Dieser Tage messen sich praktisch alle die besten Teams Europas an der EM in elf Ländern. Frankreich gehört nach dem gewonnenen Weltmeistertitel erneut zu den Favoriten. Dabei dient ihnen ein ehemaliger UEFA-Präsident als Vorbild.
Was heute vor allem für jüngere Fussballfans kaum zu glauben ist: Platini war in den Achtzigern tatsächlich einer der begnadetsten Fussballern auf dem Planeten – und schiesst Frankreich als Rekord-Torschützenkönig praktisch im Alleingang zum Europameistertitel.
1984 ist generell das Jahr des Platini: Mit Juventus holt sich das Kind italienischer Einwanderer nach dem Meistertitel auch den Europapokal der Pokalsieger. Persönlich räumt Platini die Trophäen für – Achtung, festhalten! – Frankreichs und Europas Sportler des Jahres, Italiens und Europas Fussballer des Jahres sowie die Torschützenkronen der Serie A und eben der Europameisterschaft ab. Als Mittelfeldspieler, wohlgemerkt. Eine fast schon «federereske» Dominanz.
Beim lockeren EM-Aufgalopp in den Gruppenspielen erzielt Platini erst das goldene Tor gegen Dänemark und haut den Belgiern dann gleich drei Kisten rein. Mit zwei Siegen im Rücken wartet anschliessend im Duell um den Gruppensieg das starke Jugoslawien.
In der vom Schweizer Schiedsrichter André Daina geleiteten Partie gegen Jugoslawien läuft es für die «Bleus» zunächst nicht nach Wunsch: Zur Pause führen die Osteuropäer verdientermassen mit 1:0 und scheinen die Partie im Griff zu haben.
Dann folgt der (nächste) grosse Auftritt von «Platoche»: Mit einem lupenreinen Hattrick dreht der Mittelfeldstratege die Partie. Vor allem sein Freistosstor zum zwischenzeitlichen 2:1 ist allererste Sahne: Nur gerade 61 km/h schnell, dafür mit mehr Gefühl als zehn Rosamunde-Pilcher-Folgen zusammen.
Standards sind zu dieser Zeit Platinis Spezialität, und das kommt nicht von ungefähr: Mit Torhüter Jean-Michel Moutier legt er jeweils Sonderschichten ein. «Wir haben uns zwei- oder dreimal in der Woche nach dem Training getroffen, wenn das Wetter gut war. Es gab diese Freistoss-Wettbewerbe. Wir haben das 30 bis 60 Minuten lang gemacht», bestätigt Moutier später in der Dokumentation «Football's Greatest: Michel Platini».
Bereits früh in seiner Nati-Karriere hat Platini gezeigt, wer der Chef für die ruhenden Bälle ist: Bei seinem Debüt schickt der 20-jährige Jungspund ohne viel Federlesen den eigentlichen Freistossschützen Henri Michel weg («Geh beiseite, Henri, ich mache ihn!») und hämmert die Kugel ins Netz.
Als souveräner Gruppensieger trifft die «Tricolore» im Halbfinale auf Portugal. Nach der bitteren Halbfinal-Pleite zwei Jahre zuvor an der WM in Spanien wollen es die Franzosen nun besser machen. Nach einem intensiven Schlagabtausch mit vier Toren muss eine Verlängerung her. Eine Minute vor deren Ende erzwingen die Franzosen doch noch die Entscheidung. Torschütze ist – natürlich – Platini.
Das Finalspiel gegen Spanien verläuft dann vergleichsweise unspektakulär: Nach einer Stunde markiert Platini mit seinem neunten Turniertreffer das 1:0. Bei seinem eigentlich harmlosen Freistoss leistet Keeper Luis Arconada allerdings mächtig Beihilfe. Sekunden vor Schluss macht Stürmer Bruno Bellone den Sack zu.
Platinis Torrekord ist bis heute unerreicht – auch wenn die Anzahl Spiele sich kontinuierlich steigerte. Doch neben den Rekordbüchern fast noch stärker beeinflusst hat der damalige Captain seine Nationalmannschaft. Sein ehemaliger Teamkollege Luis Fernandéz beschreibt es so: «Es war Frankreichs erste Team-Trophäe. Am Ende waren wir angekommen und konnten gewinnen. Wir wussten von da an, dass wir rausgehen und gewinnen konnten. Und das war eine grosse Veränderung im französischen Fussball.»