Die Young Boys Schweizer Fussballmeister – das mutet beim Gedanken an die Vergangenheit wenn nicht wie ein Witz, so doch wie ein Wunder an. Nein, dieser Satz stammt nicht von mir, obwohl er heute so zutreffend ist wie offenbar damals. Er ist die Einleitung zu einem Text des «Bunds» zu YBs Titelgewinn 1986.
Die Berner gehen als Aussenseiter in die Saison und zunächst deutet nichts auf die erste Meisterschaft nach 26 Jahren hin. In der Vorrunde dümpelt man vor sich hin, verliert vor nur gerade 2200 Zuschauern sogar das Heimspiel gegen Baden. Es ist der einzige Sieg der Aargauer in der ganzen Saison!
Doch nach der Winterpause startet YB voll durch: Zwölf Siege und zwei Unentschieden in 14 Partien lautet die Bilanz, mit einem Torverhältnis von 42:6!
Nach dem schwachen Herbst holt YB dank dem überragenden Frühling auf und zieht an allen Gegnern vorbei. In der vorletzten Runde geht es zu Neuchâtel Xamax, dem letzten Verfolger. YB hat einen Punkt Vorsprung und ist somit bei einem Sieg Meister.
21'500 Zuschauer wollen diese Partie mit Finalcharakter sehen, mindestens die Hälfte der Fans auf der proppenvollen Maladière sind Gelb-Schwarze. Gross ist ihre Sehnsucht nach dem Titel – und gross ihr Schock nach fünf Minuten: Xamax geht in Führung.
Ein wuchtiger Freistoss Peter Küffers ist es, der zum 1:0 führt. Unbestätigt ist, dass im fernen Brasilien ein gewisser Roberto Carlos das Tor gesehen hat und es danach immer und immer wieder versucht hat, nachzustellen.
Doch vom Gegentor lässt sich YB nicht beeindrucken. Es dauert bloss drei Minuten, dann gleicht Dario Zuffi die Partie aus. Der Nationalstürmer, wahrlich kein Hüne, köpft nach einem Corner zum 1:1.
Die beiden Teams liefern sich einen Kampf auf Biegen und Brechen, die Berichterstatter schwärmen danach. Von einem «Supermatch» schrieb das Fachblatt «Sport», das «wohl beste Spiel der Saison» sah die NZZ. Es sei «hinsichtlich des Rhythmus, Einsatzwillen, athletisch-harter Spielweise und rascher Szenenwechsel» ein begeisternder Match gewesen.
Dieser steht eine Stunde lang auf der Kippe. Zehn Minuten nach der Pause vergibt Maurizio Jacobacci das 2:1 für die Neuenburger, als er alleine vor YB-Goalie Urs Zurbuchen auftaucht, aber neben das Tor schiesst. Ob die Berner sich davon erholt hätten?
Die Frage bleibt unbeantwortet. Denn nach 64 Minuten schiesst Lars Lunde sein erstes Tor und nach dem zweiten Treffer des Dänen steht es schon 3:1. Die Partie ist entschieden. Den Deckel macht schliesslich Zuffi drauf, auch er schnürt einen Doppelpack. Drei Tore innert 15 Minuten – dass die legendäre «YB-Viertelstunde» ein wenig vorgezogen wird, stört natürlich keinen.
Die grosse Figur beim Meistertitel ist Robert Prytz. Der schwedische Nationalspieler wechselt erst in der Winterpause nach Bern – und mit dem 26-Jährigen kommt der Erfolg. «Mit Prytz hat YB das grosse Los gezogen», urteilt der «Sport», er sei der beste Aufbauer in der Schweiz.
«Er ist überall und versteht es wie kaum ein anderer, die Angriffe mit weiten Zuspielen zu lancieren», schwärmt die NZZ. Um einen Spieler wie den Schweden seien die Berner zu beneiden: «Prytz scheint zwei Lungen zu haben, derart setzt er sich läuferisch und auch mit dem Körper in Zweikämpfen ein.»
Der andere herausragende Spieler der Berner ist Lars Lunde, ein 22 Jahre junger Däne. «Schnell, trickreich, frech, mutig, unverbesserlich», lobt ihn der «Sport» in den höchsten Tönen. Einen besseren Stürmer gebe es in der Schweiz nicht und in Europa nur wenige.
Tatsächlich zieht es Torschützenkönig Lunde (21 Treffer in 27 Einsätzen) nach dem Meistertitel zu Bayern München. Beim deutschen Rekordmeister kann er sich auf lange Sicht aber nicht durchsetzen. Und die Karriere des hoffnungsvollen Stürmers erleidet am 12. April 1988 einen gravierenden Knick: Lunde prallt mit dem Auto in einen Zug, liegt zehn Tage im Koma. Danach erreicht er sein früheres Niveau nicht mehr, 26-jährig beendet Lunde seine Karriere.
Der Meistertitel weckt natürlich den Traum, an frühere, erfolgreiche Tage anknüpfen zu können. Doch YB träumt bis heute vergeblich. Nur der Cupsieg 1987 kommt noch hinzu, seither wartet man in der Hauptstadt sehnsüchtig auf einen weiteren Pokal.
Nahe dran sind die Young Boys in dieser Zeit mehr als einmal. Sieben Mal werden die Berner seither Vize-Meister, drei Mal stehen sie im Cupfinal und verlieren ihn. Sinnbild für das Scheitern YBs ist der Cupfinal 2009, in dem die Berner gegen Sion 2:0 führen und trotzdem noch 2:3 verlieren. Für das Verpassen eines sicher geglaubten Siegs hat sich längst ein eigenes Verb etabliert: veryoungboysen.
Die Young Boys Schweizer Fussballmeister – das mutet beim Gedanken an die Vergangenheit wenn nicht wie ein Witz, so doch wie ein Wunder an. 11'323 Tage sind seit dem 4:1-Erfolg bei Xamax und dem letzten Meistertitel vergangen. Wie viel Zeit noch verstreicht, bis YB diese Uhr wieder auf Null stellen kann?