1924 finden die Olympischen Sommerspiele in Paris statt. Es ist noch nicht der Mega-Event, zu welchem sich der grösste Sportanlass der Welt mittlerweile entwickelt hat. Im Fussball aber gilt das Olympiaturnier damals als wichtigster Wettbewerb überhaupt. Die erste Weltmeisterschaft wird erst sechs Jahre später ausgetragen, das erste EM-Turnier sogar erst 1960.
Erstmals macht auch die Schweizer Nationalmannschaft mit, nachdem die Teilnahme 1920 kurzfristig aus finanziellen Gründen noch abgesagt werden musste.
Die Eidgenossen reisen per Zug nach Paris. Hoffnung haben sie wenig im Gepäck. Das im K.o.-System ausgetragene Turnier startet mit der Qualifikation (1/16-Final). Die Schweiz bucht das Hotel nur bis nach dem Achtelfinale, die Spieler gaben entsprechend kurze Ferien bei ihren Arbeitgebern ein. Dass man mehr als zwei Runden überstehen würde, glaubt beim ersten interkontinentalen Fussballturnier der Welt sowieso keiner. Auch das Rückfahrtticket für die Holzbänke in der dritten Klasse gilt nur 10 Tage.
Zum Auftakt demontiert die Schweiz Litauen gleich mit 9:0. Paul Sturzenegger zeichnet sich als vierfacher Torschütze aus. Der Kantersieg gilt bis heute als höchster Erfolg einer Schweizer Fussball-Nati. Trotzdem erwartet man wenig vom Duell im Achtelfinal mit der übermächtig scheinenden Tschechoslowakei.
Lange sieht es auch nicht gut aus. Die Schweiz liegt durch ein Penaltytor früh im Rückstand. Nachdem ein Gegenspieler vom Platz musste, gleicht Walter Dietrich in der 79. Minute aus. Die Verlängerung bleibt torlos, deshalb muss die Partie zwei Tage später im Stade Bergeyre wiederholt werden. Robert Pache schiesst dort den sensationellen Siegtreffer in der 87. Minute. Die Schweiz steht im Viertelfinal.
Doch statt Euphorie machen sich jetzt Probleme bemerkbar. Das Hotel ist nicht mehr gebucht, die Rückfahrkarten laufen ab und das Geld geht den Spielern aus. Die Zeitschrift «Sport» startet in der Heimat eine Spendenaktion und bringt den fehlenden Betrag zusammen, um die weiteren Partien bestreiten zu können.
Die Kicker scheint dies zu beflügeln. Stürmerstar Max «Xam» Abegglen – der erste Schweizer Weltklasse-Fussballer und Namensgeber von Neuchâtel Xamax – besiegelt das 2:1 über Italien. Und im Halbfinal gegen Turnierfavorit Schweden lässt der Angreifer die Schweiz mit einem Doppelpack zum 2:1 vom Titel träumen.
Im Endspiel wartet mit Uruguay die einzige südamerikanische Mannschaft des Turniers. In ihren Reihen stehen neben Torschützenkönig Pedro Petrone (8 Tore) auch José Leandro Andrade, besser bekannt als das «Schwarze Wunder» (La Maravilla Negra). Andrade gilt dank seiner starken Technik und dem praktisch körperlosen Spiel als erster Weltstar des Fussballs. Trotzdem glauben in der Schweiz manche an ein Wunder: «Die uruguayische Mannschaft ist nicht unverwundbar», schreibt etwa die «Tribune de Genève».
Die Schweiz aber bleibt vor 40'522 Zuschauern chancenlos. Nach neun Minuten bringt Petrone Uruguay in Führung. Cea (65.) und Romano (82.) besiegeln das Schicksal der Eidgenossen. 3:0 siegen die Südamerikaner.
Trotzdem gibt einiges zu feiern: Bei der Heimkehr wird die Mannschaft in Basel mit einem grossen Empfang geehrt. Und bereits nach dem Erfolg im Halbfinal hatte Bundespräsident Ernest Chuard dem Nationalteam «im Namen des Schweizervolkes» in einem Telegramm «seine wärmsten Glückwünsche zu den glänzenden Siegen» entboten.
Die Erfolge verhelfen dem Fussball hierzulande so richtig zum Durchbruch und neben dem zweiten Rang bei Olympia kann sich die Schweiz als bestklassiertes europäisches Team auch mit dem Titel des Europameisters schmücken.
Dabei war auch Glück im Spiel. Vier der damals besten europäischen Nationen wollten oder konnten in Paris nicht teilnehmen. Die stärksten Fussballer Englands und Schottlands waren bereits Profis, bei Olympia aber galten noch überaus strenge Amateurregeln. Deutschland und Österreich wiederum waren als Verursacher des Ersten Weltkriegs nicht zu den Spielen in Frankreich zugelassen.
Trotzdem kann der Erfolg nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nie wieder konnte ein A-Nationalteam an die denkwürdigen Tage von Paris 1924 anknüpfen, als die Schweiz das Endspiel erreichte und Europameister wurde. Wenig spricht dafür, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern könnte.