Petro Poroschenko ist auch Staatspräsident der Ukraine. In erster Linie ist Poroschenko aber ein Manager, der vor der Wahl zum Präsidenten im Mai 2014 mit seiner Unternehmensgruppe Ukrprominvest (u.a. Schokolade, TV-Sender, Auto-, Schiffbau- und Rüstungsunternehmen) 1,6 Milliarden Dollar Vermögen erwirtschaftete.
Als Poroschenko das «Unternehmen» Ukraine übernahm, wusste er: Sein Land ist faktisch bankrott. In 23 Jahren haben vier Präsidenten, ein moralisch verrottetes Parlament sowie eine Handvoll Oligarchen den jungen Staat ausgeraubt. Die Korruption lähmt die Wirtschaft und die Justiz ist ein schlechter Witz. Deshalb erstellte Poroschenko eine «Strategie 2020», die er nach dem Jahr benannte,
Mit 60 wirtschaftlichen und sozialen Reformen soll die Ukraine den Weg nach Europa gehen. «Marschtempo genügt nicht, um ans Ziel zu kommen, die Ukraine kann dieses ehrgeizige Ziel nur im Laufschritt erreichen», erklärte der ukrainische Präsident.
betonte Poroschenko am Montagabend bei einer Rede an der Universität Zürich.
Fünf Jahre vor Poroschenko sprach schon einmal ein ukrainischer Präsident an der Universität Zürich. Der Präsident der Orangen Revolution, Wiktor Juschtschenko, wurde in der Schweiz als Hoffnungsträger bejubelt. Die Ukrainer waren realistischer, denn Juschtschenko hatte von 2005 bis 2010 keine Chance, seine Reformen durch das korrupte Parlament zu bringen. Einmal mehr bewahrheitete sich das russische Sprichwort: «Gewollt war das Beste. Aber es kam wie immer.»
Dass Wiktor Janukowytsch als Präsident ab 2010 das Land noch tiefer in den Dreck gefahren hat, versetzte sogar die desillusionierten Ukrainer in Wut. Janukowytsch musste nach den Maidan-Protesten im Februar 2014 Hals über Kopf flüchten. Zurück liess er 70 Tote und 45 Millionen Ukrainer, die von der Korruption endgültig genug haben. Janukowytsch sitzt heute in Russland auf einem komfortablen Polster von mehreren Hundert Millionen Dollar, die er der Ukraine geraubt hat.
Nach Juschtschenko und Janukowytsch wurde am 25. Mai 2014 Petro Poroschenko zum neuen Präsidenten der Ukraine gewählt.
erklärte Poroschenko in Zürich.
Zum ersten Mal in der Geschichte der unabhängigen Ukraine sind nun im Parlament die pro-westlichen Parteien in der Mehrheit, die einen Beitritt zur EU anstreben. Von den 420 Abgeordneten gehören rund 300 zur pro-westlichen Koalition, so dass Poroschenko und Ministerpräsident Jazenjuk mit einer stabilen und komfortablen Mehrheit im Parlament rechnen können.
Am ersten Jahrestag der Maidan-Proteste – am 21. November 2014 – präsentierten die pro-westlichen Fraktionen im Parlament eine Koalitionsvereinbarung mit ehrgeizigen Reformplänen. Ironischerweise setzte die westorientierte Koalition ausgerechnet auf eine alte Tradition der Sowjetunion, als grosse Prestige-Projekte zu Jahrestagen wie etwa jenem der Oktoberrevolution präsentiert wurden.
In Zürich erklärte Präsident Poroschenko, dass dies aber auch die einzige Anleihe an alte Zeiten sei. Die Massnahmen der «Strategie 2020» müssten ohne Rücksicht auf Verluste gleichzeitig durchgeführt werden:
«Unsere Prioritäten sind: Erstens die Anti-Korruptionsreform sowie Wechsel auf den Machtpositionen und im bürokratischen Apparat, erstens eine Rechtsreform, erstens die Reform der Strafverfolgungsbehörden sowie erstens die Dezentralisierung und Reform der Staatsführung.»
