten Schnee bestaunt, bin ich auch schon in Brusio unten und warte im berühmten Kreisviadukt der Rhätischen Bahn auf diesen Moment:
Immerhin kann ich von der saftig grünen Wiese vermelden: Ein grossartiges Fleckchen Erde und ein imposantes Bauwerk. Als der Zauber vorbei ist, blicke ich auf mein Höhenmessgerät: 743 m steht da. Da muss ich einmal leer schlucken. Zurück auf den Bernina (2330 m) fehlen 1590 Höhenmeter. 29 Kilometer Wegdistanz sind's. Ich werde am dritten Tag meiner Tour dur d'Schwiiz die meisten Höhenmeter am Stück des gesamten Projekts absolvieren.
Erholung gibt es praktisch keine. Hoch auf den Lago di Poschiavo steigt die Strasse steil an, dann geht es immerhin bis nach San Carlo einigermassen geradeaus, bevor die Strasse unerbittlich ansteigt. Schon auf der Fläche sparst du Kraft und nutzt schöne Momente wie diese Zugdurchfahrt durch Li Curt (der/die/das Kurze? Hihi, was für ein Name).
Dann siehst du bei der Ausfahrt in San Carlo vor dem ersten Stich noch diese Aufschrift über einem Tunnel und denkst: Die Postauto-Chauffeure von Samnaun würden sich bei so viel Platz einen Schranz lachen und sich in einem Riesenland wähnen. Ich wette, sie könnten da mit verbundenen Augen durchfahren:
Aber ja, irgendwann geht der Anstieg wie gesagt los. Du kannst ihn nicht austricksen. Bald werde ich von diesen drei Leidensgenossen überholt. Wobei: Hätte ich die Maglia rosa der Alpe d'Huez an, ich würd' auch schneller radeln. Und ich frage mich, ob Kleiderdoping wohl was nützt?
Immerhin spendet dieses Tunnel Schatten. Auch auf dem restlichen Weg bin ich dank vieler Bäume lange nicht der prallen Sonne ausgesetzt. Trotzdem ist jeder Brunnen ein Geschenk und ein unschlagbarer Grund für einen Zwischenstopp.
Die Aussichten sind brutal. Es geht einfach nur noch «ufe, ufe, ufe». Ich teile die Strecke in Miniabschnitte. Nehme mir als Ziel jeweils die nächste Kurve vor. Nur um dort wieder festzustellen: Da hat's noch eine Kurve. Und noch eine. Und noch eine. Daher kommt Ausrede Nummer zwei auf den Plan: Fotos. Man glaubt gar nicht, wie viele schöne Sujets man sieht, wenn man den Berg hochfährt. Kühe, Häuser, Blumen, Felsen, Aussichten. Und wie sich die alle verändern, wenn man den Blickwinkel etwas ändert und 100 Meter weiter oben nochmals knipst! Es ist phänomenal.
Bei meinen ersten Passüberfahrten habe ich noch keinen anderen Leidensgenossen überholt. Das ist auch nicht schlimm, ich fahre ja kein Rennen. Umgekehrt wurde ich allerdings schon von einigen Fahrern stehen gelassen. Es gibt kaum spannendere Momente: Spielt er mir jetzt den starken Mann vor und lächelt lässig oder tropft der Schweiss von Stirn und Nase und Kinn nur so herunter, damit er mich überholt? Hat er noch Luft für ein kurzes Hallo? Gar einen kurzen Schwatz? Sprintet er extra schnell, um mich zu demütigen oder gibt's noch aufmunternde Worte? Zieht er das Tempo durch oder hole ich ihn später wieder ein? Es ist eine Leistungsshow im Kleinen. Ich warte auf den Moment, bis mich einer freihändig am Berg überholt. Würde der oben warten, ich würde ihm eine Runde ausgeben.
Das gute an Passüberfahrten ist auf jeden Fall: Irgendwann bist du oben. Dieses Gefühl ist unbezahlbar. Du kommst an und denkst: Dieser Berninapass ist schon verdammthuerätaminamalläckdumiramtschööpliänsteilächogäsiech der allerschönste Pass, auf dem ich je war.
Es ist immer wieder faszinierend, wie schnell Menschen vergessen können. Du lächelst kurz. Machst ein Foto und wenig später bist du auf der anderen Seite wieder im Tal. Zack, päng, unten. Einfach fies, diese Pässe.