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Das Wundertor von Milan-Superstar George Weah 1996 gegen Hellas Verona

23 Oct 1999: George Weah of AC Milan consoles Ronaldo of Inter Milan after his sending off during the Serie A match at the San Siro in Milan, Italy. \ Mandatory Credit: Claudio Villa /Allsport
George Weah und Ronaldo: Die besten Stürmer der Welt im Mailänder Derby 1999.Bild: Getty Images Europe
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George Weah dribbelt einfach alle aus und schiesst ein Wundertor

8. September 1996: George Weah eröffnet die neue Serie-A-Saison mit einem Paukenschlag. Beim 4:1-Sieg Milans gegen Hellas Verona trifft Afrikas Fussballer des Jahrhunderts nach einem unfassbaren Solo über den ganzen Platz.
08.09.2023, 00:1007.09.2023, 17:40
Ralf Meile
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In Erinnerung habe ich von George Weah drei Sachen. Erstens: Er hatte Oberschenkel wie ein Pferd. Zweitens: Er wollte nach seiner Karriere Staatspräsident werden. Und drittens: Er schoss ein Tor für die Ewigkeit.

Von Beinmuskulatur und politischen Ambitionen wird etwas später die Rede sein. Primär war George Tawlon Manneh Oppong Ousman Weah ein herausragender Fussballer. Mamma mia, was war er für ein grossartiger Stürmer!

MILAN - JANUARY 5: George Weah of AC Milan is presented the 'European Footballer of the Year' award before the Serie A match between AC Milan and Sampdoria held on January 5, 1996 at the San ...
Weah mit dem Ballon d'Or für den Weltfussballer.Bild: Getty Images Europe

1995 wird er als erster und bis heute einziger Afrikaner zum «Weltfussballer des Jahres» gekürt. Im gleichen Jahr wird Weah auch Torschützenkönig der Champions League. Er ist eine Naturgewalt auf zwei Beinen.

Forrest Gump im San Siro

Und dann ist da dieser 8. September 1996, ein Sonntag, die erste Runde der neuen Serie-A-Saison. Die AC Milan spielt im San Siro gegen das bescheidene Hellas Verona und liegt zur Pause überraschend 0:1 in Rückstand. Marco Simone wendet das Spiel mit zwei Treffern und in der 85. Minute folgt der unvergessene Auftritt von «King George».

Weah fängt im eigenen Strafraum einen Corner des Gegners ab, er schnappt sich den Ball und läuft. Und läuft und läuft, als wäre er Forrest Gump, an allen vorbei. Weah ist bereits an der Mittellinie, als er erstmals angegriffen wird. Als wären sie lästige Fliegen, schüttelt der Stürmer drei Gelbe ab und läuft weiter. Und läuft. Ein vierter Verteidiger kann ihn nicht stoppen, der fünfte schaut nur ehrfürchtig zu. 14 Sekunden nach seiner Ballannahme schliesst Weah sein Solo zum 3:1 ab. Das Stadion steht Kopf.

George Weah und sein «Tor des Lebens».Video: YouTube/DavidHobbs23

Meister und Cupsieger in fünf Ländern

Weah ist in Afrika schon ein bekannter Fussballer, als er 1988 nach Europa wechselt, mit – für heutige Verhältnisse erst – 22 Jahren. Er macht es als dreifacher Meister, ist Champion in Liberia (1986 mit Mighty Barolle und 1987 mit Invincible Eleven, wo er 24 Tore in 23 Spielen schiesst) und in Kamerun (1988 mit Tonnerre Kalara Club de Yaoundé).

Arsène Wenger – bis heute sein guter Freund – entdeckt Weah und holt ihn zu sich; sein erster Klub auf dem alten Kontinent ist die AS Monaco. Mit ihr wird er 1991 Cupsieger. Seine erste grosse Zeit erlebt Weah anschliessend bei Paris St-Germain, wo ein gewisser Artur Jorge Trainer ist. Gemeinsam mit dem genialen Brasilianer Rai führt er die Hauptstädter zu drei Titeln in drei Jahren: Cupsieger 1993, Meister 1994, Cupsieger 1995.

Milan's forward George Weah, left, dribbles past Napoli defender Mirko Taccola during their Italian major league match in Milan Sunday, October 20, 1996. Weah scored first two goals in Milan&#039 ...
George Weah: Mensch gewordene Maschine.Bild: Keystone

Mit nunmehr 29 Jahren ist die Zeit gekommen, um in die beste Liga der Welt zu wechseln. Die AC Milan angelt sich Weah, gleich in seiner ersten Saison schiesst der Stürmer die «Rossoneri» zum Meistertitel. 1999 gewinnt Weah mit Milan noch einmal den «Scudetto».

