Vor dem zweiten Gruppenspiel der WM-Qualifikation 2010 für Südafrika geben sich die Schweizer optimistisch und selbstsicher. Kein Wunder, ist doch vier Tage nach dem 2:2 in Israel Fussballzwerg Luxemburg im Letzigrund zu Gast. Die Stimmung ist locker, man freut sich auf das Spiel.
Köbi Kuhns Nachfolger Ottmar Hitzfeld wünscht sich von seinen Schützlingen «Spielwitz und überraschende Aktionen» und sagt beinahe schon jovial: «Die Tordifferenz will ich nicht zum Thema machen. Das wäre respektlos gegenüber Luxemburg.» Alles andere als ein Sieg kommt für den neuen Nati-Coach nicht in Frage.
Unter dem Titel «Ich liebe Luxemburgerli» erscheint im «Blick» ein Foto von Gökhan Inler, welcher sich lässig eine Handvoll Sprüngli-Delikatessen in den Mund schiebt. Der Udinese-Spieler warnt zwar diplomatisch: «Diese Luxemburger sind keine Zwerge. Es gibt im Fussball immer wieder Überraschungen», von grossem Respekt vor dem Gegner zeugt die Pose im «Blick» allerdings nicht. Da kommt der Mahnfinger der «Blick»-Autoren gerade recht: «Wenn er sich dabei bloss nicht verschluckt.»
Die düstere Vorahnung der Zeitung sollte wenige Stunden später bittere Realität werden. Gökhan Inler und seine Teamkollegen verschlucken sich derart heftig an den «Luxemburgerli», dass sie eigentlich als Strafe für den Rest ihres Lebens auf Süssigkeiten verzichten müssten. Aber alles der Reihe nach.
Die Schweiz startet verhalten ins Spiel und hat Mühe, Tritt zu fassen. Und prompt werden die Eidgenossen in der 28. Minute für den fahrigen Auftritt in der Startphase bestraft. Luxemburg-Captain Jeff Strasser nimmt Mass und zirkelt einen Freistoss aus rund 25 Metern an Diego Benaglio vorbei in die Maschen.
Paddy Kälin, der das Spiel zusammen mit Alain Sutter co-moderiert, bleibt nach dem Freistosstor erstmal sprachlos. Nachdem auch er das Geschehene begriffen hat, sagt er ungläubig: «Ich bin schockiert, ich glaub's ja nicht – der trifft!»
Wer jetzt auf eine Reaktion des haushohen Favoriten wartet, muss sich weiter gedulden. Eine unendlich lange Viertelstunde verstreicht, ehe Blaise Nkufo in der 43. Minute den Ausgleich markieren kann.
Die Erleichterung bei Rot-Weiss ist deutlich erkennbar. Paddy Kälin bedankt sich sogar beim Allmächtigen: «Gott sei Dank!» Der Treffer kommt kurz vor der Pause zu einem psychologisch wichtigen Zeitpunkt und dürfte den Schweizern doch den nötigen Schub für den zweiten Durchgang geben.
Doch der Bann bricht nicht. In einer schier unerträglichen zweiten Halbzeit bringen Yakin, Barnetta, Frei und Co. keinen Fuss vor den anderen und müssen sich immer mehr mit dem Gedanken anfreunden, dass es auch im zweiten Quali-Spiel womöglich nur ein Unentschieden gibt. Was hingegen niemand für möglich hält, ist, dass die Gäste ihrerseits noch ein Tor schiessen könnten.
Doch genau dieses Szenario tritt in der 86. Minute ein. Jeff Strasser läuft erneut zu einem Freistoss an, statt zu schiessen, spielt er dieses Mal aber einen Pass auf den eingewechselten Alphonse Leweck. Der Luxemburger nutzt die kollektive Verwirrung der Schweizer Defensive eiskalt aus und tunnelt Diego Benaglio zum 1:2-Endresultat.
Während es bei den Luxemburgern und ihrem Anhang kein Halten mehr gibt ...
... sind die Schweizer komplett bedient. Die Spieler und die Trainerbank können kaum fassen, was soeben geschehen ist. Hitzfeld, der mit so viel Vorschusslorbeeren ins neue Traineramt gestartet ist, erlebt im zweiten Pflichtspiel bereits den Super-Gau. Alain Sutter wettert im Schweizer Fernsehen: «So etwas darf einfach nicht passieren.»
Das Urteil der Schweizer Presse am Tag danach ist vernichtend. «Hundsmiserabel – grottenschlimm» titelt etwa der «Blick am Abend». Für die «Berner Zeitung» ist der Auftritt der Nationalmannschaft einfach nur «peinlich, peinlich, peinlich». Die anderen Tageszeitungen blasen ins selbe Rohr. Das Fazit ist klar: Solch eine Pleite hat die Nationalmannschaft noch nie kassiert. Schlimmer geht es nicht.
Ganz anders steht es um die Gemütslage in Luxemburg. Was für die Schweizer eine Jahrhundert-Niederlage ist, ist für das Grossherzogtum ein Jahrhundert-Sieg. Dementsprechend euphorisch wird das Spiel im luxemburgischen Fernsehen auch kommentiert.
Alex Frei findet nach der Niederlage gegenüber der «Basler Zeitung» klare Worte. «Das ist die bitterste Niederlage meiner Karriere», hält der Captain der Nationalmannschaft fest. Doch er blickt bereits wieder nach vorne und bleibt optimistisch: «Es kommen auch für die Schweizer Nationalmannschaft wieder schöne Momente.»
Ähnlich tönt es bei Coach Hitzfeld. «Fussball kann brutal sein» und «Wir haben uns bis auf die Knochen blamiert» sind die Schlüsse, die der Startrainer aus der Partie zieht. Die Flinte ins Korn werfen will allerdings auch der Lörracher nicht. Er gibt sich kämpferisch und sagt: «Ich bin ein Optimist und glaube immer noch an die WM-Qualifikation.»
Der Fehlstart kann dann auch tatsächlich ausgebügelt werden. Angeführt vom bärenstarken Stürmerduo Nkufo/Frei gewinnt die Schweiz die nächsten fünf Gruppenspiele und qualifiziert sich vor Griechenland als Gruppenerster für die WM in Südafrika. Der bittere Nachgeschmack aber bleibt; und das wegen ein paar süssen Luxemburgerli.