Nik Wallenda, 35, ist süchtig nach hohen Einschaltquoten. Er riskiert sein Leben dafür, jedes Jahr wieder. 2012 balancierte er auf einem Hochseil über die Niagarafälle, 2013 über einen Seitenarm des Grand Canyon. In diesem Jahr spannte er sein Seil zwischen Wolkenkratzern in Chicago.
Die Bedingungen am Sonntagabend (Ortszeit) waren nicht ideal. In der Stadt war es eiskalt und windig, wie immer zu dieser Jahreszeit. Ideal für die Quote.
Wallendas Stunts hatten in den vergangenen beiden Jahren jeweils 13 Millionen Zuschauer im Fernsehen verfolgt. 2013 mit zehn Sekunden Verzögerung. Für den Fall des Falles. Bei seinem Balanceakt über die Niagarafälle hatte der übertragende Sender ABC noch auf einen Sicherheitsgurt bestanden. Dem US-Fernsehsender Discovery reichen zehn Sekunden als Sicherheit, zum Ausblenden des Sturzes. Und so gibt es auch diesmal weder Netz noch Gurt für den Artisten.
Wallendas Stunts sind immer auch eine Ehrung an seinen Urgrossvater, den legendären deutschen Zirkusakrobaten Karl Wallenda. Der starb 1978, als er in Puerto Rico vom Hochseil stürzte. Jene grausige Szene ist sogar auf Film verewigt.
Und die Erfolgsformel des Urgrossvaters gilt noch immer: Je riskanter, desto besser.
Journalisten, die über den Hochhaus-Stunt in Chicago berichten wollten, mussten unterschreiben, dass sie im Fall eines Unglücks den Veranstalter nicht für zugefügtes emotionales Leid verklagen würden.
Wallenda hatte sich diesmal gleich zwei Etappen vorgenommen: Das erste Drahtseil war 19 Millimeter dick, 138 Meter lang und so zwischen zwei Hochhäusern gespannt, dass er insgesamt 25 Meter nach oben laufen musste. Das zweite Seil war dünner und kürzer – und Wallenda tänzelte mit verbundenen Augen darüber.
Sechseinhalb Minuten brauchte er für die erste Strecke. «Ich liebe Chicago, und Chicago liebt definitiv mich», rief er den Tausenden jubelnden Zuschauern vom Seil herunter zu. Nach dem Kunststück sagte er, das Seil sei steiler gespannt gewesen als geplant: «Als ich davor stand, dachte ich, mein Gott, das geht ja direkt senkrecht nach oben.» Er habe sich zusammenreissen müssen, denn in Gedanken sei er schon beim zweiten Lauf gewesen. «Irgendwann habe ich mir gesagt: Nik, konzentriere dich und bringe deinen Hintern da heil rüber.»
Die zweite Etappe schaffte er in weniger als einer Minute. Als er auf dem Hochhaus angekommen war, riss er die Augenbinde herunter und winkte. Mission erfüllt, mal wieder.
Ob er gierig sei nach Rekorden, wird Wallenda nach dem Stunt gefragt. «Darum geht es eigentlich nicht», sagt er. «Wir sind Artisten in siebter Generation, ich gehöre einfach aufs Seil. Deshalb will ich weitermachen.» Und eine zentrale Botschaft ans Publikum fällt ihm auch noch ein: «Du kannst alles erreichen, wenn du hart arbeitest.»
(vet/dpa/AP)