Seinen letzten Pokal stemmt er im Jahr 2000 in die Höhe; mit Chelsea wird er englischer Cupsieger. Drei Jahre später ist Schluss, 37-jährig beendet George Weah seine Karriere in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Eine Auswahl von 20 der schönsten Tore von Weahs Karriere.Video: YouTube/Futebol Eterno

Die Sache mit den Oberschenkeln

Der Deutsche Uli Borowka ist in den 1990er-Jahren ein knallharter Verteidiger von Werder Bremen. Er erinnert sich mit einer Mischung aus Schaudern und Bewunderung an eine Begegnung mit Weah. 1992 sind die zwei Gegenspieler im Final des mittlerweile eingestellten Cupsieger-Cups. Borowka schildert das Aufeinandertreffen in seiner eindrücklichen Biografie wie folgt:

«Schon beim Einlaufen musste ich unweigerlich seinen Körper bestaunen: 1,90 Meter gross, 90 Kilo Muskelmasse, Weah platzte vor lauter Kraft fast das Leibchen. Das konnte ja heiter werden. Und das wurde es auch. Bei unseren Zweikämpfen kam ich mir vor, als würde ich gegen einen Wandschrank rennen. Weah war definitiv der stärkste Fussballer, gegen den ich je gespielt habe.»

Besonders eine Szene bleibt Borowka in Erinnerung:

«Mit gestreckten Beinen flog ich auf Weah zu, verpasste den Ball und rammte meine Stollen in seinen Oberschenkel. Weah schüttelte sich kurz, sah an mir vorbei und stand wieder auf. Mit dieser Attacke hätte ich normalerweise die Bäume in unserem Garten fällen können. Doch ihm machte das nichts aus. Schlimmer noch: Als ich wenige Minuten später mein Schuhwerk inspizierte – ich lief etwas unrund –, war doch tatsächlich einer der 16-Millimeter-Plastikstollen abgebrochen! Mein Stollen, an Weahs Oberschenkel zerschellt. Unfassbar. Gegen diese Urgewalt wirkten meine Angriffe geradezu lächerlich.»
AC Milan Liberian-born striker George Weah argues with referee Pierluigi Collina, right, during the Italian first division match AC Milan vs Roma at the Milan San Siro stadium Sunday, October 25, 1998 ...
Gleiche Frisur, nicht gleicher Meinung: Weah und Star-Schiri Pierluigi Collina.Bild: AP

Volksheld – und im zweiten Anlauf Präsident

Im westafrikanischen Liberia, einem der ärmsten Länder der Welt, ist George Weah der unangefochtene Liebling der Massen. Vor den Festtagen hebt er jeweils 50'000 Dollar ab und steht dann vor sein Haus in Monrovia, um das Geld zu verschenken. «Die Leute strömten herbei und er brachte ihnen Weihnachten», erzählt seine Frau einmal der Weltwoche.

Doch trotz dieser Popularität scheitert Weah bei seinem Vorhaben, liberianischer Staatspräsident zu werden. 2004, kurz nach seinem Rücktritt als Spieler, will er sich dafür einsetzen, dass nicht schon wieder ein Bürgerkrieg ausbricht. In einer Stichwahl unterliegt Weah der ehemaligen Finanzministerin Ellen Johnson-Sirleaf. Weah kapiert, dass er nicht einfach so vom Rasen ins Amt wechseln kann und holt als 40-Jähriger die Matura nach, studiert danach Betriebswirtschaft.

2017 stellt sich George Weah, mittlerweile seit drei Jahren Senatsmitglied, erneut als Präsident zur Verfügung. Und nun klappt es: Der frühere Fussball-Star wird gewählt und tritt am 22. Januar 2018 das Amt als liberianischer Präsident an.

epa06465361 Liberia's President George Weah (C) speaks during his inauguration ceremony at the Samuel Kanyon Doe stadium in Monrovia, Liberia, 22 January 2018. The inauguration of President-elect ...
Inmitten von Verteidigern anderer Art: Der frühere Stürmer bei seiner Amtseinsetzung im Stadion von Monrovia.Bild: EPA

Der ehemalige Nati-Trainer Artur Jorge ist übrigens nicht die einzige Verbindung Weahs zur Schweiz. 2010 verpflichtete der FC Wohlen George Weah junior – den Sohn des Grossmeisters. Ihm bleibt eine Weltkarriere jedoch versagt. Meisterschwanden, Baden oder Wangen bei Olten heissen seine weiteren Klubs. Danach stürmt er wie einst sein Vater bei Paris St-Germain – aber bloss in der zweiten Mannschaft.

Mit 31 Jahren beendete George Weah junior seine Karriere. Sein Bruder Timothy, ein anderer Sohn von «Big George», scheint das grössere Talent zu sein: Der US-Nationalspieler traf bei den Profis schon für Celtic Glasgow und PSG, mit dem OSC Lille spielte Timothy Weah in der Champions League.

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2 Kommentare
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Milf Lover
08.09.2019 19:50registriert August 2019
Ich war dabei. September 1999, San Siro.
Ronaldo, Vieri, Zanetti... Bierhoff, Shevchenko, Boban, Weah...
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