Genauso dringend müssten das Steuersystem und der Energiesektor reformiert werden, «auch wenn es vielen Menschen sehr weh tut». Poroschenko weiss, dass viele Ukrainer schon heute die Rechnung für Heizung und Warmwasser nicht zahlen können und auf Staatshilfen angewiesen sind.
Viele Ukrainer erhalten nur den Mindestlohn – und der ist zuviel zum Sterben, zuwenig zum Leben. Sie müssen ihre Familien mit der Vermietung der eigenen Wohnung ernähren (und leben dafür unter engsten Verhältnissen bei Verwandten), mit der Hilfe ihrer Nächsten und zufälligen Nebeneinkommen.
Poroschenko erklärte in Zürich, dass er dafür innert zwei Jahren zehn Prozent der meist korrupten Staatsbediensteten entlassen werde. Aber auch nach dieser Reduktion verbleiben mehr Beamte, als es 2010 beim Amtsantritt des geflüchteten Präsidenten Janukowytsch gab. Diesen «faulen Speck», wie die Ukrainer sagen, wird Poroschenko später abschneiden müssen. Vorher sollen noch 1200 von 1500 Staatsunternehmen privatisiert werden, was schnell grosse Summen in die leere Staatskasse bringen wird.
Geld sparen will Poroschenko auch, indem die Ukraine kein teuer bezahltes russischen Gas mehr importiert, während das Land auf einem riesigen Gasvorkommen sitzt, das brach liegt. Alleine seit seinem Amtsantritt sei die Gas-Förderung in der Ukraine innert wenigen Monaten verdoppelt worden, erklärt der Präsident, und es sei noch grosses Potential vorhanden.
glaubt Poroschenko.
Für viele der 60 wirtschaftlichen und sozialen Reformen fehlen Präsident Poroschenko aber vertrauenswürdige Politiker und Technokraten, welche diese grossen Schritte auf dem Weg nach Europa machen wollen und können. «Deshalb haben wir drei Ausländer zu Ministern ernannt, weil sie die Korruption besser bekämpfen können», erklärte Poroschenko.
«Für die nötigen radikalen Reformen und die Bekämpfung der Korruption sind unorthodoxe Entscheidungen nötig», deshalb habe er die Amerikanerin Natalie A. Jaresko (Finanzministerin), den Georgier Alexander Kwitaschwili (Gesundheitsminister) und den Litauer Aivaras Abromavicius (Wirtschaftsminister) kurzerhand eingebürgert.
Poroschenko zählt aber auch auf die vielen hochqualifizierten Ukrainer, die in den letzten Jahren desillusioniert ihr Land verlassen haben. Auf die Frage eines in Zürich lebenden Informatik-Studenten aus Donezk, wieso die Reformen so lange dauern, antwortet der ukrainische Präsident, er könne nicht alle korrupten Politiker, Beamten und Justizangehörigen mit einem Schnitt aus dem System entfernen, «aber wir erwarten dich zurück in der Ukraine.»
Während der Vorlesung beschimpften fünf russische Kritiker den ukrainischen Präsidenten. Eine Frau verfluchte Poroschenko gar und bezeichnete ihn als Mörder. Poroschenko blieb souverän und antwortete lächelnd:
Die 1200 Zuhörer buhten die Störer aus und Sicherheitskräfte begleiteten die fünf russischen Aktivisten aus der Universität.
Präsident Petro Poroschenko schloss seine Vorlesung mit deutlichen Worten: «Wir haben 2004 mit der Orangen Revolution und 2014 auf dem Maidan für die Meinungsfreiheit gegen Korruption in der Ukraine demonstriert. Glauben sie mir, die Ukrainer wollen und brauchen keine dritte Revolution!»