Wenig bis gar nichts – so viel hat der durchschnittliche Servette-Fan im Winter 2004 zu lachen. Obwohl die «Grenats» den alternden französischen Welt- und Europameister Christian Karembeu als Leithammel verpflichtet haben, kleben sie gegen Ende der Hinrunde immer noch am Tabellenende fest.
Hinter den Kulissen wirtschaftet Gauner-Präsi Marc Roger den Verein derweil frischfröhlich kaputt. Bis zum Konkurs und Zwangsabstieg aus der Super League bleiben nur noch wenige Wochen.
Doch davon ahnen die Genfer zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Beim Krisengipfel gegen den FC Schaffhausen gilt der Fokus ganz der sportlichen Misere. Mit einem Sieg beim Tabellennachbarn will sich Schlusslicht Servette wieder Luft verschaffen.
Das gelingt für einmal ganz ordentlich. Nach Toren von Davide Callà und João Paiva führen die Gäste zur Pause im Stadion Breite mit 2:0. Doch mit dem Anschlusstreffer für Schaffhausen beginnt auch das grosse Zittern wieder.
Entsprechend gross ist die Erleichterung der Genfer in der 87. Minute. Paulo Diogo legt Jean Beauséjour den Ball pfannenfertig vor und der Chilene bucht mit dem 3:1 für Servette die Vorentscheidung.
Nachdem der Ball im Netz ist, stürmt Passgeber Diogo erst auf den Torschützen zu – doch dann entscheidet er sich anders. Er dreht ab, krallt sich am Zaun vor der Servette-Kurve fest und zelebriert mit den angereisten Gästefans seinen Ego-Jubel. Ein verhängnisvoller Entschluss.
Denn als er zurück auf den Rasen springt, bleibt Diogo mit seinem Ehering am Gitter hängen. Das Schmuckstück, mit dem er sechs Monate zuvor die Liebe zu seiner Frau Carine besiegelt hat, zerfetzt Diogo Haut, Fleisch und Knochen.
Sekundenlang lässt sich der schweizerisch-portugiesische Doppelbürger nichts anmerken, doch dann schreit er Zetermordio. «Im Adrenalinrausch habe ich zuerst nur einen kleinen Stich verspürt», berichtet Diogo später. Doch als er sieht, wie schwer seine Verletzung wirklich ist, bricht der Servettien in Panik aus. Brüllend streckt er seine linke Hand in den Schaffhauser Abendhimmel. Da, wo der Ringfinger einst war, ist nur noch ein blutüberströmter Stummel.
Geschockt sprintet der Unglücksrabe vom Feld. Allerdings nicht, ohne zuvor von Schiedsrichter Etter noch die Gelbe Karte wegen übertriebenen Torjubels zu kassieren.
Auf dem Rasen bricht jetzt Hektik aus. Das halbe Genfer Team fahndet nach Diogos abgetrenntem Finger. Auch die Fans in der Kurve beteiligen sich. Servette-Physio Denis Onkelix wird schliesslich fündig. Er legt das abgetrennte Glied auf Eis und bringt es in die Katakomben.
Diogo wird ins Kantonsspital Schaffhausen verfrachtet und anschliessend nach Zürich überführt. Doch auch dort kann sein Finger nicht mehr gerettet werden. Weil der Riss nicht «sauber» ist, sondern ausgefranst, raten die Ärzte zur Amputation des verbleibenden Stummels. Diogo beisst in den sauren Apfel und unterzieht sich der Operation. Die Regeln zum Tragen von Schmuck auf Fussballplätzen werden nach seinem Unglück verschärft.
Jahre später, nachdem Diogos Karriere ausgerechnet bei Schaffhausen und Lausanne ausgeklungen war, hat er seinen Frieden mit dem Horror-Unfall gemacht: «Ich habe mich damals extrem genervt. Ich dachte: ‹Du bist so ein Idiot!› Aber ich bin ja nicht gestorben. Am Anfang war es schwierig, man unterschätzt die Wichtigkeit der einzelnen Finger, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.»
Auf den Ehering verzichtet Diogo danach: «Ich habe ihn zuerst an einer Kette um den Hals getragen, doch das ständige An- und Ausziehen wurde mir irgendwann zu blöd.»