Es läuft ja so rund für die Brasilianer. Als meistgenannter Anwärter auf den Thron ist man vor der WM-Endrunde herumgereicht worden, und die ersten vier Gruppenspiele wird man den turmhohen Erwartungen gerecht. Vier Spiele, vier Siege, Brasilien entzückt mit «Jogo Bonito».
Es sind nicht allein die Resultate, es ist vielmehr die Spielweise, leichtfüssig, alle Macht der Offensive, das Mass aller Dinge zu der Zeit, Brasilien nicht zu stoppen. Man kam, sah und siegte. Doch dann kommt Italien. Und Brasilien weint. Weint bitterliche Tränen, die sich im kollektiven Gedächtnis einbrennen. In der «tragédia do Sarrià».
24 Teams spielen mit bei der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien. In einer Gruppenphase und einer Zwischenrunde werden die vier Halbfinalisten ermittelt. Es ist das erste und einzige Mal in der WM-Geschichte, dass eine Zwischenrunde durchgeführt wird. Mit Argentinien und Italien bildet Brasilien die Gruppe C. Die «Albiceleste» haben beide in den Senkel gestellt. Dank dem besseren Torverhältnis allerdings würde Brasilien ein Remis zum Vorstoss unter die letzten Vier reichen.
Die Squadra Azzurra hat einen denkbar durchzogenen Start ins Turnier erwischt. Dreimal nur Unentschieden gespielt, sich also irgendwie durch die erste Gruppenphase gegaunert, ein Ausbund an Mittelmass. Man kippelt. Hinzu kommt die Personalie Paolo Rossi. Die Verwicklung in einen Wettskandal 1979 hat für ihn erhebliche Konsequenzen: Der italienische Fusballverband sperrt den Stürmer für drei Jahre, reduziert sie später aber auf zwei Jahre.
Rossi muss es wie eine Ewigkeit vorgekommen sein, erst im April 1982 ist er wieder spielberechtigt. Gebrandmarkt als Spielmanipulator und ohne Spielpraxis dazu: Ein Wunder, bietet ihn Nationaltrainer Enzo Bearzot überhaupt auf.
Dreimal in Folge nur ein Punkt und ein Rossi in sehr bescheidener Form: Zuviel für die mitgereisten Fans. Sie bewerfen die Spieler nach dem letzten Gruppenspiel mit Dosen und wünschen sie ins Pfefferland.
Aber dann kommt das Spiel gegen Brasilien und mit ihr die Sternstunde des Paolo Rossi. Die Brasilianer sind kaum auf dem Platz angekommen, als es hinter ihnen bereits einschlägt. In der 5. Minute. Eine punktgenaue, mit Effet versehene Flanke von Antonio Cabrini auf Rossi: 1:0.
Der Ausgleich lässt nicht lange auf sich warten. Sócrates, einer der Superstars der Seleçao, düpiert die gegnerische Hintermannschaft mitsamt Torhüterlegende Dino Zoff. Der Brasilianer tut es so, als gäbe es nichts leichteres.
Ein pfeilschneller Antritt Rossis ebnet der Squadra Azzura den Weg zur neuerlichen Führung. Vor dem Brasilianer Júnior kommt der Stürmer an den Ball und ist nicht mehr zu stoppen. Auch nicht von Schlussmann Waldir Peres.
Den ersten Gegentreffer können die Brasilianer ja noch als Betriebsunfall abtun, aber das? Die Reaktion der Brasilianer muss kommen. Und sie kommt. Falcao weiss die scheinbare Kollektiv-Narkose Italiens Defensive auszunutzen, zieht aus rund 20 Metern Entfernung zum Tor ab. Und trifft. 20 Minuten vor Schluss ist wieder alles offen.
2:2. Bei diesem Spielstand wäre Brasilien – aufgrund der besseren Tordifferenz – für die Halbfinals qualifziert. Aber die Italiener haben in der Angelegenheit ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Oder besser: er hat auch ein Wörtchen mitzureden. Paolo Rossi.
In der 74. Minute steht er nach einer Ball-Stafette im gegnerischen Strafraum goldrichtig und drischt die Kugel in die Maschen: Hattrick und umjubelter Siegtreffer für den Aussenseiter. Siegtreffer? War da nicht noch was?
Richtig, da war noch die Grosschance der Brasilianer, ihr letztes Aufbäumen quasi. Éders Flankenball köpft Leandro wuchtig aufs Tor. Dino Zoff taucht und hält dank vorzüglichen Reflexen. Aus der Traum.
Brasiliens Sócrates umschreibt es später so: «Wir wollten weiterhin Spektakel bieten, auch wenn uns ein Unentschieden gereicht hätte. Man mag das dumm nennen, aber wir konnten nicht anders.»
Die Squadra Azzura ist nach dem Sieg auf Kurs. Im Final schlägt sie Deutschland mit 3:1. Es ist der dritte Weltmeistertitel für die die Italiener und eine weitere Sternstunde von Paolo Rossi. Der Goalgetter erzielt den ersten Treffer und wird vor Karl-Heinz Rummenigge mit sechs Treffern Torschützenkönig des Turniers.